Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
<8lcidstone und der Dreibund

Daher wirkt alles, was in Gestalt von Verträgen und Bündnissen diese
beiden Großmächte entmutigt und zurückhält, für den Weltfrieden. Der Drei¬
bund führt ihnen zu Gemüte, daß selbst im Falle ihrer Vereinigung zu einem
Gegenbnnde die Verwirklichung ihrer Wünsche kein leichtes Werk sein wird.
Die bloße Möglichkeit, geschweige denn die Wahrscheinlichkeit, daß England es
in seinein Interesse finde, Italien gegen einen französischen Flottenangriff zu
verteidigen, ist schon ein schweres Bedenken, das sich den kriegerischen Absichten
der Franzosen in den Weg stellt, und diese Wnruuug ist handgreiflich, da Lord
Salisbury nicht wohl dulden kann, daß Englands starker Nebenbuhler am
Mittelmeere hier noch stärker wird. Anderseits sind die Ausdrücke von Wohl¬
wollen sür die Friedensfeinde in Frankreich und Rußland, die von einem
Staatsmanne ausgehen, der wieder obcnanfkommen und sich der Leitung des
englischen Einflusses auf die Angelegenheiten des Festlandes bemächtigen kann,
eine unmittelbare Ermutigung jener beiden Mächte, den Frieden zu brechen.

Es heißt in dem Artikel Gladstones, obwohl Deutschland und Österreich
ganz recht gethan hätten, sich zu verbinden, sollte Italien sich von deren
Bündnis fernhalten. Das läßt sich vom Standpunkte eiues Politikers wie Glad-
stone leicht behaupten, wenn er nur auch bewiesen Hütte, daß Italien dann
vor dem französischen Nachbar sicher wäre. Aber welcher Kenner der Geschichte,
der sich auch nur oberflächlich der herkömmlichen französischen Politik in Be¬
treff der italienischen Halbinsel und der unruhigen Begehrlichkeit erinnerte,
womit diese Politik in der jüngsten Zeit am Mittelmeere um sich gegriffen
hat, wollte einem durch kein Bündnis geschützte" Italien eine solche Sicher¬
heit verbürgen? Wir sehen von seinen Interessen in Nordafrika ab. Aber
was könnte die Pariser Regierung verlockenderes vor sich sehen, als eine Art
Wiedergewinnung des bei Metz und Sedan ganz verlornen Kriegsruhmes auf
den Ebnen im Süden der Alpen? Welch eine schöne Probe der Tüchtigkeit
des neuen Heeres! Welch ein verheißungsvolles Vorspiel des größern Kampfes
zwischen Vogesen und Rhein! Ein Vorwand, Italien zu bekriegen und wohl¬
feile Lorbeer" zur Bekränzung der Trikolore zu pflücken, wäre bald gefunden.
Die französische Republik scheute sich 1849 nicht im mindesten, die damalige
römische Schwester anzufallen und deu Papst wieder einzusetzen, die republi¬
kanische Regierung, die jetzt in Paris sitzt, würde nicht in Verlegenheit sein,
einen ähnlichen Anlaß zum Einschreiten jenseits der Alpen zu entdecken. Diese
augenscheinliche Gefahr ist es, die die Italiener genötigt hat, gewaltige
Rüstungen zu Lande und zu Wasser vorzunehmen und, da sie nicht genügten,
sich dem Bündnis der beiden mitteleuropäischen Mächte anzuschließen, von
deuen allein ein uneigennütziger Beistand zu hoffen war. Gladstone ist also
auch in dieser Beziehung ein verblendeter Politiker, ein Parteigänger des Un¬
verstandes und des Unrechts -- kurz, wie er sich selbst ironisch bezeichnete, in
Wahrheit ein Utidcmos.




<8lcidstone und der Dreibund

Daher wirkt alles, was in Gestalt von Verträgen und Bündnissen diese
beiden Großmächte entmutigt und zurückhält, für den Weltfrieden. Der Drei¬
bund führt ihnen zu Gemüte, daß selbst im Falle ihrer Vereinigung zu einem
Gegenbnnde die Verwirklichung ihrer Wünsche kein leichtes Werk sein wird.
Die bloße Möglichkeit, geschweige denn die Wahrscheinlichkeit, daß England es
in seinein Interesse finde, Italien gegen einen französischen Flottenangriff zu
verteidigen, ist schon ein schweres Bedenken, das sich den kriegerischen Absichten
der Franzosen in den Weg stellt, und diese Wnruuug ist handgreiflich, da Lord
Salisbury nicht wohl dulden kann, daß Englands starker Nebenbuhler am
Mittelmeere hier noch stärker wird. Anderseits sind die Ausdrücke von Wohl¬
wollen sür die Friedensfeinde in Frankreich und Rußland, die von einem
Staatsmanne ausgehen, der wieder obcnanfkommen und sich der Leitung des
englischen Einflusses auf die Angelegenheiten des Festlandes bemächtigen kann,
eine unmittelbare Ermutigung jener beiden Mächte, den Frieden zu brechen.

Es heißt in dem Artikel Gladstones, obwohl Deutschland und Österreich
ganz recht gethan hätten, sich zu verbinden, sollte Italien sich von deren
Bündnis fernhalten. Das läßt sich vom Standpunkte eiues Politikers wie Glad-
stone leicht behaupten, wenn er nur auch bewiesen Hütte, daß Italien dann
vor dem französischen Nachbar sicher wäre. Aber welcher Kenner der Geschichte,
der sich auch nur oberflächlich der herkömmlichen französischen Politik in Be¬
treff der italienischen Halbinsel und der unruhigen Begehrlichkeit erinnerte,
womit diese Politik in der jüngsten Zeit am Mittelmeere um sich gegriffen
hat, wollte einem durch kein Bündnis geschützte» Italien eine solche Sicher¬
heit verbürgen? Wir sehen von seinen Interessen in Nordafrika ab. Aber
was könnte die Pariser Regierung verlockenderes vor sich sehen, als eine Art
Wiedergewinnung des bei Metz und Sedan ganz verlornen Kriegsruhmes auf
den Ebnen im Süden der Alpen? Welch eine schöne Probe der Tüchtigkeit
des neuen Heeres! Welch ein verheißungsvolles Vorspiel des größern Kampfes
zwischen Vogesen und Rhein! Ein Vorwand, Italien zu bekriegen und wohl¬
feile Lorbeer» zur Bekränzung der Trikolore zu pflücken, wäre bald gefunden.
Die französische Republik scheute sich 1849 nicht im mindesten, die damalige
römische Schwester anzufallen und deu Papst wieder einzusetzen, die republi¬
kanische Regierung, die jetzt in Paris sitzt, würde nicht in Verlegenheit sein,
einen ähnlichen Anlaß zum Einschreiten jenseits der Alpen zu entdecken. Diese
augenscheinliche Gefahr ist es, die die Italiener genötigt hat, gewaltige
Rüstungen zu Lande und zu Wasser vorzunehmen und, da sie nicht genügten,
sich dem Bündnis der beiden mitteleuropäischen Mächte anzuschließen, von
deuen allein ein uneigennütziger Beistand zu hoffen war. Gladstone ist also
auch in dieser Beziehung ein verblendeter Politiker, ein Parteigänger des Un¬
verstandes und des Unrechts — kurz, wie er sich selbst ironisch bezeichnete, in
Wahrheit ein Utidcmos.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206118"/>
          <fw type="header" place="top"> &lt;8lcidstone und der Dreibund</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_430" prev="#ID_429"> Daher wirkt alles, was in Gestalt von Verträgen und Bündnissen diese<lb/>
beiden Großmächte entmutigt und zurückhält, für den Weltfrieden. Der Drei¬<lb/>
bund führt ihnen zu Gemüte, daß selbst im Falle ihrer Vereinigung zu einem<lb/>
Gegenbnnde die Verwirklichung ihrer Wünsche kein leichtes Werk sein wird.<lb/>
Die bloße Möglichkeit, geschweige denn die Wahrscheinlichkeit, daß England es<lb/>
in seinein Interesse finde, Italien gegen einen französischen Flottenangriff zu<lb/>
verteidigen, ist schon ein schweres Bedenken, das sich den kriegerischen Absichten<lb/>
der Franzosen in den Weg stellt, und diese Wnruuug ist handgreiflich, da Lord<lb/>
Salisbury nicht wohl dulden kann, daß Englands starker Nebenbuhler am<lb/>
Mittelmeere hier noch stärker wird. Anderseits sind die Ausdrücke von Wohl¬<lb/>
wollen sür die Friedensfeinde in Frankreich und Rußland, die von einem<lb/>
Staatsmanne ausgehen, der wieder obcnanfkommen und sich der Leitung des<lb/>
englischen Einflusses auf die Angelegenheiten des Festlandes bemächtigen kann,<lb/>
eine unmittelbare Ermutigung jener beiden Mächte, den Frieden zu brechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_431"> Es heißt in dem Artikel Gladstones, obwohl Deutschland und Österreich<lb/>
ganz recht gethan hätten, sich zu verbinden, sollte Italien sich von deren<lb/>
Bündnis fernhalten. Das läßt sich vom Standpunkte eiues Politikers wie Glad-<lb/>
stone leicht behaupten, wenn er nur auch bewiesen Hütte, daß Italien dann<lb/>
vor dem französischen Nachbar sicher wäre. Aber welcher Kenner der Geschichte,<lb/>
der sich auch nur oberflächlich der herkömmlichen französischen Politik in Be¬<lb/>
treff der italienischen Halbinsel und der unruhigen Begehrlichkeit erinnerte,<lb/>
womit diese Politik in der jüngsten Zeit am Mittelmeere um sich gegriffen<lb/>
hat, wollte einem durch kein Bündnis geschützte» Italien eine solche Sicher¬<lb/>
heit verbürgen? Wir sehen von seinen Interessen in Nordafrika ab. Aber<lb/>
was könnte die Pariser Regierung verlockenderes vor sich sehen, als eine Art<lb/>
Wiedergewinnung des bei Metz und Sedan ganz verlornen Kriegsruhmes auf<lb/>
den Ebnen im Süden der Alpen? Welch eine schöne Probe der Tüchtigkeit<lb/>
des neuen Heeres! Welch ein verheißungsvolles Vorspiel des größern Kampfes<lb/>
zwischen Vogesen und Rhein! Ein Vorwand, Italien zu bekriegen und wohl¬<lb/>
feile Lorbeer» zur Bekränzung der Trikolore zu pflücken, wäre bald gefunden.<lb/>
Die französische Republik scheute sich 1849 nicht im mindesten, die damalige<lb/>
römische Schwester anzufallen und deu Papst wieder einzusetzen, die republi¬<lb/>
kanische Regierung, die jetzt in Paris sitzt, würde nicht in Verlegenheit sein,<lb/>
einen ähnlichen Anlaß zum Einschreiten jenseits der Alpen zu entdecken. Diese<lb/>
augenscheinliche Gefahr ist es, die die Italiener genötigt hat, gewaltige<lb/>
Rüstungen zu Lande und zu Wasser vorzunehmen und, da sie nicht genügten,<lb/>
sich dem Bündnis der beiden mitteleuropäischen Mächte anzuschließen, von<lb/>
deuen allein ein uneigennütziger Beistand zu hoffen war. Gladstone ist also<lb/>
auch in dieser Beziehung ein verblendeter Politiker, ein Parteigänger des Un¬<lb/>
verstandes und des Unrechts &#x2014; kurz, wie er sich selbst ironisch bezeichnete, in<lb/>
Wahrheit ein Utidcmos.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0119] <8lcidstone und der Dreibund Daher wirkt alles, was in Gestalt von Verträgen und Bündnissen diese beiden Großmächte entmutigt und zurückhält, für den Weltfrieden. Der Drei¬ bund führt ihnen zu Gemüte, daß selbst im Falle ihrer Vereinigung zu einem Gegenbnnde die Verwirklichung ihrer Wünsche kein leichtes Werk sein wird. Die bloße Möglichkeit, geschweige denn die Wahrscheinlichkeit, daß England es in seinein Interesse finde, Italien gegen einen französischen Flottenangriff zu verteidigen, ist schon ein schweres Bedenken, das sich den kriegerischen Absichten der Franzosen in den Weg stellt, und diese Wnruuug ist handgreiflich, da Lord Salisbury nicht wohl dulden kann, daß Englands starker Nebenbuhler am Mittelmeere hier noch stärker wird. Anderseits sind die Ausdrücke von Wohl¬ wollen sür die Friedensfeinde in Frankreich und Rußland, die von einem Staatsmanne ausgehen, der wieder obcnanfkommen und sich der Leitung des englischen Einflusses auf die Angelegenheiten des Festlandes bemächtigen kann, eine unmittelbare Ermutigung jener beiden Mächte, den Frieden zu brechen. Es heißt in dem Artikel Gladstones, obwohl Deutschland und Österreich ganz recht gethan hätten, sich zu verbinden, sollte Italien sich von deren Bündnis fernhalten. Das läßt sich vom Standpunkte eiues Politikers wie Glad- stone leicht behaupten, wenn er nur auch bewiesen Hütte, daß Italien dann vor dem französischen Nachbar sicher wäre. Aber welcher Kenner der Geschichte, der sich auch nur oberflächlich der herkömmlichen französischen Politik in Be¬ treff der italienischen Halbinsel und der unruhigen Begehrlichkeit erinnerte, womit diese Politik in der jüngsten Zeit am Mittelmeere um sich gegriffen hat, wollte einem durch kein Bündnis geschützte» Italien eine solche Sicher¬ heit verbürgen? Wir sehen von seinen Interessen in Nordafrika ab. Aber was könnte die Pariser Regierung verlockenderes vor sich sehen, als eine Art Wiedergewinnung des bei Metz und Sedan ganz verlornen Kriegsruhmes auf den Ebnen im Süden der Alpen? Welch eine schöne Probe der Tüchtigkeit des neuen Heeres! Welch ein verheißungsvolles Vorspiel des größern Kampfes zwischen Vogesen und Rhein! Ein Vorwand, Italien zu bekriegen und wohl¬ feile Lorbeer» zur Bekränzung der Trikolore zu pflücken, wäre bald gefunden. Die französische Republik scheute sich 1849 nicht im mindesten, die damalige römische Schwester anzufallen und deu Papst wieder einzusetzen, die republi¬ kanische Regierung, die jetzt in Paris sitzt, würde nicht in Verlegenheit sein, einen ähnlichen Anlaß zum Einschreiten jenseits der Alpen zu entdecken. Diese augenscheinliche Gefahr ist es, die die Italiener genötigt hat, gewaltige Rüstungen zu Lande und zu Wasser vorzunehmen und, da sie nicht genügten, sich dem Bündnis der beiden mitteleuropäischen Mächte anzuschließen, von deuen allein ein uneigennütziger Beistand zu hoffen war. Gladstone ist also auch in dieser Beziehung ein verblendeter Politiker, ein Parteigänger des Un¬ verstandes und des Unrechts — kurz, wie er sich selbst ironisch bezeichnete, in Wahrheit ein Utidcmos.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/119
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/119>, abgerufen am 22.12.2024.