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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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und Beweise verläßt und versöhnliches Entgegenkommen der Anwendung vou
Gewaltmitteln vorzieht. Daß er Großbritannien zu einer Handlungsweise ohne
Rücksicht auf die Umstände verpflichtet habe, ist, auch als bloße Vermutung
ausgesprochen, eine Beleidigung ohne Grund und Boden, da ihr die gesamte
Haltung Salisburys widerspricht. Viel glaubwürdiger wäre ein solcher Vor¬
wurf bei der unklaren Leidenschaftlichkeit Gladstones, wenn er jetzt erster
Minister der Königin wäre. Diese Leidenschaftlichkeit und seine vvrurteilsvolle
Hinneigung zu den friedensfeindlichen Mächten des Festlandes offenbart sich
auch in seiner jetzigen Anklage. Denn die letztere schließt, unstreitig wenigstens
mittelbar, die Zusage des Führers der liberalen Opposition ein, daß er, wieder
an die Spitze der staatlichen Geschäfte Englands gestellt, seinen Einfluß nach
Möglichkeit anwenden würde, dem Dreibunde Schwierigkeiten in den Weg zu
legen, daß er ein Bündnis zwischen Frankreich und Rußland als etwas Natür¬
liches betrachten, daß er Italien nicht vor einer französischen Flotte schlitzen,
daß er mit Wohlgefallen die russische Herrschaft bis ans Mittelmeer ausgedehnt
und Elsaß-Lothringen wieder mit Frankreich vereinigt sehen würde. Das sind
Gedanken, denen sich jedes Parlamentsmitglied, das sür die Welt nichts zu
bedeuten hat, überlassen darf, ohne dafür verantwortlich zu sein, und die es'
auch öffentlich aussprechen kann, ohne Schaden damit anzurichten. Aber die
schwerste Verantwortlichkeit trifft dafür einen Mann, der eines Tages wieder
am Stantsrnder Englands stehen kann. Gelangte er wieder zur Gewalt,
und würde es ihm dadurch möglich, derartigen Gedanken Folge zu geben, ihre
Verwirklichung durch Handlungen oder auch uur durch Geschehenlassen zu be¬
günstigen, so wäre damit wahrscheinlich ein politischer Dammbrnch ohnegleichen
herbeigeführt, fo wäre das Zeichen zum gewaltigsten Kriege dieses Jahrhunderts
gegeben, zu einem Weltknmpfe, mit dem verglichen die Kriege Napoleons des
Ersten fast zwergenhaft erscheinen würden. Wäre es bei Lord Salisburh wirklich
vorschnell und unvorsichtig gewesen, wenn er den Italienern unbedingt und ohne
Rücksicht auf die möglicherweise dann eingetretenen Umstände Beistand gegen
einen Seenngriff der Franzosen versprochen hätte, so ist es ganz unzweifelhaft
noch weit unvorsichtiger, wenn Gladstone jetzt seine Sympathie für die beiden
Großmächte kund giebt, deren unruhige Begehrlichkeit und Nachsucht die eigent¬
liche und einzige Gefahr für den Frieden unsers Weltteils bilde". Allerdings
ruft er sie nicht geradezu zum Kriege auf, denn das kann er nicht. Er sagt
nur ganz friedsam zu den Russen und Franzosen, seinen alten Lieblingen: Eure
Ansprüche sind gerecht, eure Sache verdient unser Wohlwollen, unsre besten
Wünsche. Italien sollte sich euch dabei nicht in den Weg stellen, und England
hofft, euch als Sieger aus dem Kampfe hervorgehen zu sehen. Aber auch diese
anscheinend friedliche oder, wie die Diplomaten sagen, akademische Erklärung
ist unvorsichtig und gefährlich; denn nicht sowohl was sie sagt, ist gegen den
Frieden, sondern was sie verschweigt.


Gi^dstone und der Dreibund

und Beweise verläßt und versöhnliches Entgegenkommen der Anwendung vou
Gewaltmitteln vorzieht. Daß er Großbritannien zu einer Handlungsweise ohne
Rücksicht auf die Umstände verpflichtet habe, ist, auch als bloße Vermutung
ausgesprochen, eine Beleidigung ohne Grund und Boden, da ihr die gesamte
Haltung Salisburys widerspricht. Viel glaubwürdiger wäre ein solcher Vor¬
wurf bei der unklaren Leidenschaftlichkeit Gladstones, wenn er jetzt erster
Minister der Königin wäre. Diese Leidenschaftlichkeit und seine vvrurteilsvolle
Hinneigung zu den friedensfeindlichen Mächten des Festlandes offenbart sich
auch in seiner jetzigen Anklage. Denn die letztere schließt, unstreitig wenigstens
mittelbar, die Zusage des Führers der liberalen Opposition ein, daß er, wieder
an die Spitze der staatlichen Geschäfte Englands gestellt, seinen Einfluß nach
Möglichkeit anwenden würde, dem Dreibunde Schwierigkeiten in den Weg zu
legen, daß er ein Bündnis zwischen Frankreich und Rußland als etwas Natür¬
liches betrachten, daß er Italien nicht vor einer französischen Flotte schlitzen,
daß er mit Wohlgefallen die russische Herrschaft bis ans Mittelmeer ausgedehnt
und Elsaß-Lothringen wieder mit Frankreich vereinigt sehen würde. Das sind
Gedanken, denen sich jedes Parlamentsmitglied, das sür die Welt nichts zu
bedeuten hat, überlassen darf, ohne dafür verantwortlich zu sein, und die es'
auch öffentlich aussprechen kann, ohne Schaden damit anzurichten. Aber die
schwerste Verantwortlichkeit trifft dafür einen Mann, der eines Tages wieder
am Stantsrnder Englands stehen kann. Gelangte er wieder zur Gewalt,
und würde es ihm dadurch möglich, derartigen Gedanken Folge zu geben, ihre
Verwirklichung durch Handlungen oder auch uur durch Geschehenlassen zu be¬
günstigen, so wäre damit wahrscheinlich ein politischer Dammbrnch ohnegleichen
herbeigeführt, fo wäre das Zeichen zum gewaltigsten Kriege dieses Jahrhunderts
gegeben, zu einem Weltknmpfe, mit dem verglichen die Kriege Napoleons des
Ersten fast zwergenhaft erscheinen würden. Wäre es bei Lord Salisburh wirklich
vorschnell und unvorsichtig gewesen, wenn er den Italienern unbedingt und ohne
Rücksicht auf die möglicherweise dann eingetretenen Umstände Beistand gegen
einen Seenngriff der Franzosen versprochen hätte, so ist es ganz unzweifelhaft
noch weit unvorsichtiger, wenn Gladstone jetzt seine Sympathie für die beiden
Großmächte kund giebt, deren unruhige Begehrlichkeit und Nachsucht die eigent¬
liche und einzige Gefahr für den Frieden unsers Weltteils bilde». Allerdings
ruft er sie nicht geradezu zum Kriege auf, denn das kann er nicht. Er sagt
nur ganz friedsam zu den Russen und Franzosen, seinen alten Lieblingen: Eure
Ansprüche sind gerecht, eure Sache verdient unser Wohlwollen, unsre besten
Wünsche. Italien sollte sich euch dabei nicht in den Weg stellen, und England
hofft, euch als Sieger aus dem Kampfe hervorgehen zu sehen. Aber auch diese
anscheinend friedliche oder, wie die Diplomaten sagen, akademische Erklärung
ist unvorsichtig und gefährlich; denn nicht sowohl was sie sagt, ist gegen den
Frieden, sondern was sie verschweigt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/117>, abgerufen am 30.06.2024.