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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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einzig und allem dafür sorge, ans den Bindern verständige und brauchbare
Menschen herauzubilde". Daher stammen denn anch gerade aus diesen Kreisen,
die an ihren Töchtern am meisten sündigen, die heftigsten Angriffe auf die
Schule, die Lehrer lind die Unterrichtsmethode.

Hartmann hätte also nicht die höhere Mädchenschule, sondern das verrottete
Familienleben für die unerfreulichen Erscheinungen in unsrer weiblichen Jugend
verantwortlich macheu sollen, damit würde ihm auch eine viel festere Grundlage
für seine Behauptung geboten worden sein, daß unsre weibliche Jugend in
das jeden Kulturfortschritt aufhebende svzialendämvnistische Moralprinzip hinein-
geraten sei, daß die bis dahin geübte Gefühls- und Geschmacksmvral nicht
mehr genüge, daß man anch die weibliche Erziehung immer mehr auf die
Vernunftmoral, ans den kategorischen Imperativ des Pflichtgefühls gründen
müsse. Alle Sittlichkeit ist nach Hartmnnn Kulturkampf, d. h. heißes Kämpfen
und Ringen um die Erhaltung und Steigerung der Kultur. Den Mädchen
kann daher nicht früh genug klar gemacht werden, daß sie ebensowenig wie
die Männer auf der Welt seien, um zu genießen, individuelle Glückseligkeit
zu erstreben, sondern um zu dienen, nicht den Männern, wie man meint, sondern
ihrem natürlichen und einzigen Berufe, und daß ihr Beruf darin bestehe, dem
Vaterlande fo viel wie möglich tüchtige und wohlerzogne Bürger zuzuführen,
um es im Kampf ums Dasein der Nationen konkurrenzfähig lind siegreich zu
erhalten. (Moderne Probleme S. 58.)

Die sittliche Aufgabe des Weibes besteht nach Hartmann "ur darin, un¬
mittelbar an den: Kulturfortschritte mitzuarbeiten. Je mehr sich ein Krieg
in die Lauge zieht, desto wichtiger und notwendiger ist die Ausbildung der
Reserven. Der langwierigste Krieg bleibt aber der Kulturkampf der Mensch¬
heit. Hierzu hat das Weib die Neservetruppen zu liefern. "Während der
Kampfplatz des Mannes das Schlachtfeld und die Werkstatt der Hand und des
Gedankens ist, schlägt das Weib die Schlachten des Lebens im Wochenbett
und in der Kinderstube, und man kann nicht sagen, daß ihm dabei der leichtere
Anteil Angefallen sei."

Die ganze Frauenfrage ist nach Hartmann nicht dadurch zu löse", das;
mau die Mädchen zu selbständigen Berufsarten erzieht, sondern daß man die
Gründe für die wachsende Ehelosigkeit und Heiratsverspätnng beseitigt, daß
man einerseits den materiellen Egoismus der Junggesellen ans alle Weise
brandmarkt und anderseits die Mädchen wieder zu praktischen Wesen erzieht,
die sich nicht für zu gut halten, alle Verrichtungen im Hauswesen und Familien
leben selbst auszuführen. Früher ruhte der Opfermut der Frauen auf den
Geduldsmvtiven, auf dem religiösen Glanben, ans optimistischen Illusionen;
diese Motive schwinden dnrch den Einfluß der modernen Weltanschauung immer
mehr dahin. Deshalb tritt an die Gegenwart die pädagogische Aufgabe, den
Mädchen das klare und sittliche Bewußtsein von ihrer hohen Knltnrnnfgabe


»)ur L^^ueufrage

einzig und allem dafür sorge, ans den Bindern verständige und brauchbare
Menschen herauzubilde». Daher stammen denn anch gerade aus diesen Kreisen,
die an ihren Töchtern am meisten sündigen, die heftigsten Angriffe auf die
Schule, die Lehrer lind die Unterrichtsmethode.

Hartmann hätte also nicht die höhere Mädchenschule, sondern das verrottete
Familienleben für die unerfreulichen Erscheinungen in unsrer weiblichen Jugend
verantwortlich macheu sollen, damit würde ihm auch eine viel festere Grundlage
für seine Behauptung geboten worden sein, daß unsre weibliche Jugend in
das jeden Kulturfortschritt aufhebende svzialendämvnistische Moralprinzip hinein-
geraten sei, daß die bis dahin geübte Gefühls- und Geschmacksmvral nicht
mehr genüge, daß man anch die weibliche Erziehung immer mehr auf die
Vernunftmoral, ans den kategorischen Imperativ des Pflichtgefühls gründen
müsse. Alle Sittlichkeit ist nach Hartmnnn Kulturkampf, d. h. heißes Kämpfen
und Ringen um die Erhaltung und Steigerung der Kultur. Den Mädchen
kann daher nicht früh genug klar gemacht werden, daß sie ebensowenig wie
die Männer auf der Welt seien, um zu genießen, individuelle Glückseligkeit
zu erstreben, sondern um zu dienen, nicht den Männern, wie man meint, sondern
ihrem natürlichen und einzigen Berufe, und daß ihr Beruf darin bestehe, dem
Vaterlande fo viel wie möglich tüchtige und wohlerzogne Bürger zuzuführen,
um es im Kampf ums Dasein der Nationen konkurrenzfähig lind siegreich zu
erhalten. (Moderne Probleme S. 58.)

Die sittliche Aufgabe des Weibes besteht nach Hartmann »ur darin, un¬
mittelbar an den: Kulturfortschritte mitzuarbeiten. Je mehr sich ein Krieg
in die Lauge zieht, desto wichtiger und notwendiger ist die Ausbildung der
Reserven. Der langwierigste Krieg bleibt aber der Kulturkampf der Mensch¬
heit. Hierzu hat das Weib die Neservetruppen zu liefern. „Während der
Kampfplatz des Mannes das Schlachtfeld und die Werkstatt der Hand und des
Gedankens ist, schlägt das Weib die Schlachten des Lebens im Wochenbett
und in der Kinderstube, und man kann nicht sagen, daß ihm dabei der leichtere
Anteil Angefallen sei."

Die ganze Frauenfrage ist nach Hartmann nicht dadurch zu löse», das;
mau die Mädchen zu selbständigen Berufsarten erzieht, sondern daß man die
Gründe für die wachsende Ehelosigkeit und Heiratsverspätnng beseitigt, daß
man einerseits den materiellen Egoismus der Junggesellen ans alle Weise
brandmarkt und anderseits die Mädchen wieder zu praktischen Wesen erzieht,
die sich nicht für zu gut halten, alle Verrichtungen im Hauswesen und Familien
leben selbst auszuführen. Früher ruhte der Opfermut der Frauen auf den
Geduldsmvtiven, auf dem religiösen Glanben, ans optimistischen Illusionen;
diese Motive schwinden dnrch den Einfluß der modernen Weltanschauung immer
mehr dahin. Deshalb tritt an die Gegenwart die pädagogische Aufgabe, den
Mädchen das klare und sittliche Bewußtsein von ihrer hohen Knltnrnnfgabe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/94>, abgerufen am 05.02.2025.