Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Glcidstone und der Dreibund

Nun scheint es allerdings, als ob Utidanvs-Gladstone sich den Dreibund
als eine Herausforderung zum Kriege und nicht als eine Vereinigung zum
Schutze des Friedens vorstelle, was bei seinem bekannten verschwommenen
Denken nicht allzu sehr Wunder nehmen kann. Es bedarf aber durchaus
keines besondern Scharfblicks und uur einer mäßigen Bekanntschaft mit den
Thatsachen, Verhältnissen und Ereignissen der europäischen Politik, nur sich zu
überzeugen, daß weder von Deutschland noch von Österreich-Ungarn noch auch
von Italien etwas für den Weltfrieden zu befürchten steht. Der Grund der
Friedensliebe dieser Staaten ist nicht in einer besondern angebornen Charaktcr-
cmlage und Auffassung der Dinge auf Seiten ihrer Regierungen und Völker zu
suchen, uicht in eiuer ausnahmsweise hohen Tugend und Gewissenhaftigkeit
ihrer Regenten und Parteien oder in einer milden Menschenfreundlichkeit, die
auch dann den Krieg scheut, wenn er notwendig ist, sondern darin, daß sie ihn
nicht uur nicht brauchen, sondern in ihrer gegenwärtigen Lage und voraus¬
sichtlich für die Zukunft alle erdenkliche Ursache haben, ihn zu scheuen- Sie
sind befriedigte und folglich konservative Mächte, die vollauf haben, was sie
bedürfen, und durch einen Krieg nichts gewinnen können, was ihn lohnte.
Das war einmal nicht so. Wir mußten uns kriegerisch mit Österreich aus¬
einandersetzen, weil der Dualismus uns fesselte und schwächte, und weil er
auf friedlichem Wege nicht zu beseitigen war. Wir bedurften im Norden und
im Westen einer bessern Grenze, um Frieden vor begehrlichen Nachbarn zu
haben, und diese Nachbarn gaben uns durch unvernünftige Angriffe das Recht
zur Befriedigung des Bedürfnisses. Aus ähnlichen Gründen mußte Österreich-
Ungarn sich durch Bosnien und die Herzegowina abrunden. Italien mußte
seine Einheit vollenden. Das alles ist jetzt erreicht, vollständig erreicht, und
keins der Glieder des Dreibundes kann billigerweise mehr verlangen, als was
es besitzt, alle können keinen andern Wunsch hegen, mindestens keinen wärmern
und lebhafter" Wunsch, als das Errungene zu bewahren, alle sind auf die
Verteidigung angewiesen. Ein Angriffskrieg ihrerseits ließe wenig Gewinn
hoffen, aber Verlust befürchten, also wünschen sie in aller Aufrichtigkeit die
Erhaltung des Friedens und haben reichliche Beweise dafür geliefert. Frank¬
reich und Rußland dagegen sind mißvergniigte Mächte, weil ihre vermeint¬
lichen Bedürfnisse nicht befriedigt sind. Jenes möchte Elsaß-Lothringen
wiedergewinnet!, weil es die Bedrohung Deutschlands erleichterte, ebenso sein
Ansehen in Europa, richtiger seinen Anspruch auf Vorherrschaft in Europa.
Rußland glaubt sich mit dem, was ihm sein "Befreiungskrieg" auf der Valkau-
halbinsel schließlich eingebracht hat, nicht hinreichend belohnt und mochte es
vervollständigen, d. h. wie im Frieden von San Stefano mittelbar oder wo
möglich unmittelbar an die See, an das Ägeische und mit diesen: an das
Mittelländische Meer gelangen. Beide sind infolge dessen auf Krieg, Störung
des Bestehenden, Umsturz der Verträge bedacht, kurz revolutionäre Mächte,


Glcidstone und der Dreibund

Nun scheint es allerdings, als ob Utidanvs-Gladstone sich den Dreibund
als eine Herausforderung zum Kriege und nicht als eine Vereinigung zum
Schutze des Friedens vorstelle, was bei seinem bekannten verschwommenen
Denken nicht allzu sehr Wunder nehmen kann. Es bedarf aber durchaus
keines besondern Scharfblicks und uur einer mäßigen Bekanntschaft mit den
Thatsachen, Verhältnissen und Ereignissen der europäischen Politik, nur sich zu
überzeugen, daß weder von Deutschland noch von Österreich-Ungarn noch auch
von Italien etwas für den Weltfrieden zu befürchten steht. Der Grund der
Friedensliebe dieser Staaten ist nicht in einer besondern angebornen Charaktcr-
cmlage und Auffassung der Dinge auf Seiten ihrer Regierungen und Völker zu
suchen, uicht in eiuer ausnahmsweise hohen Tugend und Gewissenhaftigkeit
ihrer Regenten und Parteien oder in einer milden Menschenfreundlichkeit, die
auch dann den Krieg scheut, wenn er notwendig ist, sondern darin, daß sie ihn
nicht uur nicht brauchen, sondern in ihrer gegenwärtigen Lage und voraus¬
sichtlich für die Zukunft alle erdenkliche Ursache haben, ihn zu scheuen- Sie
sind befriedigte und folglich konservative Mächte, die vollauf haben, was sie
bedürfen, und durch einen Krieg nichts gewinnen können, was ihn lohnte.
Das war einmal nicht so. Wir mußten uns kriegerisch mit Österreich aus¬
einandersetzen, weil der Dualismus uns fesselte und schwächte, und weil er
auf friedlichem Wege nicht zu beseitigen war. Wir bedurften im Norden und
im Westen einer bessern Grenze, um Frieden vor begehrlichen Nachbarn zu
haben, und diese Nachbarn gaben uns durch unvernünftige Angriffe das Recht
zur Befriedigung des Bedürfnisses. Aus ähnlichen Gründen mußte Österreich-
Ungarn sich durch Bosnien und die Herzegowina abrunden. Italien mußte
seine Einheit vollenden. Das alles ist jetzt erreicht, vollständig erreicht, und
keins der Glieder des Dreibundes kann billigerweise mehr verlangen, als was
es besitzt, alle können keinen andern Wunsch hegen, mindestens keinen wärmern
und lebhafter» Wunsch, als das Errungene zu bewahren, alle sind auf die
Verteidigung angewiesen. Ein Angriffskrieg ihrerseits ließe wenig Gewinn
hoffen, aber Verlust befürchten, also wünschen sie in aller Aufrichtigkeit die
Erhaltung des Friedens und haben reichliche Beweise dafür geliefert. Frank¬
reich und Rußland dagegen sind mißvergniigte Mächte, weil ihre vermeint¬
lichen Bedürfnisse nicht befriedigt sind. Jenes möchte Elsaß-Lothringen
wiedergewinnet!, weil es die Bedrohung Deutschlands erleichterte, ebenso sein
Ansehen in Europa, richtiger seinen Anspruch auf Vorherrschaft in Europa.
Rußland glaubt sich mit dem, was ihm sein „Befreiungskrieg" auf der Valkau-
halbinsel schließlich eingebracht hat, nicht hinreichend belohnt und mochte es
vervollständigen, d. h. wie im Frieden von San Stefano mittelbar oder wo
möglich unmittelbar an die See, an das Ägeische und mit diesen: an das
Mittelländische Meer gelangen. Beide sind infolge dessen auf Krieg, Störung
des Bestehenden, Umsturz der Verträge bedacht, kurz revolutionäre Mächte,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206117"/>
          <fw type="header" place="top"> Glcidstone und der Dreibund</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_429" next="#ID_430"> Nun scheint es allerdings, als ob Utidanvs-Gladstone sich den Dreibund<lb/>
als eine Herausforderung zum Kriege und nicht als eine Vereinigung zum<lb/>
Schutze des Friedens vorstelle, was bei seinem bekannten verschwommenen<lb/>
Denken nicht allzu sehr Wunder nehmen kann. Es bedarf aber durchaus<lb/>
keines besondern Scharfblicks und uur einer mäßigen Bekanntschaft mit den<lb/>
Thatsachen, Verhältnissen und Ereignissen der europäischen Politik, nur sich zu<lb/>
überzeugen, daß weder von Deutschland noch von Österreich-Ungarn noch auch<lb/>
von Italien etwas für den Weltfrieden zu befürchten steht. Der Grund der<lb/>
Friedensliebe dieser Staaten ist nicht in einer besondern angebornen Charaktcr-<lb/>
cmlage und Auffassung der Dinge auf Seiten ihrer Regierungen und Völker zu<lb/>
suchen, uicht in eiuer ausnahmsweise hohen Tugend und Gewissenhaftigkeit<lb/>
ihrer Regenten und Parteien oder in einer milden Menschenfreundlichkeit, die<lb/>
auch dann den Krieg scheut, wenn er notwendig ist, sondern darin, daß sie ihn<lb/>
nicht uur nicht brauchen, sondern in ihrer gegenwärtigen Lage und voraus¬<lb/>
sichtlich für die Zukunft alle erdenkliche Ursache haben, ihn zu scheuen- Sie<lb/>
sind befriedigte und folglich konservative Mächte, die vollauf haben, was sie<lb/>
bedürfen, und durch einen Krieg nichts gewinnen können, was ihn lohnte.<lb/>
Das war einmal nicht so. Wir mußten uns kriegerisch mit Österreich aus¬<lb/>
einandersetzen, weil der Dualismus uns fesselte und schwächte, und weil er<lb/>
auf friedlichem Wege nicht zu beseitigen war. Wir bedurften im Norden und<lb/>
im Westen einer bessern Grenze, um Frieden vor begehrlichen Nachbarn zu<lb/>
haben, und diese Nachbarn gaben uns durch unvernünftige Angriffe das Recht<lb/>
zur Befriedigung des Bedürfnisses. Aus ähnlichen Gründen mußte Österreich-<lb/>
Ungarn sich durch Bosnien und die Herzegowina abrunden. Italien mußte<lb/>
seine Einheit vollenden. Das alles ist jetzt erreicht, vollständig erreicht, und<lb/>
keins der Glieder des Dreibundes kann billigerweise mehr verlangen, als was<lb/>
es besitzt, alle können keinen andern Wunsch hegen, mindestens keinen wärmern<lb/>
und lebhafter» Wunsch, als das Errungene zu bewahren, alle sind auf die<lb/>
Verteidigung angewiesen. Ein Angriffskrieg ihrerseits ließe wenig Gewinn<lb/>
hoffen, aber Verlust befürchten, also wünschen sie in aller Aufrichtigkeit die<lb/>
Erhaltung des Friedens und haben reichliche Beweise dafür geliefert. Frank¬<lb/>
reich und Rußland dagegen sind mißvergniigte Mächte, weil ihre vermeint¬<lb/>
lichen Bedürfnisse nicht befriedigt sind. Jenes möchte Elsaß-Lothringen<lb/>
wiedergewinnet!, weil es die Bedrohung Deutschlands erleichterte, ebenso sein<lb/>
Ansehen in Europa, richtiger seinen Anspruch auf Vorherrschaft in Europa.<lb/>
Rußland glaubt sich mit dem, was ihm sein &#x201E;Befreiungskrieg" auf der Valkau-<lb/>
halbinsel schließlich eingebracht hat, nicht hinreichend belohnt und mochte es<lb/>
vervollständigen, d. h. wie im Frieden von San Stefano mittelbar oder wo<lb/>
möglich unmittelbar an die See, an das Ägeische und mit diesen: an das<lb/>
Mittelländische Meer gelangen. Beide sind infolge dessen auf Krieg, Störung<lb/>
des Bestehenden, Umsturz der Verträge bedacht, kurz revolutionäre Mächte,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0118] Glcidstone und der Dreibund Nun scheint es allerdings, als ob Utidanvs-Gladstone sich den Dreibund als eine Herausforderung zum Kriege und nicht als eine Vereinigung zum Schutze des Friedens vorstelle, was bei seinem bekannten verschwommenen Denken nicht allzu sehr Wunder nehmen kann. Es bedarf aber durchaus keines besondern Scharfblicks und uur einer mäßigen Bekanntschaft mit den Thatsachen, Verhältnissen und Ereignissen der europäischen Politik, nur sich zu überzeugen, daß weder von Deutschland noch von Österreich-Ungarn noch auch von Italien etwas für den Weltfrieden zu befürchten steht. Der Grund der Friedensliebe dieser Staaten ist nicht in einer besondern angebornen Charaktcr- cmlage und Auffassung der Dinge auf Seiten ihrer Regierungen und Völker zu suchen, uicht in eiuer ausnahmsweise hohen Tugend und Gewissenhaftigkeit ihrer Regenten und Parteien oder in einer milden Menschenfreundlichkeit, die auch dann den Krieg scheut, wenn er notwendig ist, sondern darin, daß sie ihn nicht uur nicht brauchen, sondern in ihrer gegenwärtigen Lage und voraus¬ sichtlich für die Zukunft alle erdenkliche Ursache haben, ihn zu scheuen- Sie sind befriedigte und folglich konservative Mächte, die vollauf haben, was sie bedürfen, und durch einen Krieg nichts gewinnen können, was ihn lohnte. Das war einmal nicht so. Wir mußten uns kriegerisch mit Österreich aus¬ einandersetzen, weil der Dualismus uns fesselte und schwächte, und weil er auf friedlichem Wege nicht zu beseitigen war. Wir bedurften im Norden und im Westen einer bessern Grenze, um Frieden vor begehrlichen Nachbarn zu haben, und diese Nachbarn gaben uns durch unvernünftige Angriffe das Recht zur Befriedigung des Bedürfnisses. Aus ähnlichen Gründen mußte Österreich- Ungarn sich durch Bosnien und die Herzegowina abrunden. Italien mußte seine Einheit vollenden. Das alles ist jetzt erreicht, vollständig erreicht, und keins der Glieder des Dreibundes kann billigerweise mehr verlangen, als was es besitzt, alle können keinen andern Wunsch hegen, mindestens keinen wärmern und lebhafter» Wunsch, als das Errungene zu bewahren, alle sind auf die Verteidigung angewiesen. Ein Angriffskrieg ihrerseits ließe wenig Gewinn hoffen, aber Verlust befürchten, also wünschen sie in aller Aufrichtigkeit die Erhaltung des Friedens und haben reichliche Beweise dafür geliefert. Frank¬ reich und Rußland dagegen sind mißvergniigte Mächte, weil ihre vermeint¬ lichen Bedürfnisse nicht befriedigt sind. Jenes möchte Elsaß-Lothringen wiedergewinnet!, weil es die Bedrohung Deutschlands erleichterte, ebenso sein Ansehen in Europa, richtiger seinen Anspruch auf Vorherrschaft in Europa. Rußland glaubt sich mit dem, was ihm sein „Befreiungskrieg" auf der Valkau- halbinsel schließlich eingebracht hat, nicht hinreichend belohnt und mochte es vervollständigen, d. h. wie im Frieden von San Stefano mittelbar oder wo möglich unmittelbar an die See, an das Ägeische und mit diesen: an das Mittelländische Meer gelangen. Beide sind infolge dessen auf Krieg, Störung des Bestehenden, Umsturz der Verträge bedacht, kurz revolutionäre Mächte,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/118
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/118>, abgerufen am 30.06.2024.