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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Antisemiten und Liberale

Diese Niederlage der liberalen Partei zu feiern liegt eben so wenig Grund
vor, wie dafür, ans ihr das Schwinden der Gesittung, des Freiheitssinnes
n. s. w. zu folgern und die Verödung Wiens zu prophezeien. Beide Parteien
begreifen grnndverschiedne Elemente in sich, von den Kandidaten beider wissen
in der Regel die Wühler gleich wenig, da Männer von Bedeutung seit vielen
Jahren, lange vor dem Eintreten der jetzigen Opposition in den Kampf, mehr
und mehr dem Ehrgeiz entsagen, zu den Vätern der Reichshauptstadt zu gehören.
Höchstens benutzt man noch den Gemeiderat als Sprungbret, um sich in den
Landtag oder in den Reichsrat aufzuschwingen. Das wird nicht nnr durch
den manchmal schon an den parlamentarischen Stil in Ungarn erinnernden
Ton der Verhandlungen verständlich gemacht, sondern auch durch Vorfälle wie
der, daß in einer Angelegenheit, in der private Kreditinstitute in Konkurrenz
mit der Gemeinde treten, ein Angestellter eines solchen Institutes das Referat
übernimmt und dann unter dem Veifalle der Mehrheit kühl erklärt, er finde
darin nichts ungehöriges. Umgekehrt ist in den Augen der Zeitungen die Be¬
rührung solcher Ungehörigkeiten gleichbedeutend mit "Aufhetzung gegen das
Kapital." Legen sie doch schon den Banken n. s. w. nahe, sich ihrer anti¬
semitisch stimmenden Beamten zu entledigen, da sie auf deren Zuverlässigkeit
nicht rechnen könnten!

Daß ihre Waffenbrüderschaft mit den Klerikalen ein gefährliches Ding
sei, verhehlen sich die Antisemiten nicht. Ihr Organ, das "Deutsche Volksblatt,"
suchte unmittelbar nach der Wahlschlncht die Partei deswegen zu beruhigen.
Der Aufsatz entwickelte, die Partei sei im Grunde eine deutschnativnale, sei durch
die nationale Idee zum Antisemitismus geführt, der eine ideale Seite habe,
die Reinhaltung des Volksstammes, und eine praktische, Schutz gegen Aus¬
beutung. In diesem letztern Punkte finde die Berührung mit den Klerikalen
statt, die man "zur Erkenntnis der nationalen Seite des Antisemitismus zu
erziehen, und dadurch sie als Deutsche sür die nationale Sache überhaupt zu
gewinnen" hoffe. Leider ist zu befürchten, daß diese Arbeit zu spät in
Augriff genommen wird. Vor Zeiten standen der Erzbischof von Prag, Fürst
Schwarzenberg, und der streitbare Bischof Nndigier von Linz ziemlich vereinzelt
unter deu Kirchenfürsten, im deutschen Klerus waren die Männer von nationaler
Gesinnung häufig. Das ist ganz anders geworden, die Eiferer haben das
Heft in der Hand, der Nachwuchs ist ultramontan und zum großen Teil
föderalistisch gesinnt. Auch diese Umwandlung hätte sich nicht so rasch und
leicht vollzogen, wenn die Liberalen weniger verblendet gewesen wären. Oder
ist es ein Wunder, daß die Geistlichkeit sich von einer Partei abwendet, deren
Organe es als eine ihrer Hauptaufgaben auffassen, das Ausehen der Geistliche"
zu untergraben? Wenn irgendwo in der Welt ein Geistlicher ein Gesetz verletzt
hatte, insbesondre wenn dabei vom Cölibat gesprochen werden konnte, ging
ein Triumphgeschrei durch die Blätter, und vorher in übertriebener Weise


Antisemiten und Liberale

Diese Niederlage der liberalen Partei zu feiern liegt eben so wenig Grund
vor, wie dafür, ans ihr das Schwinden der Gesittung, des Freiheitssinnes
n. s. w. zu folgern und die Verödung Wiens zu prophezeien. Beide Parteien
begreifen grnndverschiedne Elemente in sich, von den Kandidaten beider wissen
in der Regel die Wühler gleich wenig, da Männer von Bedeutung seit vielen
Jahren, lange vor dem Eintreten der jetzigen Opposition in den Kampf, mehr
und mehr dem Ehrgeiz entsagen, zu den Vätern der Reichshauptstadt zu gehören.
Höchstens benutzt man noch den Gemeiderat als Sprungbret, um sich in den
Landtag oder in den Reichsrat aufzuschwingen. Das wird nicht nnr durch
den manchmal schon an den parlamentarischen Stil in Ungarn erinnernden
Ton der Verhandlungen verständlich gemacht, sondern auch durch Vorfälle wie
der, daß in einer Angelegenheit, in der private Kreditinstitute in Konkurrenz
mit der Gemeinde treten, ein Angestellter eines solchen Institutes das Referat
übernimmt und dann unter dem Veifalle der Mehrheit kühl erklärt, er finde
darin nichts ungehöriges. Umgekehrt ist in den Augen der Zeitungen die Be¬
rührung solcher Ungehörigkeiten gleichbedeutend mit „Aufhetzung gegen das
Kapital." Legen sie doch schon den Banken n. s. w. nahe, sich ihrer anti¬
semitisch stimmenden Beamten zu entledigen, da sie auf deren Zuverlässigkeit
nicht rechnen könnten!

Daß ihre Waffenbrüderschaft mit den Klerikalen ein gefährliches Ding
sei, verhehlen sich die Antisemiten nicht. Ihr Organ, das „Deutsche Volksblatt,"
suchte unmittelbar nach der Wahlschlncht die Partei deswegen zu beruhigen.
Der Aufsatz entwickelte, die Partei sei im Grunde eine deutschnativnale, sei durch
die nationale Idee zum Antisemitismus geführt, der eine ideale Seite habe,
die Reinhaltung des Volksstammes, und eine praktische, Schutz gegen Aus¬
beutung. In diesem letztern Punkte finde die Berührung mit den Klerikalen
statt, die man „zur Erkenntnis der nationalen Seite des Antisemitismus zu
erziehen, und dadurch sie als Deutsche sür die nationale Sache überhaupt zu
gewinnen" hoffe. Leider ist zu befürchten, daß diese Arbeit zu spät in
Augriff genommen wird. Vor Zeiten standen der Erzbischof von Prag, Fürst
Schwarzenberg, und der streitbare Bischof Nndigier von Linz ziemlich vereinzelt
unter deu Kirchenfürsten, im deutschen Klerus waren die Männer von nationaler
Gesinnung häufig. Das ist ganz anders geworden, die Eiferer haben das
Heft in der Hand, der Nachwuchs ist ultramontan und zum großen Teil
föderalistisch gesinnt. Auch diese Umwandlung hätte sich nicht so rasch und
leicht vollzogen, wenn die Liberalen weniger verblendet gewesen wären. Oder
ist es ein Wunder, daß die Geistlichkeit sich von einer Partei abwendet, deren
Organe es als eine ihrer Hauptaufgaben auffassen, das Ausehen der Geistliche»
zu untergraben? Wenn irgendwo in der Welt ein Geistlicher ein Gesetz verletzt
hatte, insbesondre wenn dabei vom Cölibat gesprochen werden konnte, ging
ein Triumphgeschrei durch die Blätter, und vorher in übertriebener Weise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/50>, abgerufen am 05.02.2025.