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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Iustizorgcmisation von ^8?9 "> ministerieller Beleuchtung

Vorhanden, und die Verhandlung muß wieder von vorn anfangen. Der ganze
Prozeß ist ein wüstes Getriebe, welches der Willkür des Richters den breitesten
Spielraum gewährt. Und wenn seinerzeit Minister Leonhardt den Ausspruch
that: "Über alle Theorie schreitet das Bedürfnis des Lebens leichten Schrittes
hinweg," so ist in diesem Falle die Theorie in wahrhaft erschreckender Weise
über das Bedürfnis des Lebens leichten Schrittes hinweggeschritten.


!)

Es bleibt nun noch ein Punkt zu besprechen, der vielleicht der schmerz¬
lichste von allen ist. Das sind die hohen Kosten, die man ans den Prozeß
gelegt hat. Hier verteidigt Herr von Friedberg sein eignes Werk, da die
Kvstengesetze seinerzeit im Reichsjustizamt, das unter seiner Leitung stand, an¬
gefertigt worden sind. Beide Berichte besprechen diesen Punkt bei Gelegenheit
der Anführung, daß die Prozesse sich so erheblich vermindert haben. Es wird
zugegeben, daß ein wesentlicher Grund hierfür in den hohen Kosten liege. Das
sei aber auch kein Schaden. Wer eine gerechte Sache habe, werde sich durch
die hohen Kosten nicht vom Prozesse abhalten lassen. Durch sie sei uur die
Zahl der Fälle zurückgegangen, wo bloße Streitsucht, Nachlässigkeit oder böser
Wille der Parteien die Anrufung des Richters oder die Verfolgung des Pro¬
zesses durch die höhern Instanzen veranlaßt Hütten. "Man wird hiernach in
der Verminderung der Prozesse uicht eiuen Fehler, sondern eine dankenswerte
Folge der veränderten Gesetzgebung erblicken müssen." So der Bericht von 1887.

Diese Darlegung ist so auffallend, daß man glauben könnte, sie rühre von
einem der Lebensverhältnisse völlig unkundigen Manne her. Besteht denn
wirklich jener Gegensatz, daß nur Prozesse in Frage kommen, bei denen die
Partei ihres guten Rechtes sich bewußt und deshalb des Erfolges sicher ist,
und anderseits solche Prozesse, die uur aus Streitsucht, Nachlässigkeit oder
bösem Willen geführt werden? Es erinnert die Aufstellung dieses Gegensatzes
an die kindliche Anschauung, die alle Menschen in "gute und böse" einteilt.
In Wahrheit bilden die Fälle dieses Äußersten Gegensatzes nur eine geringe
Minderheit aller Prozesse. In der großen Mehrzahl der Fälle liegt die Sache
ganz anders. Unzähligemale ist jemand von seinem Rechte überzeugt, aber
dieses liegt doch nicht so klar vor, daß nicht der Ausgang des Prozesses
zweifelhaft wäre. Solche Verhältnisse sind die Folge unsers überaus ver¬
wickelten Rechtsverkehrs, deu wir auch nicht verbannen können, weil er mit
der hohen Entwicklung unsers wirtschaftlichen Lebens eng znsanunenhängt. Sie
sind ferner die Folge unsrer unvollkommnen Gesetze, die die Beteiligten oft ohne
ihre Schuld in die zweifelhaftesten Rechtslagen bringen. (Wir empfehlen z. B.
einmal ein Dutzend Prozesse über Stempelfragen einzusehend) Sie sind auch



5) Bör kurzem war i" Kassel ein Stempelprvzesi anhängig, bei dem die Behörde für
ein Rechtsgeschäft eine" Stempel von 7K385 Mark 70 Pf. angesetzt hatte. Der hiergegen
Die Iustizorgcmisation von ^8?9 "> ministerieller Beleuchtung

Vorhanden, und die Verhandlung muß wieder von vorn anfangen. Der ganze
Prozeß ist ein wüstes Getriebe, welches der Willkür des Richters den breitesten
Spielraum gewährt. Und wenn seinerzeit Minister Leonhardt den Ausspruch
that: „Über alle Theorie schreitet das Bedürfnis des Lebens leichten Schrittes
hinweg," so ist in diesem Falle die Theorie in wahrhaft erschreckender Weise
über das Bedürfnis des Lebens leichten Schrittes hinweggeschritten.


!)

Es bleibt nun noch ein Punkt zu besprechen, der vielleicht der schmerz¬
lichste von allen ist. Das sind die hohen Kosten, die man ans den Prozeß
gelegt hat. Hier verteidigt Herr von Friedberg sein eignes Werk, da die
Kvstengesetze seinerzeit im Reichsjustizamt, das unter seiner Leitung stand, an¬
gefertigt worden sind. Beide Berichte besprechen diesen Punkt bei Gelegenheit
der Anführung, daß die Prozesse sich so erheblich vermindert haben. Es wird
zugegeben, daß ein wesentlicher Grund hierfür in den hohen Kosten liege. Das
sei aber auch kein Schaden. Wer eine gerechte Sache habe, werde sich durch
die hohen Kosten nicht vom Prozesse abhalten lassen. Durch sie sei uur die
Zahl der Fälle zurückgegangen, wo bloße Streitsucht, Nachlässigkeit oder böser
Wille der Parteien die Anrufung des Richters oder die Verfolgung des Pro¬
zesses durch die höhern Instanzen veranlaßt Hütten. „Man wird hiernach in
der Verminderung der Prozesse uicht eiuen Fehler, sondern eine dankenswerte
Folge der veränderten Gesetzgebung erblicken müssen." So der Bericht von 1887.

Diese Darlegung ist so auffallend, daß man glauben könnte, sie rühre von
einem der Lebensverhältnisse völlig unkundigen Manne her. Besteht denn
wirklich jener Gegensatz, daß nur Prozesse in Frage kommen, bei denen die
Partei ihres guten Rechtes sich bewußt und deshalb des Erfolges sicher ist,
und anderseits solche Prozesse, die uur aus Streitsucht, Nachlässigkeit oder
bösem Willen geführt werden? Es erinnert die Aufstellung dieses Gegensatzes
an die kindliche Anschauung, die alle Menschen in „gute und böse" einteilt.
In Wahrheit bilden die Fälle dieses Äußersten Gegensatzes nur eine geringe
Minderheit aller Prozesse. In der großen Mehrzahl der Fälle liegt die Sache
ganz anders. Unzähligemale ist jemand von seinem Rechte überzeugt, aber
dieses liegt doch nicht so klar vor, daß nicht der Ausgang des Prozesses
zweifelhaft wäre. Solche Verhältnisse sind die Folge unsers überaus ver¬
wickelten Rechtsverkehrs, deu wir auch nicht verbannen können, weil er mit
der hohen Entwicklung unsers wirtschaftlichen Lebens eng znsanunenhängt. Sie
sind ferner die Folge unsrer unvollkommnen Gesetze, die die Beteiligten oft ohne
ihre Schuld in die zweifelhaftesten Rechtslagen bringen. (Wir empfehlen z. B.
einmal ein Dutzend Prozesse über Stempelfragen einzusehend) Sie sind auch



5) Bör kurzem war i» Kassel ein Stempelprvzesi anhängig, bei dem die Behörde für
ein Rechtsgeschäft eine» Stempel von 7K385 Mark 70 Pf. angesetzt hatte. Der hiergegen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/135>, abgerufen am 28.06.2024.