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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Berliner Rupferstichkabinet

und diesen sicher auch oft als "Brief" oder in Buchillustration ersetzte. Von den
ältesten datirten Kupferstichen, die uns uns gekommen sind, befinden sich die
einzigen erhaltenen Abdrücke im Kupferstichkabinet zu Berlin und haben daher
das bestbegründete Recht, die Reihe der ausgestellten Arbeiten zu eröffnen:
eines der sieben Blätter, welche Szenen ans der Passion darstellen und im
Jahre 1881 aus der Sammlung des belgischen Knnstfvrschers Nenonvier in
Montpellier erworben wurden, trägt die Jahreszahl 1440 und hat wohl mehr
dieser, als seinem künstlerisch geringen Werte seine Bedeutung zu verdanken.
Diese Jahreszahl hat nämlich den langen und heftigen zwischen Italien und
Deutschland geführten Streit um die Priorität der Erfindung des Kupfer¬
stichs auch äußerlich zu Gunsten Deutschlands entschieden. Des Künstlers
freilich, der uns diese Ehre verschafft und dessen Heimat wir wohl mit
Recht in Oberdeutschland vermuten, dürfen wir uns nicht sonderlich rühmen.
Eine gewisse rohe Unbeholfenheit, die nicht nur in dem Ringen mit der
neuen Technik ihren Grund hat, beweist, das; der erste Kupferstecher nicht
sowohl in den Reihen der Künstler, als in denen der Handwerker zu suchen
sein dürfte. Die Geschichte des Kupferstichs im fünfzehnten Jahrhundert
bietet uns übrigens auch genug andre Beispiele dafür, daß sich die neue
Vervielfältignngsart zunächst in künstlerisch ungeübten Händen befand; es
sind uns denn auch nur wenige Namen erhalten, an die eine Geschichte des
Kupferstichs anknüpfen konnte. Viele, deren Werk die Forschung mühsam zu¬
sammengestellt hat, sind, wie der niederdeutsche "Meister mit den Schriftrollen"
(um 1464) hauptsächlich Kopisten der Erfindungen andrer; ja selbst technisch
bereits so fortgeschrittene Meister wie Jsrahel von Meckenem und Franz von
Bocholt (Meister V. L.) zehren unbefangen von den Verdiensten ihrer Vor¬
gänger und Zeitgenossen. Unter den ersten nimmt der in Oberdeutschland
um 1466 thätige Meister E. S. einen hervorragenden Platz ein, aus dessen
reichem Werk ein ausgestelltes Blatt besonders hervorgehoben sein mag, weil
es die Stellung des Kupferstichs im Leben des fünfzehnten Jahrhunderts treffend
veranschaulicht. Es ist das die sogenannte "große Madonna von Einsiedeln."
In einem Alpenthal des Kantons Schwyz liegt das als Wallfahrtsort
schon im Mittelalter berühmte Kloster Einsiedeln, das nach der Legende der
heilige Memme im nennten Jahrhundert gründete; dieselbe Legende erzählt
auch, daß Gott selbst mit seinen Engeln erschienen sei, um die Kdpelle, in der
das wunderthätige Marienbild, das Ziel der Wallfahrer, stand, zu weihen.
Der Tag dieser "Engelweihe," der 14. September, wurde mit vielem Pomp
gefeiert, und ein Erinnerungsblatt an dieses Fest wurde -- wahrscheinlich ans
Anregung des kunstsinnigen Stiftskapitulars Albrecht von Bonstetten -- von
unserm schwäbischen Goldschmied E. S. im Jahre 1466 in Kupfer gestochen
und als Wallsahreraudenken unter die Pilger verteilt. Dafür spricht, daß der
Meister dieselbe Darstellung der Madonna von Einsiedeln in drei verschiedenen


Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Berliner Rupferstichkabinet

und diesen sicher auch oft als „Brief" oder in Buchillustration ersetzte. Von den
ältesten datirten Kupferstichen, die uns uns gekommen sind, befinden sich die
einzigen erhaltenen Abdrücke im Kupferstichkabinet zu Berlin und haben daher
das bestbegründete Recht, die Reihe der ausgestellten Arbeiten zu eröffnen:
eines der sieben Blätter, welche Szenen ans der Passion darstellen und im
Jahre 1881 aus der Sammlung des belgischen Knnstfvrschers Nenonvier in
Montpellier erworben wurden, trägt die Jahreszahl 1440 und hat wohl mehr
dieser, als seinem künstlerisch geringen Werte seine Bedeutung zu verdanken.
Diese Jahreszahl hat nämlich den langen und heftigen zwischen Italien und
Deutschland geführten Streit um die Priorität der Erfindung des Kupfer¬
stichs auch äußerlich zu Gunsten Deutschlands entschieden. Des Künstlers
freilich, der uns diese Ehre verschafft und dessen Heimat wir wohl mit
Recht in Oberdeutschland vermuten, dürfen wir uns nicht sonderlich rühmen.
Eine gewisse rohe Unbeholfenheit, die nicht nur in dem Ringen mit der
neuen Technik ihren Grund hat, beweist, das; der erste Kupferstecher nicht
sowohl in den Reihen der Künstler, als in denen der Handwerker zu suchen
sein dürfte. Die Geschichte des Kupferstichs im fünfzehnten Jahrhundert
bietet uns übrigens auch genug andre Beispiele dafür, daß sich die neue
Vervielfältignngsart zunächst in künstlerisch ungeübten Händen befand; es
sind uns denn auch nur wenige Namen erhalten, an die eine Geschichte des
Kupferstichs anknüpfen konnte. Viele, deren Werk die Forschung mühsam zu¬
sammengestellt hat, sind, wie der niederdeutsche „Meister mit den Schriftrollen"
(um 1464) hauptsächlich Kopisten der Erfindungen andrer; ja selbst technisch
bereits so fortgeschrittene Meister wie Jsrahel von Meckenem und Franz von
Bocholt (Meister V. L.) zehren unbefangen von den Verdiensten ihrer Vor¬
gänger und Zeitgenossen. Unter den ersten nimmt der in Oberdeutschland
um 1466 thätige Meister E. S. einen hervorragenden Platz ein, aus dessen
reichem Werk ein ausgestelltes Blatt besonders hervorgehoben sein mag, weil
es die Stellung des Kupferstichs im Leben des fünfzehnten Jahrhunderts treffend
veranschaulicht. Es ist das die sogenannte „große Madonna von Einsiedeln."
In einem Alpenthal des Kantons Schwyz liegt das als Wallfahrtsort
schon im Mittelalter berühmte Kloster Einsiedeln, das nach der Legende der
heilige Memme im nennten Jahrhundert gründete; dieselbe Legende erzählt
auch, daß Gott selbst mit seinen Engeln erschienen sei, um die Kdpelle, in der
das wunderthätige Marienbild, das Ziel der Wallfahrer, stand, zu weihen.
Der Tag dieser „Engelweihe," der 14. September, wurde mit vielem Pomp
gefeiert, und ein Erinnerungsblatt an dieses Fest wurde — wahrscheinlich ans
Anregung des kunstsinnigen Stiftskapitulars Albrecht von Bonstetten — von
unserm schwäbischen Goldschmied E. S. im Jahre 1466 in Kupfer gestochen
und als Wallsahreraudenken unter die Pilger verteilt. Dafür spricht, daß der
Meister dieselbe Darstellung der Madonna von Einsiedeln in drei verschiedenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/520>, abgerufen am 05.02.2025.