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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Goethes IVettkampf mit den griechischen Dichtern

rein zu finden. Es giebt einen fünften Akt und eine Wiedererkennung, der¬
gleichen nicht viel sollen auszuweisen sein. Ich habe selbst darüber geweint
wie ein Kind, und in der Behandlung soll man, hoff ich, das Trcunontanc*)
erkennen." Die Fabel des Entwurfes ist ebenfalls dem Hygin entlehnt, sie
ist ohne Zweifel sehr klar und von echt tragischer Wirkung. Aber es ist
bei dem Plane geblieben, andre Eindrücke, andre Arbeiten verdrängten ihn.
Wäre er ausgeführt worden, so hätte "Iphigenie auf Tauris" einen höchst be¬
deutenden Abschluß gefunden.^)

Auch dem Aeschylus scheint Goethe einmal auf seinen Pfaden nach¬
gegangen zu sein. Im Frühling des Jahres 1795 arbeitete er, wie Schiller
seinem Freunde Körner mitteilt, an einem Drama "Der befreite Prometheus."
Die erste Anlage dieses Stückes reicht bis ins Jahr 1774 zurück. Von dem
Bruchstück selbst ist nichts weiter bekannt geworden, als die wenigen Sätze,
die Zarncke im Goethejahrbuch vou 1888 gedeutet hat.

Während die griechischen Tragiker und die von ihnen bearbeiteten Gegen¬
stände Goethen immer von neuem, wenn auch ohne bleibenden Erfolg, zu Ent¬
würfen und Versuchen anreizten, beschäftigte ihn mehr und mehr der Vater
der Epik, Homer. Über Goethes Homerstndien ist schon öfter geschrieben
worden, vielleicht am gründlichsten von Professor Hermann Schreyer in Schul-
pfortn (in den Jahresberichten von 1884 und 1885). Es steht fest, daß Goethe
erst in Straßburg durch Herder auf die hohe Bedeutung der Homerischen
Epen aufmerksam geworden ist. Herder lehrte, daß sich im Homer ein wahres
Originalgenie offenbare, das in der glücklichen Mitte zwischen Natur- und
Kunstdichtung stehe. Von dieser Zeit an studirt Goethe den Homer ernstlich
und dringt mit überraschender Sicherheit in das Verständnis ein. Aber erst
in Sizilien wird er durch ihn zur Produktivität angeregt. Was er in der
Italienischen Reise über Homer im allgemeinen und seinen Plan, eine Episode
aus der Odyssee zu bearbeiten, insbesondre sagt, ist so bekannt und so oft
angeführt worden, daß uur daran erinnert zu werdeu braucht. Ja man kann
sagen, daß die Italienische Reise in der künstlerischen Redaktion, wie sie in
seinen Werken vorliegt, den feinsten Humor gerade in dem sichtbaren Bestreben
entwickelt, den Reisenden selbst als den von Abenteuern heimgesuchten, beredten
lind vorsichtigen Odysseus hinzustellen. Wer diese Dichtung mit deu Tage¬
büchern und Briefen Goethes aus Italien (dem zweiten Bande der Schriften
der Goethegesellschaft) vergleicht, hat die schönste Gelegenheit, dies zu beobachten.

Besonders Odysseus bei den Phäccken regte seine Phantasie lebhaft an.
In Palermo kauft er sich einen Homer und liest, angeregt durch die Pracht




*) Den Einfluß Italiens.
Im diesjährigen Goethe-Jahrbuche berichtet H. Marsch über den litterargeschichtlichen
Ursprung der Erkemmngsszene. Der Goethische Entwurf ist mehrfach ausgeführt worden, so
von Kannegießer und Friedrich Halm.
Goethes IVettkampf mit den griechischen Dichtern

rein zu finden. Es giebt einen fünften Akt und eine Wiedererkennung, der¬
gleichen nicht viel sollen auszuweisen sein. Ich habe selbst darüber geweint
wie ein Kind, und in der Behandlung soll man, hoff ich, das Trcunontanc*)
erkennen." Die Fabel des Entwurfes ist ebenfalls dem Hygin entlehnt, sie
ist ohne Zweifel sehr klar und von echt tragischer Wirkung. Aber es ist
bei dem Plane geblieben, andre Eindrücke, andre Arbeiten verdrängten ihn.
Wäre er ausgeführt worden, so hätte „Iphigenie auf Tauris" einen höchst be¬
deutenden Abschluß gefunden.^)

Auch dem Aeschylus scheint Goethe einmal auf seinen Pfaden nach¬
gegangen zu sein. Im Frühling des Jahres 1795 arbeitete er, wie Schiller
seinem Freunde Körner mitteilt, an einem Drama „Der befreite Prometheus."
Die erste Anlage dieses Stückes reicht bis ins Jahr 1774 zurück. Von dem
Bruchstück selbst ist nichts weiter bekannt geworden, als die wenigen Sätze,
die Zarncke im Goethejahrbuch vou 1888 gedeutet hat.

Während die griechischen Tragiker und die von ihnen bearbeiteten Gegen¬
stände Goethen immer von neuem, wenn auch ohne bleibenden Erfolg, zu Ent¬
würfen und Versuchen anreizten, beschäftigte ihn mehr und mehr der Vater
der Epik, Homer. Über Goethes Homerstndien ist schon öfter geschrieben
worden, vielleicht am gründlichsten von Professor Hermann Schreyer in Schul-
pfortn (in den Jahresberichten von 1884 und 1885). Es steht fest, daß Goethe
erst in Straßburg durch Herder auf die hohe Bedeutung der Homerischen
Epen aufmerksam geworden ist. Herder lehrte, daß sich im Homer ein wahres
Originalgenie offenbare, das in der glücklichen Mitte zwischen Natur- und
Kunstdichtung stehe. Von dieser Zeit an studirt Goethe den Homer ernstlich
und dringt mit überraschender Sicherheit in das Verständnis ein. Aber erst
in Sizilien wird er durch ihn zur Produktivität angeregt. Was er in der
Italienischen Reise über Homer im allgemeinen und seinen Plan, eine Episode
aus der Odyssee zu bearbeiten, insbesondre sagt, ist so bekannt und so oft
angeführt worden, daß uur daran erinnert zu werdeu braucht. Ja man kann
sagen, daß die Italienische Reise in der künstlerischen Redaktion, wie sie in
seinen Werken vorliegt, den feinsten Humor gerade in dem sichtbaren Bestreben
entwickelt, den Reisenden selbst als den von Abenteuern heimgesuchten, beredten
lind vorsichtigen Odysseus hinzustellen. Wer diese Dichtung mit deu Tage¬
büchern und Briefen Goethes aus Italien (dem zweiten Bande der Schriften
der Goethegesellschaft) vergleicht, hat die schönste Gelegenheit, dies zu beobachten.

Besonders Odysseus bei den Phäccken regte seine Phantasie lebhaft an.
In Palermo kauft er sich einen Homer und liest, angeregt durch die Pracht




*) Den Einfluß Italiens.
Im diesjährigen Goethe-Jahrbuche berichtet H. Marsch über den litterargeschichtlichen
Ursprung der Erkemmngsszene. Der Goethische Entwurf ist mehrfach ausgeführt worden, so
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[0564] Goethes IVettkampf mit den griechischen Dichtern rein zu finden. Es giebt einen fünften Akt und eine Wiedererkennung, der¬ gleichen nicht viel sollen auszuweisen sein. Ich habe selbst darüber geweint wie ein Kind, und in der Behandlung soll man, hoff ich, das Trcunontanc*) erkennen." Die Fabel des Entwurfes ist ebenfalls dem Hygin entlehnt, sie ist ohne Zweifel sehr klar und von echt tragischer Wirkung. Aber es ist bei dem Plane geblieben, andre Eindrücke, andre Arbeiten verdrängten ihn. Wäre er ausgeführt worden, so hätte „Iphigenie auf Tauris" einen höchst be¬ deutenden Abschluß gefunden.^) Auch dem Aeschylus scheint Goethe einmal auf seinen Pfaden nach¬ gegangen zu sein. Im Frühling des Jahres 1795 arbeitete er, wie Schiller seinem Freunde Körner mitteilt, an einem Drama „Der befreite Prometheus." Die erste Anlage dieses Stückes reicht bis ins Jahr 1774 zurück. Von dem Bruchstück selbst ist nichts weiter bekannt geworden, als die wenigen Sätze, die Zarncke im Goethejahrbuch vou 1888 gedeutet hat. Während die griechischen Tragiker und die von ihnen bearbeiteten Gegen¬ stände Goethen immer von neuem, wenn auch ohne bleibenden Erfolg, zu Ent¬ würfen und Versuchen anreizten, beschäftigte ihn mehr und mehr der Vater der Epik, Homer. Über Goethes Homerstndien ist schon öfter geschrieben worden, vielleicht am gründlichsten von Professor Hermann Schreyer in Schul- pfortn (in den Jahresberichten von 1884 und 1885). Es steht fest, daß Goethe erst in Straßburg durch Herder auf die hohe Bedeutung der Homerischen Epen aufmerksam geworden ist. Herder lehrte, daß sich im Homer ein wahres Originalgenie offenbare, das in der glücklichen Mitte zwischen Natur- und Kunstdichtung stehe. Von dieser Zeit an studirt Goethe den Homer ernstlich und dringt mit überraschender Sicherheit in das Verständnis ein. Aber erst in Sizilien wird er durch ihn zur Produktivität angeregt. Was er in der Italienischen Reise über Homer im allgemeinen und seinen Plan, eine Episode aus der Odyssee zu bearbeiten, insbesondre sagt, ist so bekannt und so oft angeführt worden, daß uur daran erinnert zu werdeu braucht. Ja man kann sagen, daß die Italienische Reise in der künstlerischen Redaktion, wie sie in seinen Werken vorliegt, den feinsten Humor gerade in dem sichtbaren Bestreben entwickelt, den Reisenden selbst als den von Abenteuern heimgesuchten, beredten lind vorsichtigen Odysseus hinzustellen. Wer diese Dichtung mit deu Tage¬ büchern und Briefen Goethes aus Italien (dem zweiten Bande der Schriften der Goethegesellschaft) vergleicht, hat die schönste Gelegenheit, dies zu beobachten. Besonders Odysseus bei den Phäccken regte seine Phantasie lebhaft an. In Palermo kauft er sich einen Homer und liest, angeregt durch die Pracht *) Den Einfluß Italiens. Im diesjährigen Goethe-Jahrbuche berichtet H. Marsch über den litterargeschichtlichen Ursprung der Erkemmngsszene. Der Goethische Entwurf ist mehrfach ausgeführt worden, so von Kannegießer und Friedrich Halm.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/564>, abgerufen am 06.02.2025.