Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches allein in der letzten Session des Reichstag, da sie noch keine erledigende Antwort Aus der Zahl der Petitionen kann nicht geschlossen werden, daß die Zahl der Interessant ist es, daß aus Süddeutschland, wo der Impfzwang schon länger Der Referent beantragte auf Grund dieser Ausführungen über die Petitionen In der Diskussion über diesen Antrag erklärte der Negiernngskommissar, Maßgebliches und Unmaßgebliches allein in der letzten Session des Reichstag, da sie noch keine erledigende Antwort Aus der Zahl der Petitionen kann nicht geschlossen werden, daß die Zahl der Interessant ist es, daß aus Süddeutschland, wo der Impfzwang schon länger Der Referent beantragte auf Grund dieser Ausführungen über die Petitionen In der Diskussion über diesen Antrag erklärte der Negiernngskommissar, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0531" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205262"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1481" prev="#ID_1480"> allein in der letzten Session des Reichstag, da sie noch keine erledigende Antwort<lb/> gefunden hatte, zun^ fünfteumale unverändert eingereicht worden. Es lagen der<lb/> Konnnission diesmal 106 Petitionen vor, die „alle dasselbe Lied sangen," Auf¬<lb/> hebung des Impfzwanges oder Abiindernngen des bestehenden Jmpfgesetzes ver¬<lb/> langten. Die Petitionen lassen sich in drei Gruppen teilen, die gebildet werden,<lb/> 1. von den Anhängern der Nnturheilluethode und Kaltwasserkuren, die ans ihren<lb/> Anschauungen heraus behaupten, aber nicht beweisen, daß das Impfen nicht nur<lb/> nnniitz, sondern sogar schädlich sei; 2. von, denen, die uns moralischen und reli¬<lb/> giösen Gründen sich dem Impfzwang nicht unterwerfen können und wollen; und<lb/> Z. von denen, die, erschreckt durch unleugbar vorgekommene Jmpfschädignngen, die<lb/> Abstellung des Impfzwanges verlangen, Einzelne Petitionen lassen, sich in keine<lb/> dieser drei Gruppen einreihen; diese versuchen ans Grund irriger, anscheinend<lb/> wissenschaftlicher Vorstellungen und Forschungen über das Wesen und die Verbrei-<lb/> tung der Pocken die Unnötigkeit deS JmpfenS zu beweisen, teils verlangen sie eine<lb/> Abänderung des Strafmaßes. Einer dieser Petenten wünschte sogar „eine ge¬<lb/> ordnete Laienkontrole aller Impfungen," ohne anzugeben, wie er sich diese denkt<lb/> und waS sie bezwecken soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1482"> Aus der Zahl der Petitionen kann nicht geschlossen werden, daß die Zahl der<lb/> Jmpsgegner groß sei, da die Organe derselben, wie z. B. der zu Linnich erschei¬<lb/> nende „Jmpfzwanggegner," lebhaft über den, Abfall der Abonnenten und Inter¬<lb/> essenten klagen, wie anch aus ihnen hervorgeht, wie. künstlich gemacht die ganze<lb/> Bewegung ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1483"> Interessant ist es, daß aus Süddeutschland, wo der Impfzwang schon länger<lb/> bestanden hat, sehr wenig Petitionen dagegen tourner; die meisten kommen, ans<lb/> Sachsen, wo die Naturheilmethode ihre größte Ausbreitung und festeste Stütze hat.<lb/> Und doch bietet Sachsen um der Grenze nach Österreich daS charakteristischste Bild<lb/> für die Wohlthat des Impfzwangs, wenigstens für jeden, der sehen will, wo z. B.<lb/> die Fabrikbesitzer, welche Sachsen und Österreicher gemeinschaftlich beschäftigen, die<lb/> beiden Landesangehörigen auf den ersten Blick daran unterschieden, daß die Gesichter<lb/> der letztern meist von Pockennarben zerrissen sind, die der erster» nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1484"> Der Referent beantragte auf Grund dieser Ausführungen über die Petitionen<lb/> zur Tagesordnung überzugehen, welchem Antrag sich der Korreferent mit dem Be¬<lb/> merken anschloß, er sei zwar grundsätzlich Gegner des Impfzwanges, sahe, aber den<lb/> Nutzen desselben ein und stimme deshalb den« Antrage, des Referenten bei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1485" next="#ID_1486"> In der Diskussion über diesen Antrag erklärte der Negiernngskommissar,<lb/> Direktor des Reichsgesnndheitsamtes Köhler, die Bestimmungen des 14 des Impf¬<lb/> gesetzes seien bisher von den höchsten Landesgerichten, dahin ausgelegt worden, daß<lb/> die Verpflichtung der Eltern u. s. w., den Nachweis der geschehenen Impfung ihrer<lb/> Kinder beizubringen, beziehentlich sie. zur Jmpfung oder Rachschau zu stellen, durch<lb/> einmalige Bestrafung nicht aufgehoben werde, vielmehr könne wiederholt wegen<lb/> Nichterfüllung einer neuen Aufforderung bestraft werden, abweichende Urteile einzelner<lb/> Schöffen- oder Landesgerichte seien in höherer Instanz abgeändert worden. Es<lb/> solle dnrch die Zahlung der Strafe, nicht das Unrecht gesühnt werden, sondern es<lb/> solle damit die Nachholung der versäumten Impfung erreicht werden, die erkannte<lb/> Strafe habe die Eigenschaft einer polizeilichen Eretntivstrafe und könne daher so<lb/> lange wiederholt werden, bis sie ihren Zweck erreiche. Die Jmpfung solle nicht<lb/> bloß den Geimpften selbst schützen; da der Impfschutz nur ein relativer sei, so be¬<lb/> drohe die Anwesenheit zahlreicher überhaupt nicht oder nnr mangelhaft, geimpften<lb/> und deshalb der Ansteckung besonders ausgesetzten Personen auch die. übrigen ge-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0531]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
allein in der letzten Session des Reichstag, da sie noch keine erledigende Antwort
gefunden hatte, zun^ fünfteumale unverändert eingereicht worden. Es lagen der
Konnnission diesmal 106 Petitionen vor, die „alle dasselbe Lied sangen," Auf¬
hebung des Impfzwanges oder Abiindernngen des bestehenden Jmpfgesetzes ver¬
langten. Die Petitionen lassen sich in drei Gruppen teilen, die gebildet werden,
1. von den Anhängern der Nnturheilluethode und Kaltwasserkuren, die ans ihren
Anschauungen heraus behaupten, aber nicht beweisen, daß das Impfen nicht nur
nnniitz, sondern sogar schädlich sei; 2. von, denen, die uns moralischen und reli¬
giösen Gründen sich dem Impfzwang nicht unterwerfen können und wollen; und
Z. von denen, die, erschreckt durch unleugbar vorgekommene Jmpfschädignngen, die
Abstellung des Impfzwanges verlangen, Einzelne Petitionen lassen, sich in keine
dieser drei Gruppen einreihen; diese versuchen ans Grund irriger, anscheinend
wissenschaftlicher Vorstellungen und Forschungen über das Wesen und die Verbrei-
tung der Pocken die Unnötigkeit deS JmpfenS zu beweisen, teils verlangen sie eine
Abänderung des Strafmaßes. Einer dieser Petenten wünschte sogar „eine ge¬
ordnete Laienkontrole aller Impfungen," ohne anzugeben, wie er sich diese denkt
und waS sie bezwecken soll.
Aus der Zahl der Petitionen kann nicht geschlossen werden, daß die Zahl der
Jmpsgegner groß sei, da die Organe derselben, wie z. B. der zu Linnich erschei¬
nende „Jmpfzwanggegner," lebhaft über den, Abfall der Abonnenten und Inter¬
essenten klagen, wie anch aus ihnen hervorgeht, wie. künstlich gemacht die ganze
Bewegung ist.
Interessant ist es, daß aus Süddeutschland, wo der Impfzwang schon länger
bestanden hat, sehr wenig Petitionen dagegen tourner; die meisten kommen, ans
Sachsen, wo die Naturheilmethode ihre größte Ausbreitung und festeste Stütze hat.
Und doch bietet Sachsen um der Grenze nach Österreich daS charakteristischste Bild
für die Wohlthat des Impfzwangs, wenigstens für jeden, der sehen will, wo z. B.
die Fabrikbesitzer, welche Sachsen und Österreicher gemeinschaftlich beschäftigen, die
beiden Landesangehörigen auf den ersten Blick daran unterschieden, daß die Gesichter
der letztern meist von Pockennarben zerrissen sind, die der erster» nicht.
Der Referent beantragte auf Grund dieser Ausführungen über die Petitionen
zur Tagesordnung überzugehen, welchem Antrag sich der Korreferent mit dem Be¬
merken anschloß, er sei zwar grundsätzlich Gegner des Impfzwanges, sahe, aber den
Nutzen desselben ein und stimme deshalb den« Antrage, des Referenten bei.
In der Diskussion über diesen Antrag erklärte der Negiernngskommissar,
Direktor des Reichsgesnndheitsamtes Köhler, die Bestimmungen des 14 des Impf¬
gesetzes seien bisher von den höchsten Landesgerichten, dahin ausgelegt worden, daß
die Verpflichtung der Eltern u. s. w., den Nachweis der geschehenen Impfung ihrer
Kinder beizubringen, beziehentlich sie. zur Jmpfung oder Rachschau zu stellen, durch
einmalige Bestrafung nicht aufgehoben werde, vielmehr könne wiederholt wegen
Nichterfüllung einer neuen Aufforderung bestraft werden, abweichende Urteile einzelner
Schöffen- oder Landesgerichte seien in höherer Instanz abgeändert worden. Es
solle dnrch die Zahlung der Strafe, nicht das Unrecht gesühnt werden, sondern es
solle damit die Nachholung der versäumten Impfung erreicht werden, die erkannte
Strafe habe die Eigenschaft einer polizeilichen Eretntivstrafe und könne daher so
lange wiederholt werden, bis sie ihren Zweck erreiche. Die Jmpfung solle nicht
bloß den Geimpften selbst schützen; da der Impfschutz nur ein relativer sei, so be¬
drohe die Anwesenheit zahlreicher überhaupt nicht oder nnr mangelhaft, geimpften
und deshalb der Ansteckung besonders ausgesetzten Personen auch die. übrigen ge-
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