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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Militärisch-politische Blicke nach Osten

scheinlich begegnen würde, so läßt uns ein Blick ans die der erwähnten Schrift
beigeheftete Karte erkennen, daß Westgalizien durch den Lauf der obern
Weichsel und des Sa" von der Natur einigermaßen geschützt ist, aber seinen
Hauptschutz in den an diesen Flüssen gelegenen Festungen Przemysl und
Krakau hat, die mir 200 Kilometer von einander entfernt sind. Dagegen ist
Ostgalizien weder durch die Natur noch durch die Kunst gegen einen russischen
Angriff auch nur einigermaßen gesichert. Selbst die dortigen Eisenbahnlinien
und deren Rückwärtsverbindungen mit ungarischen Schienenwegen und Städten,
namentlich die Bahnen Lemberg-Stryj-Munkacz, sind der Zerstörung durch
russische Reiterabtheiluugeu preisgegeben, wenn die Leitung des österreichischen
Heeres nicht zu rechter Zeit durch Aufstellung genügender Streitkräfte in diesen
Gegenden für Schutz sorgt. Diese Maßregel ist mit um so weniger Schwierig¬
keiten verbunden, als die der Grenze ungefähr parallel laufenden Eisenbahnen,
eine im Süden und zwei im Norden der Karpathen mit ihren zahlreiche!?
Verbindungslinien, von denen vier quer über das Gebirge laufen, sowie Zweig¬
bahnen bis zur Grenze dem Ausmarsche der Armeen wesentlich zu Gute kommen.
Hiernach scheint ein Angriff der Russen ans das westliche Galizien, da sie
dabei von rechts her durch ein Heer der deutschen Verbündeten bedroht sein,
zwei Grenzflüsse ohne feststehende Übergänge zu überschreiten haben und dicht
an oder nicht weit von der Grenze auf zwei Festungen erster Ordnung stoßen
würden, die sich gegenseitig unterstützen und die über das Gebirge der Kar¬
pathen führenden Hauptstraßen beherrschen, fast gänzlich von unsern Ver¬
mutungen hinsichtlich des Verlaufs der Dinge im Osten ausgeschlossen zu sein.
Zur Sicherung des Landstrichs zwischen Krakau und Przemysl und zum
Schutze der Eisenbahn, die von dem ersterwähnten großen Wasserplatze nach
Jaroslaw führt, wird also ein mäßig starkes österreichisches Veobachtungskorps
bei Tarnow hinreichen. Vermutlich wird endlich bei Ausbruch des Kriegs
eine Vermehrung der Truppen erforderlich werden, mit denen Osterreich
Bosnien und die Herzegowina besetzt hält, und Montenegros wegen werden
anch nach Dalmatien einige Regimenter zur Verstärkung der dortigen Garnisonen
abgehen müssen. Sonst aber kann fast die gesamte Feldarmee Österreich-
Ungarns auf dem rechten Flügel zum Schutze des östlichen Galizien verwendet
werden, da ja der äußerste linke, Mähren und Böhmen, durch das Heer des
deutschen Reiches verteidigt werden wird.

Wir müssen nochmals daran erinnern, daß Rußland, obwohl seine euro¬
päischen Truppen großenteils bereits in der Nähe der Eisenbahnen zusammen-
gezogen siud, doch zu einer vollständigen Mobilmachung und zum Ausmarsche
derselben an der westlichen Grenze noch vier Wochen bedarf. Von den gegen¬
wärtig hier stehenden 8 Divisionen im Militärbezirk Warschau, deu 8 Divisionen
in dem von Wilnn und den 4 Divisionen in dem von Kiew würden, voraus¬
gesetzt, daß Deutschland mit dem größten Teile seiner Streitkräfte im Westen


Militärisch-politische Blicke nach Osten

scheinlich begegnen würde, so läßt uns ein Blick ans die der erwähnten Schrift
beigeheftete Karte erkennen, daß Westgalizien durch den Lauf der obern
Weichsel und des Sa» von der Natur einigermaßen geschützt ist, aber seinen
Hauptschutz in den an diesen Flüssen gelegenen Festungen Przemysl und
Krakau hat, die mir 200 Kilometer von einander entfernt sind. Dagegen ist
Ostgalizien weder durch die Natur noch durch die Kunst gegen einen russischen
Angriff auch nur einigermaßen gesichert. Selbst die dortigen Eisenbahnlinien
und deren Rückwärtsverbindungen mit ungarischen Schienenwegen und Städten,
namentlich die Bahnen Lemberg-Stryj-Munkacz, sind der Zerstörung durch
russische Reiterabtheiluugeu preisgegeben, wenn die Leitung des österreichischen
Heeres nicht zu rechter Zeit durch Aufstellung genügender Streitkräfte in diesen
Gegenden für Schutz sorgt. Diese Maßregel ist mit um so weniger Schwierig¬
keiten verbunden, als die der Grenze ungefähr parallel laufenden Eisenbahnen,
eine im Süden und zwei im Norden der Karpathen mit ihren zahlreiche!?
Verbindungslinien, von denen vier quer über das Gebirge laufen, sowie Zweig¬
bahnen bis zur Grenze dem Ausmarsche der Armeen wesentlich zu Gute kommen.
Hiernach scheint ein Angriff der Russen ans das westliche Galizien, da sie
dabei von rechts her durch ein Heer der deutschen Verbündeten bedroht sein,
zwei Grenzflüsse ohne feststehende Übergänge zu überschreiten haben und dicht
an oder nicht weit von der Grenze auf zwei Festungen erster Ordnung stoßen
würden, die sich gegenseitig unterstützen und die über das Gebirge der Kar¬
pathen führenden Hauptstraßen beherrschen, fast gänzlich von unsern Ver¬
mutungen hinsichtlich des Verlaufs der Dinge im Osten ausgeschlossen zu sein.
Zur Sicherung des Landstrichs zwischen Krakau und Przemysl und zum
Schutze der Eisenbahn, die von dem ersterwähnten großen Wasserplatze nach
Jaroslaw führt, wird also ein mäßig starkes österreichisches Veobachtungskorps
bei Tarnow hinreichen. Vermutlich wird endlich bei Ausbruch des Kriegs
eine Vermehrung der Truppen erforderlich werden, mit denen Osterreich
Bosnien und die Herzegowina besetzt hält, und Montenegros wegen werden
anch nach Dalmatien einige Regimenter zur Verstärkung der dortigen Garnisonen
abgehen müssen. Sonst aber kann fast die gesamte Feldarmee Österreich-
Ungarns auf dem rechten Flügel zum Schutze des östlichen Galizien verwendet
werden, da ja der äußerste linke, Mähren und Böhmen, durch das Heer des
deutschen Reiches verteidigt werden wird.

Wir müssen nochmals daran erinnern, daß Rußland, obwohl seine euro¬
päischen Truppen großenteils bereits in der Nähe der Eisenbahnen zusammen-
gezogen siud, doch zu einer vollständigen Mobilmachung und zum Ausmarsche
derselben an der westlichen Grenze noch vier Wochen bedarf. Von den gegen¬
wärtig hier stehenden 8 Divisionen im Militärbezirk Warschau, deu 8 Divisionen
in dem von Wilnn und den 4 Divisionen in dem von Kiew würden, voraus¬
gesetzt, daß Deutschland mit dem größten Teile seiner Streitkräfte im Westen


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[0061] Militärisch-politische Blicke nach Osten scheinlich begegnen würde, so läßt uns ein Blick ans die der erwähnten Schrift beigeheftete Karte erkennen, daß Westgalizien durch den Lauf der obern Weichsel und des Sa» von der Natur einigermaßen geschützt ist, aber seinen Hauptschutz in den an diesen Flüssen gelegenen Festungen Przemysl und Krakau hat, die mir 200 Kilometer von einander entfernt sind. Dagegen ist Ostgalizien weder durch die Natur noch durch die Kunst gegen einen russischen Angriff auch nur einigermaßen gesichert. Selbst die dortigen Eisenbahnlinien und deren Rückwärtsverbindungen mit ungarischen Schienenwegen und Städten, namentlich die Bahnen Lemberg-Stryj-Munkacz, sind der Zerstörung durch russische Reiterabtheiluugeu preisgegeben, wenn die Leitung des österreichischen Heeres nicht zu rechter Zeit durch Aufstellung genügender Streitkräfte in diesen Gegenden für Schutz sorgt. Diese Maßregel ist mit um so weniger Schwierig¬ keiten verbunden, als die der Grenze ungefähr parallel laufenden Eisenbahnen, eine im Süden und zwei im Norden der Karpathen mit ihren zahlreiche!? Verbindungslinien, von denen vier quer über das Gebirge laufen, sowie Zweig¬ bahnen bis zur Grenze dem Ausmarsche der Armeen wesentlich zu Gute kommen. Hiernach scheint ein Angriff der Russen ans das westliche Galizien, da sie dabei von rechts her durch ein Heer der deutschen Verbündeten bedroht sein, zwei Grenzflüsse ohne feststehende Übergänge zu überschreiten haben und dicht an oder nicht weit von der Grenze auf zwei Festungen erster Ordnung stoßen würden, die sich gegenseitig unterstützen und die über das Gebirge der Kar¬ pathen führenden Hauptstraßen beherrschen, fast gänzlich von unsern Ver¬ mutungen hinsichtlich des Verlaufs der Dinge im Osten ausgeschlossen zu sein. Zur Sicherung des Landstrichs zwischen Krakau und Przemysl und zum Schutze der Eisenbahn, die von dem ersterwähnten großen Wasserplatze nach Jaroslaw führt, wird also ein mäßig starkes österreichisches Veobachtungskorps bei Tarnow hinreichen. Vermutlich wird endlich bei Ausbruch des Kriegs eine Vermehrung der Truppen erforderlich werden, mit denen Osterreich Bosnien und die Herzegowina besetzt hält, und Montenegros wegen werden anch nach Dalmatien einige Regimenter zur Verstärkung der dortigen Garnisonen abgehen müssen. Sonst aber kann fast die gesamte Feldarmee Österreich- Ungarns auf dem rechten Flügel zum Schutze des östlichen Galizien verwendet werden, da ja der äußerste linke, Mähren und Böhmen, durch das Heer des deutschen Reiches verteidigt werden wird. Wir müssen nochmals daran erinnern, daß Rußland, obwohl seine euro¬ päischen Truppen großenteils bereits in der Nähe der Eisenbahnen zusammen- gezogen siud, doch zu einer vollständigen Mobilmachung und zum Ausmarsche derselben an der westlichen Grenze noch vier Wochen bedarf. Von den gegen¬ wärtig hier stehenden 8 Divisionen im Militärbezirk Warschau, deu 8 Divisionen in dem von Wilnn und den 4 Divisionen in dem von Kiew würden, voraus¬ gesetzt, daß Deutschland mit dem größten Teile seiner Streitkräfte im Westen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/61>, abgerufen am 10.02.2025.