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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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L. Mariotti sagt: Unter Rvmantizismns verstehen die Italiener die Har¬
monie der Litteratur mit ihrer Zeit und ihrem Vaterlande, ihren Einfluß auf
die Gefühle, die Bedürfnisse, den Glauben, die Erinnerungen und die höchste
Bestimmung des Menschen in den verschiednen Stadien der Gesellschaft, kurz
die Übereinstimmung mit dem ganzen geistigen Inhalt der Zeit, in der der
Dichter lebt/') Schon aus diesen Worten geht hervor, daß die italienische
Romantik sich uicht ganz mit der deutschen deckt. Beide gemeinsam ist die
Durchdringung mit religiösen Motiven, das latholisirende Element, der Kampf
gegen die Verweltlichung, den Skeptizismus und Materialismus wie gegen
den unbedingten Kultus der Antike, die Anlehnung an das eigne Volkstum,
die liebevolle Versenkung in seine Geschichte. Aber während bei uns uach
Goethes Worten diese Richtung dnrch "trübe nordische Heldensagen" begünstigt
und bestärkt wurde, das weit überschätzte und arg mißverstandene Mittelalter
in kirchlicher wie in patriotischer Beziehung als ideales Vorbild erschien, und
sich dazu vielfach der Kultus orientalischer und südlich romanischer Anschanungs-
und Dichtungsformen gesellte, tritt in Italien einerseits der in Deutschland
längst ausgefochtene Kampf gegen den sogenannten Klassizismus in der Wahl
der Stoffe und zumal in den Formen der Dichtung, anderseits die Idee des
Vaterlandes, das Streben nach feiner Wiedergeburt in geistiger Hoheit wie in
materieller Macht immer mehr in den Vordergrund. Nur gering ist die Zahl
derer, bei denen die treibenden Mächte: Religiosität, Patriotismus und Frei-
heitsliebe dauernd vereint bleiben, sich allmählich zu dem sogenannten Nen-
gnelfentnm verdichtend, das später, auf die poetische Probe gestellt, an der
Unvereinbarkeit des Papsttums mit den Ideen der Freiheit und Nationalität
notwendig Schiffbruch leiden mußte. Bei der Mehrzahl der italienischen
Romantiker trat die religiös-kirchliche Seite bald in den Hintergrund,
während die Wiedergeburt des Vaterlandes und deren Förderung durch eine
neue, aus dem Kerne des italienischen Volkstums geborne Litteratur mehr und
mehr herrschend wurde. So entstand ein innerer Zwiespalt zwischen den Vertretern
der neuen Richtung, und während der litterarische Kampf mit den Anhängern
des überlebten Klassizismus siegreich durchgeführt ward, so daß sogar die
Gegner der Romantik, wie z. B. Givvambattista Nieeolini, in dieser Beziehung
allmählich gleichsam wider Willen in ihre Kreise hineingezogen wurden, war
doch die Blütezeit der neuen Schule selbst nur kurz: sie erwies sich nur
als ein allerdings notwendiger und wesentlicher Durchgangspunkt zu einer
neuen Zeit.

Die jungen Dichter hatten in Mailand, das damals als Metropole des
napoleonischen Königreichs Italien einen mächtigen Aufschwung genommen hatte,



Nach Lang, Alessandro Manzcmi und die italienische Nmunulik. Preußische Jahr¬
bücher 1874. Heft 1.

L. Mariotti sagt: Unter Rvmantizismns verstehen die Italiener die Har¬
monie der Litteratur mit ihrer Zeit und ihrem Vaterlande, ihren Einfluß auf
die Gefühle, die Bedürfnisse, den Glauben, die Erinnerungen und die höchste
Bestimmung des Menschen in den verschiednen Stadien der Gesellschaft, kurz
die Übereinstimmung mit dem ganzen geistigen Inhalt der Zeit, in der der
Dichter lebt/') Schon aus diesen Worten geht hervor, daß die italienische
Romantik sich uicht ganz mit der deutschen deckt. Beide gemeinsam ist die
Durchdringung mit religiösen Motiven, das latholisirende Element, der Kampf
gegen die Verweltlichung, den Skeptizismus und Materialismus wie gegen
den unbedingten Kultus der Antike, die Anlehnung an das eigne Volkstum,
die liebevolle Versenkung in seine Geschichte. Aber während bei uns uach
Goethes Worten diese Richtung dnrch „trübe nordische Heldensagen" begünstigt
und bestärkt wurde, das weit überschätzte und arg mißverstandene Mittelalter
in kirchlicher wie in patriotischer Beziehung als ideales Vorbild erschien, und
sich dazu vielfach der Kultus orientalischer und südlich romanischer Anschanungs-
und Dichtungsformen gesellte, tritt in Italien einerseits der in Deutschland
längst ausgefochtene Kampf gegen den sogenannten Klassizismus in der Wahl
der Stoffe und zumal in den Formen der Dichtung, anderseits die Idee des
Vaterlandes, das Streben nach feiner Wiedergeburt in geistiger Hoheit wie in
materieller Macht immer mehr in den Vordergrund. Nur gering ist die Zahl
derer, bei denen die treibenden Mächte: Religiosität, Patriotismus und Frei-
heitsliebe dauernd vereint bleiben, sich allmählich zu dem sogenannten Nen-
gnelfentnm verdichtend, das später, auf die poetische Probe gestellt, an der
Unvereinbarkeit des Papsttums mit den Ideen der Freiheit und Nationalität
notwendig Schiffbruch leiden mußte. Bei der Mehrzahl der italienischen
Romantiker trat die religiös-kirchliche Seite bald in den Hintergrund,
während die Wiedergeburt des Vaterlandes und deren Förderung durch eine
neue, aus dem Kerne des italienischen Volkstums geborne Litteratur mehr und
mehr herrschend wurde. So entstand ein innerer Zwiespalt zwischen den Vertretern
der neuen Richtung, und während der litterarische Kampf mit den Anhängern
des überlebten Klassizismus siegreich durchgeführt ward, so daß sogar die
Gegner der Romantik, wie z. B. Givvambattista Nieeolini, in dieser Beziehung
allmählich gleichsam wider Willen in ihre Kreise hineingezogen wurden, war
doch die Blütezeit der neuen Schule selbst nur kurz: sie erwies sich nur
als ein allerdings notwendiger und wesentlicher Durchgangspunkt zu einer
neuen Zeit.

Die jungen Dichter hatten in Mailand, das damals als Metropole des
napoleonischen Königreichs Italien einen mächtigen Aufschwung genommen hatte,



Nach Lang, Alessandro Manzcmi und die italienische Nmunulik. Preußische Jahr¬
bücher 1874. Heft 1.
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[0083] L. Mariotti sagt: Unter Rvmantizismns verstehen die Italiener die Har¬ monie der Litteratur mit ihrer Zeit und ihrem Vaterlande, ihren Einfluß auf die Gefühle, die Bedürfnisse, den Glauben, die Erinnerungen und die höchste Bestimmung des Menschen in den verschiednen Stadien der Gesellschaft, kurz die Übereinstimmung mit dem ganzen geistigen Inhalt der Zeit, in der der Dichter lebt/') Schon aus diesen Worten geht hervor, daß die italienische Romantik sich uicht ganz mit der deutschen deckt. Beide gemeinsam ist die Durchdringung mit religiösen Motiven, das latholisirende Element, der Kampf gegen die Verweltlichung, den Skeptizismus und Materialismus wie gegen den unbedingten Kultus der Antike, die Anlehnung an das eigne Volkstum, die liebevolle Versenkung in seine Geschichte. Aber während bei uns uach Goethes Worten diese Richtung dnrch „trübe nordische Heldensagen" begünstigt und bestärkt wurde, das weit überschätzte und arg mißverstandene Mittelalter in kirchlicher wie in patriotischer Beziehung als ideales Vorbild erschien, und sich dazu vielfach der Kultus orientalischer und südlich romanischer Anschanungs- und Dichtungsformen gesellte, tritt in Italien einerseits der in Deutschland längst ausgefochtene Kampf gegen den sogenannten Klassizismus in der Wahl der Stoffe und zumal in den Formen der Dichtung, anderseits die Idee des Vaterlandes, das Streben nach feiner Wiedergeburt in geistiger Hoheit wie in materieller Macht immer mehr in den Vordergrund. Nur gering ist die Zahl derer, bei denen die treibenden Mächte: Religiosität, Patriotismus und Frei- heitsliebe dauernd vereint bleiben, sich allmählich zu dem sogenannten Nen- gnelfentnm verdichtend, das später, auf die poetische Probe gestellt, an der Unvereinbarkeit des Papsttums mit den Ideen der Freiheit und Nationalität notwendig Schiffbruch leiden mußte. Bei der Mehrzahl der italienischen Romantiker trat die religiös-kirchliche Seite bald in den Hintergrund, während die Wiedergeburt des Vaterlandes und deren Förderung durch eine neue, aus dem Kerne des italienischen Volkstums geborne Litteratur mehr und mehr herrschend wurde. So entstand ein innerer Zwiespalt zwischen den Vertretern der neuen Richtung, und während der litterarische Kampf mit den Anhängern des überlebten Klassizismus siegreich durchgeführt ward, so daß sogar die Gegner der Romantik, wie z. B. Givvambattista Nieeolini, in dieser Beziehung allmählich gleichsam wider Willen in ihre Kreise hineingezogen wurden, war doch die Blütezeit der neuen Schule selbst nur kurz: sie erwies sich nur als ein allerdings notwendiger und wesentlicher Durchgangspunkt zu einer neuen Zeit. Die jungen Dichter hatten in Mailand, das damals als Metropole des napoleonischen Königreichs Italien einen mächtigen Aufschwung genommen hatte, Nach Lang, Alessandro Manzcmi und die italienische Nmunulik. Preußische Jahr¬ bücher 1874. Heft 1.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/83>, abgerufen am 05.02.2025.