Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Goethes ZVettkampf mit den griechischen Dichtern Vertrauend, getrost den gefährlichen Pfad der Wahrheit betritt. Nun sieht Der Erfolg, den Goethe in dem Wettstreite mit Euripides errang, hätte Goethes ZVettkampf mit den griechischen Dichtern Vertrauend, getrost den gefährlichen Pfad der Wahrheit betritt. Nun sieht Der Erfolg, den Goethe in dem Wettstreite mit Euripides errang, hätte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0562" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205293"/> <fw type="header" place="top"> Goethes ZVettkampf mit den griechischen Dichtern</fw><lb/> <p xml:id="ID_1579" prev="#ID_1578"> Vertrauend, getrost den gefährlichen Pfad der Wahrheit betritt. Nun sieht<lb/> sie in Thoas nicht mehr den wild-trotzigen Barbaren, sie sieht in ihm nur<lb/> uoch den väterlichen Freund, der ihr einst im Unglück eine Zufluchtsstätte<lb/> bereitet und sie in ihren besten Bestrebungen unterstützt hat. Von dieser sitt¬<lb/> lichen Höhe aus wird ihr der Kampf leicht, sie besänftigt den Bruder, der<lb/> mit Waffengewalt die Flucht erzwingen will, und versöhnt den König, der sich<lb/> der Macht ihres reinen, hohen Wesens nicht entziehen kann. Die edle Kühn¬<lb/> heit und Unbefangenheit der modernen Klassizität zeigt sich auch darin, wie<lb/> Goethe dem äsus sx niavding. ausweicht und alle weiteren Verwicklungen ab¬<lb/> schneidet. Orest erklärt, daß er jetzt erst den delphischen Spruch: er solle die<lb/> Schwester aus dem Lande der Taurier holen, recht verstehe. Nicht die Schwester<lb/> Apolls, die Artemis, sei gemeint, sondern Iphigenie; das Götterbild, das der<lb/> König doch nicht werde missen wollen, dürfe den Tauriern verbleiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1580"> Der Erfolg, den Goethe in dem Wettstreite mit Euripides errang, hätte<lb/> ihn leicht reizen können, auf diesem Wege weiter zu gehen, aber dazu Hütte<lb/> eine gewisse Einseitigkeit gehört, die nicht in seinem Wesen lag. Dagegen ver¬<lb/> suchte er sich wenig später an den „Vögeln" des Aristophanes. und zwar<lb/> übersetzte er einen Teil davon in so freier Weise, daß er an Merck schrieb,<lb/> sein Stück sei „ein Lustspiel nach dem Griechischen und nicht nach dem<lb/> Griechischen." Es ist bekannt, daß er diese freie Nachbildung des griechischen<lb/> Lustspieles, wovon uns in seinen Werken nur ein Bruchstück vorliegt, von<lb/> Mitte Juni bis Anfang August 1780 Sonntags dem Früuleiu von Göchhausen<lb/> diktirte, und zwar für das Ettersburger Theater, wo es am 18. August zur<lb/> „mächtigen Freude des Herzogs und der Herzogin Mutter," wie Wieland be¬<lb/> richtet, aufgeführt wurde. Der leicht hingeworfene Schwank reicht an die tiefe<lb/> politische Bedeutung des Aristophanischen Lustspiels nicht entfernt hinan und<lb/> will es auch gar nicht. Während Aristophanes die gedankenlosen und leicht¬<lb/> fertigen Athener der Zeit des Alkibiades mit scharfen Geißelhieben aufrütteln<lb/> möchte, weil sie während des verhängnisvollen sizilianischen Feldzuges, in der<lb/> Stille vor dem Sturme, so verblendet, so blasirt, so anspruchsvoll lässig sind,<lb/> daß sie die schwere Zeit mit leerer Projektenmacherei verzahnen und ver¬<lb/> träumen, und in seinen beiden Abenteurern Hoffegut und Natefreund, die aus¬<lb/> ziehen, um ein Vogelreich zwischen Himmel und Erde, ein Wolkenkuckucksheim zu<lb/> gründen, die furchtbarste Karikatur der damaligen Zeit entwirft, erlaubte sich<lb/> Goethe nur einen Litteratenscherz. Sein Hoffegut und sein Treufreund sind lustige<lb/> Brüder, die sich über den Nezensentenschuhu und den nachbetenden Leserpapagei<lb/> lustig machen. Goethe war 1780 noch nicht im stände, die Bedingungen der<lb/> Politik zu erfassen und politische Wahrheiten in lichten, klaren Bildern zu<lb/> veranschaulichen. Seine „Vögel" stehen so ziemlich mit dem Jahrmarkt zu<lb/> Plundersweileru in einer Linie. Übrigens waren sie sein letzter Versuch, das<lb/> griechische Drama in die moderne Welt herauszuheben.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0562]
Goethes ZVettkampf mit den griechischen Dichtern
Vertrauend, getrost den gefährlichen Pfad der Wahrheit betritt. Nun sieht
sie in Thoas nicht mehr den wild-trotzigen Barbaren, sie sieht in ihm nur
uoch den väterlichen Freund, der ihr einst im Unglück eine Zufluchtsstätte
bereitet und sie in ihren besten Bestrebungen unterstützt hat. Von dieser sitt¬
lichen Höhe aus wird ihr der Kampf leicht, sie besänftigt den Bruder, der
mit Waffengewalt die Flucht erzwingen will, und versöhnt den König, der sich
der Macht ihres reinen, hohen Wesens nicht entziehen kann. Die edle Kühn¬
heit und Unbefangenheit der modernen Klassizität zeigt sich auch darin, wie
Goethe dem äsus sx niavding. ausweicht und alle weiteren Verwicklungen ab¬
schneidet. Orest erklärt, daß er jetzt erst den delphischen Spruch: er solle die
Schwester aus dem Lande der Taurier holen, recht verstehe. Nicht die Schwester
Apolls, die Artemis, sei gemeint, sondern Iphigenie; das Götterbild, das der
König doch nicht werde missen wollen, dürfe den Tauriern verbleiben.
Der Erfolg, den Goethe in dem Wettstreite mit Euripides errang, hätte
ihn leicht reizen können, auf diesem Wege weiter zu gehen, aber dazu Hütte
eine gewisse Einseitigkeit gehört, die nicht in seinem Wesen lag. Dagegen ver¬
suchte er sich wenig später an den „Vögeln" des Aristophanes. und zwar
übersetzte er einen Teil davon in so freier Weise, daß er an Merck schrieb,
sein Stück sei „ein Lustspiel nach dem Griechischen und nicht nach dem
Griechischen." Es ist bekannt, daß er diese freie Nachbildung des griechischen
Lustspieles, wovon uns in seinen Werken nur ein Bruchstück vorliegt, von
Mitte Juni bis Anfang August 1780 Sonntags dem Früuleiu von Göchhausen
diktirte, und zwar für das Ettersburger Theater, wo es am 18. August zur
„mächtigen Freude des Herzogs und der Herzogin Mutter," wie Wieland be¬
richtet, aufgeführt wurde. Der leicht hingeworfene Schwank reicht an die tiefe
politische Bedeutung des Aristophanischen Lustspiels nicht entfernt hinan und
will es auch gar nicht. Während Aristophanes die gedankenlosen und leicht¬
fertigen Athener der Zeit des Alkibiades mit scharfen Geißelhieben aufrütteln
möchte, weil sie während des verhängnisvollen sizilianischen Feldzuges, in der
Stille vor dem Sturme, so verblendet, so blasirt, so anspruchsvoll lässig sind,
daß sie die schwere Zeit mit leerer Projektenmacherei verzahnen und ver¬
träumen, und in seinen beiden Abenteurern Hoffegut und Natefreund, die aus¬
ziehen, um ein Vogelreich zwischen Himmel und Erde, ein Wolkenkuckucksheim zu
gründen, die furchtbarste Karikatur der damaligen Zeit entwirft, erlaubte sich
Goethe nur einen Litteratenscherz. Sein Hoffegut und sein Treufreund sind lustige
Brüder, die sich über den Nezensentenschuhu und den nachbetenden Leserpapagei
lustig machen. Goethe war 1780 noch nicht im stände, die Bedingungen der
Politik zu erfassen und politische Wahrheiten in lichten, klaren Bildern zu
veranschaulichen. Seine „Vögel" stehen so ziemlich mit dem Jahrmarkt zu
Plundersweileru in einer Linie. Übrigens waren sie sein letzter Versuch, das
griechische Drama in die moderne Welt herauszuheben.
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