Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Frauenfrage

beizubringen, sie eben so fern zu halten von mystisch-romantischer Verschwommen¬
heit wie von überspannten Emauzipativnsgelnsten und in ihre Seelen immer
tiefer das eherne Sittengesetz des Pflichtgefühls zu pflanzen. "Die Mädchen
sollen lernen, daß die Ehe kein Paradies und die Mutterschaft kein Zuckerlecken
ist, sie sollen lernen, daß, gerade weil dem so ist, des Weibes Verdienst und
sittliche Hoheit darin liegt, opferwillig und opferfreudig deu Beruf seines Ge¬
schlechts zu erfüllen."

Allein wir sind mit unsrer Altjungfernerziehung nach Hartmnnu so weit
gekommen, daß der natürliche Fraueuberuf gar uicht mehr als lÄLdion-M" gilt,
daß deu Mädchen die höchste ihrer sittlichen Aufgaben in ein bedenkliches Licht
gerückt wird, daß sie z. B. die Nase darüber rümpfen, wenn ihre verheiratete
Schulfreuudiu pünktlich nach neun Monaten ein Kind bekommt, daß sie sich
mit spöttisch verzogne" Mundwinkeln mitteilen, wenn eine Andre "schon wieder
einmal" guter Hoffnung ist. Hartmann bezeichnet diese künstlich anerzvgne
Mißachtung des Frauenberufs als das kultlirgefährlichste Gift, das in unsre
gebildeten Kreise gedrungen ist und unzweifelhaft zu einer sittlichen Auflösung
führen muß. Er klagt die moderne Mädchenerziehung an, daß sie gleich dem
Strauß deu ,^'vpf unter den Flügel stecke, um nur nicht die Aufgaben des
normalen Geschlechtslebens zu sehen, um uur uicht den lieben unschuldigen
Mädchen zu sagen, daß in der Ehe und Mutterschaft gerade die höchste Sitt¬
lichkeit, die ethische Vollendung des Weibes liege. Bei einem weiblichen Wesen,
das seine natürliche Bestimmung nicht erreicht hat, ist nun allerdings die Ge¬
fahr nahe, daß es zur eignen Beruhigung die wahre und einzige Bedeutung
des Weibes verkeimt, absichtlich heruntersetzt und so bei der Erziehung von
Mädchen diskreditirend auf die Wertschätzung und Würdigung des natürlichen
Frauenberufs einwirkt. Demnach muß Hartmann unverheiratete Lehrerinnen
von dem Unterricht und der Erziehung ültrer Mädchen gänzlich ausschließen.
Aber noch aus einem andern Grunde sind die Frauen wenig zu einer Erziehung
befähigt, die durch eine fortschreitende Kulturentwicklung der Menschheit vor-
geschrieben ist. Die Frauen verharren nach Hartmann infolge ihrer geistigen
und physiologischen Eigentümlichkeiten in einem sozial-eudämonistischen Moral-
Prinzip, das nichts mit einem abstrakten Gemeinwohl zu thun haben will,
sondern sich nur auf das Wohl der deu Frauen nahestehenden konkreten In¬
dividuen bezieht, um die Zukunft der ganzen Menschheit, um den Entwick¬
lungsprozeß der Kultur, um den Sieg ihrer Rasse im Kampf ums Dasein
kümmern sich die Weiber in echtem Spießbnrgersinn uicht im mindesten. Daher
vermißt Hartmann gerade in der deutschen Frauenwelt einen gesunden und ans
klarer Überzeugung ruhenden Patriotismus, ein warmes und stolzes National¬
gefühl; gerade der geschichtliche Sinn, eine freie geschichtliche Weltanschauung,
eine bleibende Begeisterung für das Kultnrprinzip der Entwicklung fehlt noch
deu deutscheu Frauen und muß daher vor allem unsrer weiblichen Jugend


Zur Frauenfrage

beizubringen, sie eben so fern zu halten von mystisch-romantischer Verschwommen¬
heit wie von überspannten Emauzipativnsgelnsten und in ihre Seelen immer
tiefer das eherne Sittengesetz des Pflichtgefühls zu pflanzen. „Die Mädchen
sollen lernen, daß die Ehe kein Paradies und die Mutterschaft kein Zuckerlecken
ist, sie sollen lernen, daß, gerade weil dem so ist, des Weibes Verdienst und
sittliche Hoheit darin liegt, opferwillig und opferfreudig deu Beruf seines Ge¬
schlechts zu erfüllen."

Allein wir sind mit unsrer Altjungfernerziehung nach Hartmnnu so weit
gekommen, daß der natürliche Fraueuberuf gar uicht mehr als lÄLdion-M« gilt,
daß deu Mädchen die höchste ihrer sittlichen Aufgaben in ein bedenkliches Licht
gerückt wird, daß sie z. B. die Nase darüber rümpfen, wenn ihre verheiratete
Schulfreuudiu pünktlich nach neun Monaten ein Kind bekommt, daß sie sich
mit spöttisch verzogne» Mundwinkeln mitteilen, wenn eine Andre „schon wieder
einmal" guter Hoffnung ist. Hartmann bezeichnet diese künstlich anerzvgne
Mißachtung des Frauenberufs als das kultlirgefährlichste Gift, das in unsre
gebildeten Kreise gedrungen ist und unzweifelhaft zu einer sittlichen Auflösung
führen muß. Er klagt die moderne Mädchenerziehung an, daß sie gleich dem
Strauß deu ,^'vpf unter den Flügel stecke, um nur nicht die Aufgaben des
normalen Geschlechtslebens zu sehen, um uur uicht den lieben unschuldigen
Mädchen zu sagen, daß in der Ehe und Mutterschaft gerade die höchste Sitt¬
lichkeit, die ethische Vollendung des Weibes liege. Bei einem weiblichen Wesen,
das seine natürliche Bestimmung nicht erreicht hat, ist nun allerdings die Ge¬
fahr nahe, daß es zur eignen Beruhigung die wahre und einzige Bedeutung
des Weibes verkeimt, absichtlich heruntersetzt und so bei der Erziehung von
Mädchen diskreditirend auf die Wertschätzung und Würdigung des natürlichen
Frauenberufs einwirkt. Demnach muß Hartmann unverheiratete Lehrerinnen
von dem Unterricht und der Erziehung ültrer Mädchen gänzlich ausschließen.
Aber noch aus einem andern Grunde sind die Frauen wenig zu einer Erziehung
befähigt, die durch eine fortschreitende Kulturentwicklung der Menschheit vor-
geschrieben ist. Die Frauen verharren nach Hartmann infolge ihrer geistigen
und physiologischen Eigentümlichkeiten in einem sozial-eudämonistischen Moral-
Prinzip, das nichts mit einem abstrakten Gemeinwohl zu thun haben will,
sondern sich nur auf das Wohl der deu Frauen nahestehenden konkreten In¬
dividuen bezieht, um die Zukunft der ganzen Menschheit, um den Entwick¬
lungsprozeß der Kultur, um den Sieg ihrer Rasse im Kampf ums Dasein
kümmern sich die Weiber in echtem Spießbnrgersinn uicht im mindesten. Daher
vermißt Hartmann gerade in der deutschen Frauenwelt einen gesunden und ans
klarer Überzeugung ruhenden Patriotismus, ein warmes und stolzes National¬
gefühl; gerade der geschichtliche Sinn, eine freie geschichtliche Weltanschauung,
eine bleibende Begeisterung für das Kultnrprinzip der Entwicklung fehlt noch
deu deutscheu Frauen und muß daher vor allem unsrer weiblichen Jugend


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204826"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Frauenfrage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_234" prev="#ID_233"> beizubringen, sie eben so fern zu halten von mystisch-romantischer Verschwommen¬<lb/>
heit wie von überspannten Emauzipativnsgelnsten und in ihre Seelen immer<lb/>
tiefer das eherne Sittengesetz des Pflichtgefühls zu pflanzen. &#x201E;Die Mädchen<lb/>
sollen lernen, daß die Ehe kein Paradies und die Mutterschaft kein Zuckerlecken<lb/>
ist, sie sollen lernen, daß, gerade weil dem so ist, des Weibes Verdienst und<lb/>
sittliche Hoheit darin liegt, opferwillig und opferfreudig deu Beruf seines Ge¬<lb/>
schlechts zu erfüllen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_235" next="#ID_236"> Allein wir sind mit unsrer Altjungfernerziehung nach Hartmnnu so weit<lb/>
gekommen, daß der natürliche Fraueuberuf gar uicht mehr als lÄLdion-M« gilt,<lb/>
daß deu Mädchen die höchste ihrer sittlichen Aufgaben in ein bedenkliches Licht<lb/>
gerückt wird, daß sie z. B. die Nase darüber rümpfen, wenn ihre verheiratete<lb/>
Schulfreuudiu pünktlich nach neun Monaten ein Kind bekommt, daß sie sich<lb/>
mit spöttisch verzogne» Mundwinkeln mitteilen, wenn eine Andre &#x201E;schon wieder<lb/>
einmal" guter Hoffnung ist. Hartmann bezeichnet diese künstlich anerzvgne<lb/>
Mißachtung des Frauenberufs als das kultlirgefährlichste Gift, das in unsre<lb/>
gebildeten Kreise gedrungen ist und unzweifelhaft zu einer sittlichen Auflösung<lb/>
führen muß. Er klagt die moderne Mädchenerziehung an, daß sie gleich dem<lb/>
Strauß deu ,^'vpf unter den Flügel stecke, um nur nicht die Aufgaben des<lb/>
normalen Geschlechtslebens zu sehen, um uur uicht den lieben unschuldigen<lb/>
Mädchen zu sagen, daß in der Ehe und Mutterschaft gerade die höchste Sitt¬<lb/>
lichkeit, die ethische Vollendung des Weibes liege. Bei einem weiblichen Wesen,<lb/>
das seine natürliche Bestimmung nicht erreicht hat, ist nun allerdings die Ge¬<lb/>
fahr nahe, daß es zur eignen Beruhigung die wahre und einzige Bedeutung<lb/>
des Weibes verkeimt, absichtlich heruntersetzt und so bei der Erziehung von<lb/>
Mädchen diskreditirend auf die Wertschätzung und Würdigung des natürlichen<lb/>
Frauenberufs einwirkt. Demnach muß Hartmann unverheiratete Lehrerinnen<lb/>
von dem Unterricht und der Erziehung ültrer Mädchen gänzlich ausschließen.<lb/>
Aber noch aus einem andern Grunde sind die Frauen wenig zu einer Erziehung<lb/>
befähigt, die durch eine fortschreitende Kulturentwicklung der Menschheit vor-<lb/>
geschrieben ist. Die Frauen verharren nach Hartmann infolge ihrer geistigen<lb/>
und physiologischen Eigentümlichkeiten in einem sozial-eudämonistischen Moral-<lb/>
Prinzip, das nichts mit einem abstrakten Gemeinwohl zu thun haben will,<lb/>
sondern sich nur auf das Wohl der deu Frauen nahestehenden konkreten In¬<lb/>
dividuen bezieht, um die Zukunft der ganzen Menschheit, um den Entwick¬<lb/>
lungsprozeß der Kultur, um den Sieg ihrer Rasse im Kampf ums Dasein<lb/>
kümmern sich die Weiber in echtem Spießbnrgersinn uicht im mindesten. Daher<lb/>
vermißt Hartmann gerade in der deutschen Frauenwelt einen gesunden und ans<lb/>
klarer Überzeugung ruhenden Patriotismus, ein warmes und stolzes National¬<lb/>
gefühl; gerade der geschichtliche Sinn, eine freie geschichtliche Weltanschauung,<lb/>
eine bleibende Begeisterung für das Kultnrprinzip der Entwicklung fehlt noch<lb/>
deu deutscheu Frauen und muß daher vor allem unsrer weiblichen Jugend</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] Zur Frauenfrage beizubringen, sie eben so fern zu halten von mystisch-romantischer Verschwommen¬ heit wie von überspannten Emauzipativnsgelnsten und in ihre Seelen immer tiefer das eherne Sittengesetz des Pflichtgefühls zu pflanzen. „Die Mädchen sollen lernen, daß die Ehe kein Paradies und die Mutterschaft kein Zuckerlecken ist, sie sollen lernen, daß, gerade weil dem so ist, des Weibes Verdienst und sittliche Hoheit darin liegt, opferwillig und opferfreudig deu Beruf seines Ge¬ schlechts zu erfüllen." Allein wir sind mit unsrer Altjungfernerziehung nach Hartmnnu so weit gekommen, daß der natürliche Fraueuberuf gar uicht mehr als lÄLdion-M« gilt, daß deu Mädchen die höchste ihrer sittlichen Aufgaben in ein bedenkliches Licht gerückt wird, daß sie z. B. die Nase darüber rümpfen, wenn ihre verheiratete Schulfreuudiu pünktlich nach neun Monaten ein Kind bekommt, daß sie sich mit spöttisch verzogne» Mundwinkeln mitteilen, wenn eine Andre „schon wieder einmal" guter Hoffnung ist. Hartmann bezeichnet diese künstlich anerzvgne Mißachtung des Frauenberufs als das kultlirgefährlichste Gift, das in unsre gebildeten Kreise gedrungen ist und unzweifelhaft zu einer sittlichen Auflösung führen muß. Er klagt die moderne Mädchenerziehung an, daß sie gleich dem Strauß deu ,^'vpf unter den Flügel stecke, um nur nicht die Aufgaben des normalen Geschlechtslebens zu sehen, um uur uicht den lieben unschuldigen Mädchen zu sagen, daß in der Ehe und Mutterschaft gerade die höchste Sitt¬ lichkeit, die ethische Vollendung des Weibes liege. Bei einem weiblichen Wesen, das seine natürliche Bestimmung nicht erreicht hat, ist nun allerdings die Ge¬ fahr nahe, daß es zur eignen Beruhigung die wahre und einzige Bedeutung des Weibes verkeimt, absichtlich heruntersetzt und so bei der Erziehung von Mädchen diskreditirend auf die Wertschätzung und Würdigung des natürlichen Frauenberufs einwirkt. Demnach muß Hartmann unverheiratete Lehrerinnen von dem Unterricht und der Erziehung ültrer Mädchen gänzlich ausschließen. Aber noch aus einem andern Grunde sind die Frauen wenig zu einer Erziehung befähigt, die durch eine fortschreitende Kulturentwicklung der Menschheit vor- geschrieben ist. Die Frauen verharren nach Hartmann infolge ihrer geistigen und physiologischen Eigentümlichkeiten in einem sozial-eudämonistischen Moral- Prinzip, das nichts mit einem abstrakten Gemeinwohl zu thun haben will, sondern sich nur auf das Wohl der deu Frauen nahestehenden konkreten In¬ dividuen bezieht, um die Zukunft der ganzen Menschheit, um den Entwick¬ lungsprozeß der Kultur, um den Sieg ihrer Rasse im Kampf ums Dasein kümmern sich die Weiber in echtem Spießbnrgersinn uicht im mindesten. Daher vermißt Hartmann gerade in der deutschen Frauenwelt einen gesunden und ans klarer Überzeugung ruhenden Patriotismus, ein warmes und stolzes National¬ gefühl; gerade der geschichtliche Sinn, eine freie geschichtliche Weltanschauung, eine bleibende Begeisterung für das Kultnrprinzip der Entwicklung fehlt noch deu deutscheu Frauen und muß daher vor allem unsrer weiblichen Jugend

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/95
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/95>, abgerufen am 05.02.2025.