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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

wirtschaftliche" Beratungen wünschenswerte Sachkunde aneignen könne. Gerade
die wirtschaftliche Gesetzgebung erfordere eine ununterbrochene Wechselwirkung
mit den praktische" Erfahrungen, und es sei nicht für jeden möglich, sich el"
sicheres Urteil zur Abstimmung über ein so riesenhaft ausgedehntes Gebiet
zu bilden. Der Reichskanzler hoffte, daß ein Mandat zu diesen" Volks¬
wirtschaftsrate nur solche Männer auuehnicn würden, die Zeit und Lust dazu
hätten, und von denen daher wirkliche Sachkunde zu erwarten wäre.

Alles dieses trifft für den hier erörterten Vorschlag zu, während es von
den Beweisgründen der Reichstagsmehrheit, die im Jahre 1881 den Volks¬
wirtschaftsrat ablehnte, nicht getroffen wird. Bekanntlich erfolgte die Ablehnung,
weil man eine staatsrechtliche Verantwortlichkeit des WirtschaftSrates vermißte,
und fürchtete, daß diese eine selbständige Instanz neben und über dem Reichs¬
tage werden würde, die das Ansehen des Reichstages schwächen müßte. -- Der
wirtschaftliche Reichstag wäre eben der Reichstag selbst und würde seinem
Politischen Zwillingsbruder in keiner Weise Konkurrenz macheu.

Das Gesetz brauchte nur einfach zu lauten: 1. Die Tagung des Reichstages
erfolgt getrennt: n) für politische Gesetzgebung, Verfassung und Verwaltung
des Reiches einschließlich des Budgets; d) für wirtschaftliche und soziale Gesetz¬
gebung. 2. Zweifel über die Zuständigkeit einer Sache entscheidet der Bundesrat.
3. Die Sitzungen der beiden Reichstage finden nicht gleichzeitig, sondern nach
oder neben einander statt.


Rnrt Graeser


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Impfzwang und seine Durchführung.

Im Jahrgang 1888 der
grünen Blätter (Bd. 1, Seite 222) habe ich dargelegt, daß nach meiner Ansicht die
Zwmigsiiiipfling zulässig sei, da das Reichsnnpfgcsch sie nicht untersage, das preußische
Recht sie aber unbedingt zulasse, und daß die zuständigen staatlichen Behörden
meine Ansicht gebilligt hätten. Die Frage ist inzwischen in zahlreichen Petitionen,
die sich zum Teil sehr lebhaft mit meiner Person und meiner Handlungsweise be¬
schäftigen, dem Reichstag unterbreitet worden, und es interessirt vielleicht die Leser
dieser Zeitschrift, von dem Schicksal dieser Petitionen Kenntnis zu erhallen.

Der Referent der Petitionstommission hob bei der Kommissiousberatung her¬
vor, daß sofort mit Erlaß des ImpfgeseheS von, 8. April 1874 Petitionen da¬
gegen hervorgetreten seien, daß aber bis zum heutigen Tage immer dieselben Namen,
ja meistenteils wörtlich dieselben Petitionen wiederkehrten, eine derselben ist z. B.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

wirtschaftliche» Beratungen wünschenswerte Sachkunde aneignen könne. Gerade
die wirtschaftliche Gesetzgebung erfordere eine ununterbrochene Wechselwirkung
mit den praktische» Erfahrungen, und es sei nicht für jeden möglich, sich el»
sicheres Urteil zur Abstimmung über ein so riesenhaft ausgedehntes Gebiet
zu bilden. Der Reichskanzler hoffte, daß ein Mandat zu diesen» Volks¬
wirtschaftsrate nur solche Männer auuehnicn würden, die Zeit und Lust dazu
hätten, und von denen daher wirkliche Sachkunde zu erwarten wäre.

Alles dieses trifft für den hier erörterten Vorschlag zu, während es von
den Beweisgründen der Reichstagsmehrheit, die im Jahre 1881 den Volks¬
wirtschaftsrat ablehnte, nicht getroffen wird. Bekanntlich erfolgte die Ablehnung,
weil man eine staatsrechtliche Verantwortlichkeit des WirtschaftSrates vermißte,
und fürchtete, daß diese eine selbständige Instanz neben und über dem Reichs¬
tage werden würde, die das Ansehen des Reichstages schwächen müßte. — Der
wirtschaftliche Reichstag wäre eben der Reichstag selbst und würde seinem
Politischen Zwillingsbruder in keiner Weise Konkurrenz macheu.

Das Gesetz brauchte nur einfach zu lauten: 1. Die Tagung des Reichstages
erfolgt getrennt: n) für politische Gesetzgebung, Verfassung und Verwaltung
des Reiches einschließlich des Budgets; d) für wirtschaftliche und soziale Gesetz¬
gebung. 2. Zweifel über die Zuständigkeit einer Sache entscheidet der Bundesrat.
3. Die Sitzungen der beiden Reichstage finden nicht gleichzeitig, sondern nach
oder neben einander statt.


Rnrt Graeser


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Impfzwang und seine Durchführung.

Im Jahrgang 1888 der
grünen Blätter (Bd. 1, Seite 222) habe ich dargelegt, daß nach meiner Ansicht die
Zwmigsiiiipfling zulässig sei, da das Reichsnnpfgcsch sie nicht untersage, das preußische
Recht sie aber unbedingt zulasse, und daß die zuständigen staatlichen Behörden
meine Ansicht gebilligt hätten. Die Frage ist inzwischen in zahlreichen Petitionen,
die sich zum Teil sehr lebhaft mit meiner Person und meiner Handlungsweise be¬
schäftigen, dem Reichstag unterbreitet worden, und es interessirt vielleicht die Leser
dieser Zeitschrift, von dem Schicksal dieser Petitionen Kenntnis zu erhallen.

Der Referent der Petitionstommission hob bei der Kommissiousberatung her¬
vor, daß sofort mit Erlaß des ImpfgeseheS von, 8. April 1874 Petitionen da¬
gegen hervorgetreten seien, daß aber bis zum heutigen Tage immer dieselben Namen,
ja meistenteils wörtlich dieselben Petitionen wiederkehrten, eine derselben ist z. B.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/530>, abgerufen am 05.02.2025.