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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Militärisch-politische Blicke nach Osten

sngnng stehen, und den Festungen, auf die sie sich stützt, und die ihrem Gegner
beträchtliche Belageruugs- und Vevbachtnngskorps abverlangen, ihn also be¬
deutend schwächen, kann Rußland mit weniger Armeekorps als zwölf bis dreizehn
nicht mit Aussicht auf Erfolg entgegen rücken, auch wein: man sich von der
österreichischen Armee einen Teil durch drohende Haltung Montenegros und
durch Unruhen in Bosnien und der Herzegowina vom östlichen Kriegsschauplatze
abgelenkt vorstellt. Nehmen wir an, daß die Belagerung von Przemysl, die
Besetzung Westgaliziens und die Sicherung gegen Krakau zusammen mindestens
zwei Armeekorps beanspruchen, so würden der russischen Armee des rechte"
Flügels wenigsteus sieben, der des Zentrums fünf und der des linken Flügels
drei Armeekorps zuzuleiten sein, und dazu kämen dann die fünfte Armee in
Bessarabien mit zwei Armeekorps, die Landungstruppen auf der Flotte des
Schwarzen Meeres mit einem halben und das gegen Deutschland aufzustellende
Beobachtungsheer mit drei und einem halben Armeekorps. Nach diesem nicht zu
hoch angeschlagenen Bedarf an Truppen hätte Rußland an Feldtruppen erster
Linie im ganzen 2l Armeekorps, gleich 42 Divisionen marschiren zu lassen. Nun
verfügt Nußland, wie wir in einem der früheren Aufsätze gesehen haben, im
günstigsten Falle über eine Infanterie von 42 Feld-, 6 Reserve- und 26 Ve-
satzungs- und Etappeudivisioueu. Bei den letzterwähnten sind nicht allein
die Besatzungen der russischen Festungen, sondern anch die Garnisonen der
Hauptstädte des Zarenreiches eingerechnet. Für die Verwendung in Feindes¬
land werden von den 26 Divisionen nach unsrer Quelle nur ungefähr 6 zur
Verfügung stehen, da es fraglich erscheint, ob sich diese Garnisonen durch
Reichswehr (Opoltscheuje, eine Art Landsturm, für die aber nur wenige Offiziere
und keine genügende Ausrüstung vorhanden sein sollen) ersetzen lassen. Daß
ein Angriff wie der russische gegen die Hauptstadt Österreichs, ein Augriff
mit einer Operationslinie von mehr als 700 Kilometern Länge, die über ein
unwegsames, nur auf wenigen Püffen zu überschreitendes Gebirge und über
zahlreiche Flüsse läuft, außer den Feldtruppen auch eine beträchtliche Anzahl von
Besatzuugs- und Etappentruppen erfordert, bedarf keines ausführlichen Beweises.

Gewisse Veränderungen in der Gruppirung der Mächte, die zum Teil
sehr wahrscheinlich siud, eine thätige Teilnahme Italiens am Kriege mit
Frankreich, wobei Italien seine gesamten Streitkräfte zu Lande und zur See
in Bewegung setzte, eine Beteiligung der Pforte am Kampfe, wobei wenigsteus
100000 gute Soldaten gegen Nußland marschiren könnten, die Entsendung
einer englischen Flotte ins Schwarze Meer oder in die Ostsee oder auch in
beide Gewässer würden ans dem östlichen Kriegsschallplatze das Gewicht der
Gegner Rußlands beträchtlich verändern und es vermutlich zum Übergewicht
werdeu lassen.

Wenden wir uns nun Osterreich zu und fragen nur uns, mit welchen
Maßregeln diese Macht einem russischen Ansturme gegen ihre Grenzen wahr-


Militärisch-politische Blicke nach Osten

sngnng stehen, und den Festungen, auf die sie sich stützt, und die ihrem Gegner
beträchtliche Belageruugs- und Vevbachtnngskorps abverlangen, ihn also be¬
deutend schwächen, kann Rußland mit weniger Armeekorps als zwölf bis dreizehn
nicht mit Aussicht auf Erfolg entgegen rücken, auch wein: man sich von der
österreichischen Armee einen Teil durch drohende Haltung Montenegros und
durch Unruhen in Bosnien und der Herzegowina vom östlichen Kriegsschauplatze
abgelenkt vorstellt. Nehmen wir an, daß die Belagerung von Przemysl, die
Besetzung Westgaliziens und die Sicherung gegen Krakau zusammen mindestens
zwei Armeekorps beanspruchen, so würden der russischen Armee des rechte»
Flügels wenigsteus sieben, der des Zentrums fünf und der des linken Flügels
drei Armeekorps zuzuleiten sein, und dazu kämen dann die fünfte Armee in
Bessarabien mit zwei Armeekorps, die Landungstruppen auf der Flotte des
Schwarzen Meeres mit einem halben und das gegen Deutschland aufzustellende
Beobachtungsheer mit drei und einem halben Armeekorps. Nach diesem nicht zu
hoch angeschlagenen Bedarf an Truppen hätte Rußland an Feldtruppen erster
Linie im ganzen 2l Armeekorps, gleich 42 Divisionen marschiren zu lassen. Nun
verfügt Nußland, wie wir in einem der früheren Aufsätze gesehen haben, im
günstigsten Falle über eine Infanterie von 42 Feld-, 6 Reserve- und 26 Ve-
satzungs- und Etappeudivisioueu. Bei den letzterwähnten sind nicht allein
die Besatzungen der russischen Festungen, sondern anch die Garnisonen der
Hauptstädte des Zarenreiches eingerechnet. Für die Verwendung in Feindes¬
land werden von den 26 Divisionen nach unsrer Quelle nur ungefähr 6 zur
Verfügung stehen, da es fraglich erscheint, ob sich diese Garnisonen durch
Reichswehr (Opoltscheuje, eine Art Landsturm, für die aber nur wenige Offiziere
und keine genügende Ausrüstung vorhanden sein sollen) ersetzen lassen. Daß
ein Angriff wie der russische gegen die Hauptstadt Österreichs, ein Augriff
mit einer Operationslinie von mehr als 700 Kilometern Länge, die über ein
unwegsames, nur auf wenigen Püffen zu überschreitendes Gebirge und über
zahlreiche Flüsse läuft, außer den Feldtruppen auch eine beträchtliche Anzahl von
Besatzuugs- und Etappentruppen erfordert, bedarf keines ausführlichen Beweises.

Gewisse Veränderungen in der Gruppirung der Mächte, die zum Teil
sehr wahrscheinlich siud, eine thätige Teilnahme Italiens am Kriege mit
Frankreich, wobei Italien seine gesamten Streitkräfte zu Lande und zur See
in Bewegung setzte, eine Beteiligung der Pforte am Kampfe, wobei wenigsteus
100000 gute Soldaten gegen Nußland marschiren könnten, die Entsendung
einer englischen Flotte ins Schwarze Meer oder in die Ostsee oder auch in
beide Gewässer würden ans dem östlichen Kriegsschallplatze das Gewicht der
Gegner Rußlands beträchtlich verändern und es vermutlich zum Übergewicht
werdeu lassen.

Wenden wir uns nun Osterreich zu und fragen nur uns, mit welchen
Maßregeln diese Macht einem russischen Ansturme gegen ihre Grenzen wahr-


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[0060] Militärisch-politische Blicke nach Osten sngnng stehen, und den Festungen, auf die sie sich stützt, und die ihrem Gegner beträchtliche Belageruugs- und Vevbachtnngskorps abverlangen, ihn also be¬ deutend schwächen, kann Rußland mit weniger Armeekorps als zwölf bis dreizehn nicht mit Aussicht auf Erfolg entgegen rücken, auch wein: man sich von der österreichischen Armee einen Teil durch drohende Haltung Montenegros und durch Unruhen in Bosnien und der Herzegowina vom östlichen Kriegsschauplatze abgelenkt vorstellt. Nehmen wir an, daß die Belagerung von Przemysl, die Besetzung Westgaliziens und die Sicherung gegen Krakau zusammen mindestens zwei Armeekorps beanspruchen, so würden der russischen Armee des rechte» Flügels wenigsteus sieben, der des Zentrums fünf und der des linken Flügels drei Armeekorps zuzuleiten sein, und dazu kämen dann die fünfte Armee in Bessarabien mit zwei Armeekorps, die Landungstruppen auf der Flotte des Schwarzen Meeres mit einem halben und das gegen Deutschland aufzustellende Beobachtungsheer mit drei und einem halben Armeekorps. Nach diesem nicht zu hoch angeschlagenen Bedarf an Truppen hätte Rußland an Feldtruppen erster Linie im ganzen 2l Armeekorps, gleich 42 Divisionen marschiren zu lassen. Nun verfügt Nußland, wie wir in einem der früheren Aufsätze gesehen haben, im günstigsten Falle über eine Infanterie von 42 Feld-, 6 Reserve- und 26 Ve- satzungs- und Etappeudivisioueu. Bei den letzterwähnten sind nicht allein die Besatzungen der russischen Festungen, sondern anch die Garnisonen der Hauptstädte des Zarenreiches eingerechnet. Für die Verwendung in Feindes¬ land werden von den 26 Divisionen nach unsrer Quelle nur ungefähr 6 zur Verfügung stehen, da es fraglich erscheint, ob sich diese Garnisonen durch Reichswehr (Opoltscheuje, eine Art Landsturm, für die aber nur wenige Offiziere und keine genügende Ausrüstung vorhanden sein sollen) ersetzen lassen. Daß ein Angriff wie der russische gegen die Hauptstadt Österreichs, ein Augriff mit einer Operationslinie von mehr als 700 Kilometern Länge, die über ein unwegsames, nur auf wenigen Püffen zu überschreitendes Gebirge und über zahlreiche Flüsse läuft, außer den Feldtruppen auch eine beträchtliche Anzahl von Besatzuugs- und Etappentruppen erfordert, bedarf keines ausführlichen Beweises. Gewisse Veränderungen in der Gruppirung der Mächte, die zum Teil sehr wahrscheinlich siud, eine thätige Teilnahme Italiens am Kriege mit Frankreich, wobei Italien seine gesamten Streitkräfte zu Lande und zur See in Bewegung setzte, eine Beteiligung der Pforte am Kampfe, wobei wenigsteus 100000 gute Soldaten gegen Nußland marschiren könnten, die Entsendung einer englischen Flotte ins Schwarze Meer oder in die Ostsee oder auch in beide Gewässer würden ans dem östlichen Kriegsschallplatze das Gewicht der Gegner Rußlands beträchtlich verändern und es vermutlich zum Übergewicht werdeu lassen. Wenden wir uns nun Osterreich zu und fragen nur uns, mit welchen Maßregeln diese Macht einem russischen Ansturme gegen ihre Grenzen wahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/60>, abgerufen am 05.02.2025.