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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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aus Anwaltskreisen erhoben hatte, kurz darauf in einer Weise erläuterte, daß
sich die Anwälte damit zufrieden geben konnten. Ob hiernach der gedachte
Erlaß noch eine wesentliche Wirkung geübt hat, ist nicht näher bekannt geworden.

Wenn es nach der Darstellung des Berichtes so scheint, als ob die
tadelnden Urteile über den Zivilprvzes; uur ganz vereinzelte Ansichten gewesen
seien, so möchten wir dem gegenüber doch den ganzen Verlauf der Sache in
Erinnerung bringe". Bei ihrem Erlaß war die Prozeßordnung so mit Lob¬
preisungen überschüttet worden, daß sie als ein Ideal von Vollkommenheit galt.
Natürlich glaubte nun jeder, er müsse auch seinerseits diese Vollkommenheit
herausfinden. Wer sie nicht fand, wußte doch nicht, ob es nicht bloß an ihm
liege. Niemand hatte einen Überblick, wie es im allgemeinen aussah. So
wurde der Glaube an die Vortrefflichkeit des Werkes lange Zeit künstlich auf¬
recht erhalten. Nur ganz zaghaft regten sich einzelne Stimmen, die dies oder
jenes auszusetzen fanden oder in einem Scherzworte ("Revanche für Langen¬
salzn") sich Luft machten. Erst im Jahre 1885 traten Stimmen ans, die auf
Grund gesammelter Erkundigungen über die Bewährung des Gesetzes in weiter"
Kreisen ein umfassenderes Urteil auszusprechen wagen konnten, das nicht günstig
ausfiel. Hätten nnn diese Stimmen etwas ausgesprochen, was den Ansichten
aller Welt zuwider gelaufen wäre, so würden sie sicherlich nicht beachtet,
höchstens verlacht worden sein. In der That aber sprachen sie nur aus, was
Tausende von Juristen längst gefühlt hatten. Nur dadurch gewannen sie eine
Bedeutung, die der Herr Justizminister selbst damit anerkannte, daß er ihrer
in seinem Berichte an den König zu erwähnen sich gedrungen fühlte. Nun
aber trat eine gewisse Wendung ein. Professor Wach in Leipzig, der bedrängten
Unschuld zu Hilfe eilend, erschien auf dem Plane mit einer Schrift, worin er die
Prozeßordnung gegen die Angriffe in Schutz nahm und lebhaft anpries. Nicht
durch das Gewicht ihrer Gründe, sondern durch etwas ganz andres gewann diese
Schrift eine große Bedeutung. Alpha und Omega derselben war die Bezug¬
nahme ans Herrn Minister Dr. Friedberg, der seinen im Jahre 1882 um
deu König erstatteten -- damals noch unbekannten -- Bericht dem Verfasser zur
Verfügung gestellt hatte. Von diesem war er als Beleg für die Vortrefflichkeit
des Gesetzes benutzt worden. Dadurch wurde aller Welt kundgethan, daß der
Herr Minister sich schon im Jahre 1882 für die Bewährung der Zivilprozeßord-
nungausgesprochen habe und daß er auch jetzt noch diese Ansicht zur Geltung
gebracht haben wolle. Der Minister eines großen Landes ist aber stets eine
solche Autorität, daß viele ihre Ansicht unwillkürlich darnach bilden. Mit
diesem Erfolg Hütte sich Professor Wach wohl genügen lassen können. Er hielt
aber auch die bisherigen Erkundigungen für unbefriedigend und veranstaltete
nun seinerseits noch eine große "Enquete" bei sämtlichen Landgerichten über
eine Anzahl gestellter Fragen. Bei den nahen Beziehungen, in denen nach
seiner vorausgegangenen Schrift Wach zu dein preußischen Justizministerium


aus Anwaltskreisen erhoben hatte, kurz darauf in einer Weise erläuterte, daß
sich die Anwälte damit zufrieden geben konnten. Ob hiernach der gedachte
Erlaß noch eine wesentliche Wirkung geübt hat, ist nicht näher bekannt geworden.

Wenn es nach der Darstellung des Berichtes so scheint, als ob die
tadelnden Urteile über den Zivilprvzes; uur ganz vereinzelte Ansichten gewesen
seien, so möchten wir dem gegenüber doch den ganzen Verlauf der Sache in
Erinnerung bringe». Bei ihrem Erlaß war die Prozeßordnung so mit Lob¬
preisungen überschüttet worden, daß sie als ein Ideal von Vollkommenheit galt.
Natürlich glaubte nun jeder, er müsse auch seinerseits diese Vollkommenheit
herausfinden. Wer sie nicht fand, wußte doch nicht, ob es nicht bloß an ihm
liege. Niemand hatte einen Überblick, wie es im allgemeinen aussah. So
wurde der Glaube an die Vortrefflichkeit des Werkes lange Zeit künstlich auf¬
recht erhalten. Nur ganz zaghaft regten sich einzelne Stimmen, die dies oder
jenes auszusetzen fanden oder in einem Scherzworte („Revanche für Langen¬
salzn") sich Luft machten. Erst im Jahre 1885 traten Stimmen ans, die auf
Grund gesammelter Erkundigungen über die Bewährung des Gesetzes in weiter»
Kreisen ein umfassenderes Urteil auszusprechen wagen konnten, das nicht günstig
ausfiel. Hätten nnn diese Stimmen etwas ausgesprochen, was den Ansichten
aller Welt zuwider gelaufen wäre, so würden sie sicherlich nicht beachtet,
höchstens verlacht worden sein. In der That aber sprachen sie nur aus, was
Tausende von Juristen längst gefühlt hatten. Nur dadurch gewannen sie eine
Bedeutung, die der Herr Justizminister selbst damit anerkannte, daß er ihrer
in seinem Berichte an den König zu erwähnen sich gedrungen fühlte. Nun
aber trat eine gewisse Wendung ein. Professor Wach in Leipzig, der bedrängten
Unschuld zu Hilfe eilend, erschien auf dem Plane mit einer Schrift, worin er die
Prozeßordnung gegen die Angriffe in Schutz nahm und lebhaft anpries. Nicht
durch das Gewicht ihrer Gründe, sondern durch etwas ganz andres gewann diese
Schrift eine große Bedeutung. Alpha und Omega derselben war die Bezug¬
nahme ans Herrn Minister Dr. Friedberg, der seinen im Jahre 1882 um
deu König erstatteten — damals noch unbekannten — Bericht dem Verfasser zur
Verfügung gestellt hatte. Von diesem war er als Beleg für die Vortrefflichkeit
des Gesetzes benutzt worden. Dadurch wurde aller Welt kundgethan, daß der
Herr Minister sich schon im Jahre 1882 für die Bewährung der Zivilprozeßord-
nungausgesprochen habe und daß er auch jetzt noch diese Ansicht zur Geltung
gebracht haben wolle. Der Minister eines großen Landes ist aber stets eine
solche Autorität, daß viele ihre Ansicht unwillkürlich darnach bilden. Mit
diesem Erfolg Hütte sich Professor Wach wohl genügen lassen können. Er hielt
aber auch die bisherigen Erkundigungen für unbefriedigend und veranstaltete
nun seinerseits noch eine große „Enquete" bei sämtlichen Landgerichten über
eine Anzahl gestellter Fragen. Bei den nahen Beziehungen, in denen nach
seiner vorausgegangenen Schrift Wach zu dein preußischen Justizministerium


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/128>, abgerufen am 30.06.2024.