Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.durch die Zensur geschützt, mußte der ganze Stand sich nun ebenso übertriebene Und nun das Erstannen darüber, daß in breiten Volksschichten Liberalismus Und in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über das Budget des durch die Zensur geschützt, mußte der ganze Stand sich nun ebenso übertriebene Und nun das Erstannen darüber, daß in breiten Volksschichten Liberalismus Und in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über das Budget des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204782"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_118" prev="#ID_117"> durch die Zensur geschützt, mußte der ganze Stand sich nun ebenso übertriebene<lb/> Angriffe gefallen lassen. Das empörte auch die Milden und Versöhnlichen<lb/> und lieferte den streitlustigen jungen Kapläuen gern benutzte Waffen. Mit<lb/> diesen Verhältnissen steht es in unmittelbarem Zusammenhange, daß in den<lb/> deutscheu (legenden der Zudrang zum theologischen Studium fühlbar abge¬<lb/> nommen hat, die wissenschaftlichen Anforderungen herabgesetzt werden, und<lb/> trotzdem ohne den Zuzug von Slawen das genügende Personal für die Seel¬<lb/> sorge gar nicht mehr herbeizuschaffen wäre. Und in welcher Art diese Hilfs¬<lb/> truppen thätig sind, bedarf keiner Ausführung. Das alles ist offenkundig,<lb/> darf jedoch nicht wahr sein. So wird höchstens in Privatgesprächen zuge¬<lb/> standen, daß bei Konflikten zwischen Geistlichen und Lehrer das Unrecht nicht<lb/> immer ans feiten des Geistlichen liegt. Denn wer laut die Beobachtung<lb/> macht, daß auch unter den Volksschnllehrern Überhebung und andre Schwächen<lb/> zu finden seien, ist ein gefährlicher Reaktionär.</p><lb/> <p xml:id="ID_119"> Und nun das Erstannen darüber, daß in breiten Volksschichten Liberalismus<lb/> und Judentum für identisch oder doch solidarisch angesehen werden, nachdem<lb/> die langen Jahre hindurch eben dies in großen und kleinen Blättern behauptet<lb/> worden ist — bis auf den heutigen Tag. Unmittelbar vor und nach den<lb/> Gemeinderatswahlen wurden in elegischem, warnendem, drohendem, tragischen<lb/> Tone Behauptungen aufgestellt, die, des schmückenden und umhüllenden Bei¬<lb/> werkes entkleidet, besagen: was seit zwanzig Jahren Gutes geschehen ist, ist den<lb/> Juden und Judenfreunden zu verdanken, diesen allein liegt das Wohl der<lb/> Reichshauptstadt, des deutsche» Wien am Herzen, wenn die Bevölkerung dieser<lb/> Partei den Rücken wendet, wird auch sie sich von Wien lossagen, und dann<lb/> muß es verarmen, zu Grunde gehen. Weshalb Wien geblüht hat, als noch<lb/> nicht das Geldgeschäft, der Zwischenhandel, die Advokatur, die praktische Me¬<lb/> dizin, das Zeitungswesen sich vornehmlich in jüdischen Händen befanden, bleibt<lb/> unerörtert. Und während sie immer muss neue deu Trumpf ausspielen, es sei<lb/> eine Schande für die christliche Mehrheit, sich vor den wenigen Juden zu fürchten,<lb/> können die Dutzende jüdischer Zeitungen die Angst nicht verbergen,die ihnen das<lb/> Bestehen eiues einzigen antisemitischen Tageblattes — seit Neujahr! — einflößt.</p><lb/> <p xml:id="ID_120" next="#ID_121"> Und in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über das Budget des<lb/> Kultus und Unterrichtes, die während der Wahlen begannen und von ihnen<lb/> stark beeinflußt wurden, traten als Hauptredner gegen die konfessionelle Schule<lb/> richtig wieder zwei getaufte Juden auf, und der eine tischte richtig wieder auf, daß<lb/> Christus und die Apostel Juden gewesen sind; die Gegner waren großmütig genug,<lb/> nicht zu berühren, wie diese Juden von ihren: Volke behandelt wurden. Es ist<lb/> unvermeidlich, daß nicht nur die Bezeichnung „liberal", sondern anch „deutsch-<lb/> österreichisch" uur noch als Umschreibungen von „jüdisch" gelten, da bei natio¬<lb/> nalen Zerwürfnissen und Spaltungen, im Schulverein, in der Studentenschaft,<lb/> in der Turnerschaft n. s. w. die Juden regelmäßig jene Bezeichnung für</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
durch die Zensur geschützt, mußte der ganze Stand sich nun ebenso übertriebene
Angriffe gefallen lassen. Das empörte auch die Milden und Versöhnlichen
und lieferte den streitlustigen jungen Kapläuen gern benutzte Waffen. Mit
diesen Verhältnissen steht es in unmittelbarem Zusammenhange, daß in den
deutscheu (legenden der Zudrang zum theologischen Studium fühlbar abge¬
nommen hat, die wissenschaftlichen Anforderungen herabgesetzt werden, und
trotzdem ohne den Zuzug von Slawen das genügende Personal für die Seel¬
sorge gar nicht mehr herbeizuschaffen wäre. Und in welcher Art diese Hilfs¬
truppen thätig sind, bedarf keiner Ausführung. Das alles ist offenkundig,
darf jedoch nicht wahr sein. So wird höchstens in Privatgesprächen zuge¬
standen, daß bei Konflikten zwischen Geistlichen und Lehrer das Unrecht nicht
immer ans feiten des Geistlichen liegt. Denn wer laut die Beobachtung
macht, daß auch unter den Volksschnllehrern Überhebung und andre Schwächen
zu finden seien, ist ein gefährlicher Reaktionär.
Und nun das Erstannen darüber, daß in breiten Volksschichten Liberalismus
und Judentum für identisch oder doch solidarisch angesehen werden, nachdem
die langen Jahre hindurch eben dies in großen und kleinen Blättern behauptet
worden ist — bis auf den heutigen Tag. Unmittelbar vor und nach den
Gemeinderatswahlen wurden in elegischem, warnendem, drohendem, tragischen
Tone Behauptungen aufgestellt, die, des schmückenden und umhüllenden Bei¬
werkes entkleidet, besagen: was seit zwanzig Jahren Gutes geschehen ist, ist den
Juden und Judenfreunden zu verdanken, diesen allein liegt das Wohl der
Reichshauptstadt, des deutsche» Wien am Herzen, wenn die Bevölkerung dieser
Partei den Rücken wendet, wird auch sie sich von Wien lossagen, und dann
muß es verarmen, zu Grunde gehen. Weshalb Wien geblüht hat, als noch
nicht das Geldgeschäft, der Zwischenhandel, die Advokatur, die praktische Me¬
dizin, das Zeitungswesen sich vornehmlich in jüdischen Händen befanden, bleibt
unerörtert. Und während sie immer muss neue deu Trumpf ausspielen, es sei
eine Schande für die christliche Mehrheit, sich vor den wenigen Juden zu fürchten,
können die Dutzende jüdischer Zeitungen die Angst nicht verbergen,die ihnen das
Bestehen eiues einzigen antisemitischen Tageblattes — seit Neujahr! — einflößt.
Und in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über das Budget des
Kultus und Unterrichtes, die während der Wahlen begannen und von ihnen
stark beeinflußt wurden, traten als Hauptredner gegen die konfessionelle Schule
richtig wieder zwei getaufte Juden auf, und der eine tischte richtig wieder auf, daß
Christus und die Apostel Juden gewesen sind; die Gegner waren großmütig genug,
nicht zu berühren, wie diese Juden von ihren: Volke behandelt wurden. Es ist
unvermeidlich, daß nicht nur die Bezeichnung „liberal", sondern anch „deutsch-
österreichisch" uur noch als Umschreibungen von „jüdisch" gelten, da bei natio¬
nalen Zerwürfnissen und Spaltungen, im Schulverein, in der Studentenschaft,
in der Turnerschaft n. s. w. die Juden regelmäßig jene Bezeichnung für
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