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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Goethes Ivettkcnnpf mit den griechischen Dichtern

eines üppigen Gartens, den Gesang, der den Phäaken gewidmet ist, mit großer
Andacht. Der Gedanke, die köstliche Idylle, die Homer hier in den Gang der
Handlung einsticht, ans die eine oder die andre Weise selbständig zu verarbeiten,
beschäftigte ihn schon, ehe er nach Rom kam. So schreibt er am 22. Oktober 1786
aus Giredv auf den Apenninen um Iran von Stein: "Sagt ich dir schon, daß
ich einen Plan zu einem Trauerspiel Ulysses auf Phäa gemacht habe? Ein
sonderbarer Gedanke, der vielleicht glücken könnte." Und schon damals kam
es ihm sonderbar vor, das Idyll in ein Trauerspiel zu verwandeln. Weit
wird der Plan damals nicht gediehen sein, n"d wir können wohl annehmen,
daß ihm, wie es in der Italienischen Reise heißt, erst der Wundergarten in
Palermo, die schwärzlichen Wellen am nördlichen Horizont, ihr Aufdrehen um
die Bnchtkrümmnngen, selbst der eigne Geruch des dürstenden Meeres, kurz
das ganze Sizilien die Insel der seligen Phäaken ins Gedächtnis zurück¬
rief. Am Fuße des Rvsalienberges denkt er den Plan der "Nausikaa" weiter
durch, "wo nicht mit großem Glück, doch mit vielem Behagen." Der Plan
samt dem Bruchstück der ausgeführten Szenen findet sich in den nachgelassenen
Werken, in der Italienischen Reise hat er ihn ebenfalls mitgeteilt. Merkwürdig
ist, daß ihn dabei weniger die Handlung als die Schilderung der sizilinnischen
Natur nuzvg. In dem Kapitel der Italienischen Reise "Aus der Erinnerung"
hat er sich darüber ganz offen ausgesprochen. Die einfache Fabel sollte durch
den Reichtum der untergeordneten Motive und besonders durch das Meer-
nnd Jnselhaste der eigentlichen Ausführung und des besondern Tones erfreulich
werden. So fiel er wider seinen Willen in die Idylle zurück, und das Trauer¬
spiel verkümmerte von vornherein, wie ein Baum uuter Schlinggewächsen.

Der erste Akt beginnt mit dem Ballspiel. Das muntre Treiben der
Mädchen, der Monolog des erwachenden Ulysses und ein Teil des Gespräches
zwischen Nausikaa und der Amme Eurymcdusa sind ausgeführt. Das Szenen¬
schema, das dem Fragmente vorausgeht, ist von diesem scheinbar verschieden.
Nausikaa heißt hier Arete, die Amme Tanthe, doch ist die Reihenfolge der
Szenen im ersten Aufzuge dieselbe. Wie in dem in der Italienischen Reise
mitgeteilten Plane, schildert der erste Aufzug die Begegnung, der zweite das
Haus und das Familienleben des Alkinoos. Allein schon hier beginnt die
Abweichung. Im Schema fällt des Ulysses berühmte Erzählung seiner Aben¬
teuer in den zweiten Aufzug und wird ziemlich rasch abgethan, im Plane der
Italienischen Reise füllt diese Erzählung den dritten Akt und führt hier wesentlich
die große Szene herbei, in der Nausikaa dem Fremdling die schnell entzündete
Neigung offenbart. Wenn dies auch als großes tragisches Motiv seine Wirkung
nicht verfehlt haben würde, so wäre doch der gewaltige epische Stoff wohl
kaum zu bewältigen gewesen und Hütte als feste, nicht zu schmelzende Masse
mühsam von denk Glutströme des Dramas fortgezogen werden müssen. Im
vierten Akte sollte sich Nausikaa durch das Geständnis ihrer Liebe zu Ulysses


Goethes Ivettkcnnpf mit den griechischen Dichtern

eines üppigen Gartens, den Gesang, der den Phäaken gewidmet ist, mit großer
Andacht. Der Gedanke, die köstliche Idylle, die Homer hier in den Gang der
Handlung einsticht, ans die eine oder die andre Weise selbständig zu verarbeiten,
beschäftigte ihn schon, ehe er nach Rom kam. So schreibt er am 22. Oktober 1786
aus Giredv auf den Apenninen um Iran von Stein: „Sagt ich dir schon, daß
ich einen Plan zu einem Trauerspiel Ulysses auf Phäa gemacht habe? Ein
sonderbarer Gedanke, der vielleicht glücken könnte." Und schon damals kam
es ihm sonderbar vor, das Idyll in ein Trauerspiel zu verwandeln. Weit
wird der Plan damals nicht gediehen sein, n»d wir können wohl annehmen,
daß ihm, wie es in der Italienischen Reise heißt, erst der Wundergarten in
Palermo, die schwärzlichen Wellen am nördlichen Horizont, ihr Aufdrehen um
die Bnchtkrümmnngen, selbst der eigne Geruch des dürstenden Meeres, kurz
das ganze Sizilien die Insel der seligen Phäaken ins Gedächtnis zurück¬
rief. Am Fuße des Rvsalienberges denkt er den Plan der „Nausikaa" weiter
durch, „wo nicht mit großem Glück, doch mit vielem Behagen." Der Plan
samt dem Bruchstück der ausgeführten Szenen findet sich in den nachgelassenen
Werken, in der Italienischen Reise hat er ihn ebenfalls mitgeteilt. Merkwürdig
ist, daß ihn dabei weniger die Handlung als die Schilderung der sizilinnischen
Natur nuzvg. In dem Kapitel der Italienischen Reise „Aus der Erinnerung"
hat er sich darüber ganz offen ausgesprochen. Die einfache Fabel sollte durch
den Reichtum der untergeordneten Motive und besonders durch das Meer-
nnd Jnselhaste der eigentlichen Ausführung und des besondern Tones erfreulich
werden. So fiel er wider seinen Willen in die Idylle zurück, und das Trauer¬
spiel verkümmerte von vornherein, wie ein Baum uuter Schlinggewächsen.

Der erste Akt beginnt mit dem Ballspiel. Das muntre Treiben der
Mädchen, der Monolog des erwachenden Ulysses und ein Teil des Gespräches
zwischen Nausikaa und der Amme Eurymcdusa sind ausgeführt. Das Szenen¬
schema, das dem Fragmente vorausgeht, ist von diesem scheinbar verschieden.
Nausikaa heißt hier Arete, die Amme Tanthe, doch ist die Reihenfolge der
Szenen im ersten Aufzuge dieselbe. Wie in dem in der Italienischen Reise
mitgeteilten Plane, schildert der erste Aufzug die Begegnung, der zweite das
Haus und das Familienleben des Alkinoos. Allein schon hier beginnt die
Abweichung. Im Schema fällt des Ulysses berühmte Erzählung seiner Aben¬
teuer in den zweiten Aufzug und wird ziemlich rasch abgethan, im Plane der
Italienischen Reise füllt diese Erzählung den dritten Akt und führt hier wesentlich
die große Szene herbei, in der Nausikaa dem Fremdling die schnell entzündete
Neigung offenbart. Wenn dies auch als großes tragisches Motiv seine Wirkung
nicht verfehlt haben würde, so wäre doch der gewaltige epische Stoff wohl
kaum zu bewältigen gewesen und Hütte als feste, nicht zu schmelzende Masse
mühsam von denk Glutströme des Dramas fortgezogen werden müssen. Im
vierten Akte sollte sich Nausikaa durch das Geständnis ihrer Liebe zu Ulysses


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[0565] Goethes Ivettkcnnpf mit den griechischen Dichtern eines üppigen Gartens, den Gesang, der den Phäaken gewidmet ist, mit großer Andacht. Der Gedanke, die köstliche Idylle, die Homer hier in den Gang der Handlung einsticht, ans die eine oder die andre Weise selbständig zu verarbeiten, beschäftigte ihn schon, ehe er nach Rom kam. So schreibt er am 22. Oktober 1786 aus Giredv auf den Apenninen um Iran von Stein: „Sagt ich dir schon, daß ich einen Plan zu einem Trauerspiel Ulysses auf Phäa gemacht habe? Ein sonderbarer Gedanke, der vielleicht glücken könnte." Und schon damals kam es ihm sonderbar vor, das Idyll in ein Trauerspiel zu verwandeln. Weit wird der Plan damals nicht gediehen sein, n»d wir können wohl annehmen, daß ihm, wie es in der Italienischen Reise heißt, erst der Wundergarten in Palermo, die schwärzlichen Wellen am nördlichen Horizont, ihr Aufdrehen um die Bnchtkrümmnngen, selbst der eigne Geruch des dürstenden Meeres, kurz das ganze Sizilien die Insel der seligen Phäaken ins Gedächtnis zurück¬ rief. Am Fuße des Rvsalienberges denkt er den Plan der „Nausikaa" weiter durch, „wo nicht mit großem Glück, doch mit vielem Behagen." Der Plan samt dem Bruchstück der ausgeführten Szenen findet sich in den nachgelassenen Werken, in der Italienischen Reise hat er ihn ebenfalls mitgeteilt. Merkwürdig ist, daß ihn dabei weniger die Handlung als die Schilderung der sizilinnischen Natur nuzvg. In dem Kapitel der Italienischen Reise „Aus der Erinnerung" hat er sich darüber ganz offen ausgesprochen. Die einfache Fabel sollte durch den Reichtum der untergeordneten Motive und besonders durch das Meer- nnd Jnselhaste der eigentlichen Ausführung und des besondern Tones erfreulich werden. So fiel er wider seinen Willen in die Idylle zurück, und das Trauer¬ spiel verkümmerte von vornherein, wie ein Baum uuter Schlinggewächsen. Der erste Akt beginnt mit dem Ballspiel. Das muntre Treiben der Mädchen, der Monolog des erwachenden Ulysses und ein Teil des Gespräches zwischen Nausikaa und der Amme Eurymcdusa sind ausgeführt. Das Szenen¬ schema, das dem Fragmente vorausgeht, ist von diesem scheinbar verschieden. Nausikaa heißt hier Arete, die Amme Tanthe, doch ist die Reihenfolge der Szenen im ersten Aufzuge dieselbe. Wie in dem in der Italienischen Reise mitgeteilten Plane, schildert der erste Aufzug die Begegnung, der zweite das Haus und das Familienleben des Alkinoos. Allein schon hier beginnt die Abweichung. Im Schema fällt des Ulysses berühmte Erzählung seiner Aben¬ teuer in den zweiten Aufzug und wird ziemlich rasch abgethan, im Plane der Italienischen Reise füllt diese Erzählung den dritten Akt und führt hier wesentlich die große Szene herbei, in der Nausikaa dem Fremdling die schnell entzündete Neigung offenbart. Wenn dies auch als großes tragisches Motiv seine Wirkung nicht verfehlt haben würde, so wäre doch der gewaltige epische Stoff wohl kaum zu bewältigen gewesen und Hütte als feste, nicht zu schmelzende Masse mühsam von denk Glutströme des Dramas fortgezogen werden müssen. Im vierten Akte sollte sich Nausikaa durch das Geständnis ihrer Liebe zu Ulysses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/565>, abgerufen am 05.02.2025.