Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Mmizoni und Goethe
Mit dein Zusammenbruche der politischen mit nationalen Hoffnungen Mmizoni und Goethe
Mit dein Zusammenbruche der politischen mit nationalen Hoffnungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204813"/> <fw type="header" place="top"> Mmizoni und Goethe</fw><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_4" type="poem"> <l> Erst verachtet, nun ein Verächter,<lb/> Zehrt er heimlich auf<lb/> Seinen eignen Wert<lb/> In ungenügender Selbstsucht.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_199"> Mit dein Zusammenbruche der politischen mit nationalen Hoffnungen<lb/> durch die Restauration von 1814—181l> in Verbindung mit der natürlichen<lb/> Reaktion des religiöse» Geistes gegen den Skeptizismus und Atheismus, die<lb/> das letztvergangene halbe Jahrhundert beherrschten, mit den sich wieder geltend<lb/> machenden Bedürfnissen des Gemüts und der Phantasie gegen die trocken ver¬<lb/> standesmäßige Auffassung der Aufklärungsperiode und mit dem Überdruß an<lb/> dein leeren Formenkram und der geistlosen Nachbeterei, die sich uoch immer<lb/> als Klassizismus breit machten, begann eine neue Periode dichterischer Auf¬<lb/> fassung und Thätigkeit zunächst im Norden der Halbinsel. Wie bei uns in<lb/> Deutschland, hatte das großartige Geschichtsdrama, das sich vor den Augen<lb/> der Zeitgenossen abgespielt hatte, zugleich erschütternd, erhebend und befreiend<lb/> auf die Gemüter gewirkt. Wo sich so ungeheures in den Geschicken der Volker<lb/> vollzog, mußte auch die Poesie aus ihren engen Schranken hervortreten und<lb/> in Inhalt und Form „der Menschheit großen Gegenständen" gerecht zu werden,<lb/> der großen Zeit zu entsprechen suchen. Dazu kam die allmählich in weitere<lb/> Kreise dringende Bekanntschaft mit den nordischen Litteraturen, namentlich der<lb/> deutschen und englischen. Die Kenntnis der erster» ward den Italienern da¬<lb/> mals hauptsächlich durch Frau von Staclls Buch I)o 1'^.1loing.Sön6 vermittelt.<lb/> Aber auch unmittelbar hat die geistvolle Frau einen großen Einfluß auf<lb/> die neue italienische Dichterschule geübt. Ihr Ausspruch in dem Werke: I)e<lb/> .br littörktturc! oonsicköröe, clans Los rapports u.v<z<z los Institntions sooml«zö> daß,<lb/> nachdem die Revolution und die darauf gesetzten Hoffnungen gescheitert seien,<lb/> die Aufgabe nunmehr darin bestehe, in Philosophie und Litteratur die Zukunft<lb/> ahnend aufbauen zu helfen, bis es einer gereifter» Weisheit möglich sein werde,<lb/> sie auch in den Errichtungen zu begründen, wurde gewissermaßen das Feldgeschrei<lb/> der jungen Dichter. Wer sein Vaterland liebte und offne Angen für das Er¬<lb/> reichbare hatte, mußte anerkennen, daß der Kampf um die nationalen und<lb/> freiheitlichen Güter zunächst nur mit geistigen Waffen gefochten werden, und<lb/> daß die verweichlichte und entsittlichte Nation erst durch eine neue geistige und<lb/> sittliche Erziehung wiedergeboren, zur Freiheit und Selbständigkeit befähigt<lb/> werden mußte. Zugleich erkannte man, daß die Stoffe der Dichterwerke mög¬<lb/> lichst der Gegenwart oder doch der nationalen Vergangenheit, so weit sie noch<lb/> im Volke lebte, entnommen werden mußten, daß die ganze Anschauungs- und<lb/> BeHandlungsweise der eiguen Volkstümlichkeit entsprechen, daß mau, wie Goethe<lb/> sich ausdrückt, jeden zum Zeitgenossen seiner selbst machen und ihn dadurch in<lb/> ein behagliches Element versetzen müsse. Das waren die Grundgedanken, ans<lb/> denen die neue romantische Schule hervorging.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
Mmizoni und Goethe
Erst verachtet, nun ein Verächter,
Zehrt er heimlich auf
Seinen eignen Wert
In ungenügender Selbstsucht.
Mit dein Zusammenbruche der politischen mit nationalen Hoffnungen
durch die Restauration von 1814—181l> in Verbindung mit der natürlichen
Reaktion des religiöse» Geistes gegen den Skeptizismus und Atheismus, die
das letztvergangene halbe Jahrhundert beherrschten, mit den sich wieder geltend
machenden Bedürfnissen des Gemüts und der Phantasie gegen die trocken ver¬
standesmäßige Auffassung der Aufklärungsperiode und mit dem Überdruß an
dein leeren Formenkram und der geistlosen Nachbeterei, die sich uoch immer
als Klassizismus breit machten, begann eine neue Periode dichterischer Auf¬
fassung und Thätigkeit zunächst im Norden der Halbinsel. Wie bei uns in
Deutschland, hatte das großartige Geschichtsdrama, das sich vor den Augen
der Zeitgenossen abgespielt hatte, zugleich erschütternd, erhebend und befreiend
auf die Gemüter gewirkt. Wo sich so ungeheures in den Geschicken der Volker
vollzog, mußte auch die Poesie aus ihren engen Schranken hervortreten und
in Inhalt und Form „der Menschheit großen Gegenständen" gerecht zu werden,
der großen Zeit zu entsprechen suchen. Dazu kam die allmählich in weitere
Kreise dringende Bekanntschaft mit den nordischen Litteraturen, namentlich der
deutschen und englischen. Die Kenntnis der erster» ward den Italienern da¬
mals hauptsächlich durch Frau von Staclls Buch I)o 1'^.1loing.Sön6 vermittelt.
Aber auch unmittelbar hat die geistvolle Frau einen großen Einfluß auf
die neue italienische Dichterschule geübt. Ihr Ausspruch in dem Werke: I)e
.br littörktturc! oonsicköröe, clans Los rapports u.v<z<z los Institntions sooml«zö> daß,
nachdem die Revolution und die darauf gesetzten Hoffnungen gescheitert seien,
die Aufgabe nunmehr darin bestehe, in Philosophie und Litteratur die Zukunft
ahnend aufbauen zu helfen, bis es einer gereifter» Weisheit möglich sein werde,
sie auch in den Errichtungen zu begründen, wurde gewissermaßen das Feldgeschrei
der jungen Dichter. Wer sein Vaterland liebte und offne Angen für das Er¬
reichbare hatte, mußte anerkennen, daß der Kampf um die nationalen und
freiheitlichen Güter zunächst nur mit geistigen Waffen gefochten werden, und
daß die verweichlichte und entsittlichte Nation erst durch eine neue geistige und
sittliche Erziehung wiedergeboren, zur Freiheit und Selbständigkeit befähigt
werden mußte. Zugleich erkannte man, daß die Stoffe der Dichterwerke mög¬
lichst der Gegenwart oder doch der nationalen Vergangenheit, so weit sie noch
im Volke lebte, entnommen werden mußten, daß die ganze Anschauungs- und
BeHandlungsweise der eiguen Volkstümlichkeit entsprechen, daß mau, wie Goethe
sich ausdrückt, jeden zum Zeitgenossen seiner selbst machen und ihn dadurch in
ein behagliches Element versetzen müsse. Das waren die Grundgedanken, ans
denen die neue romantische Schule hervorging.
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