Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Antisemiten und Liberale eit 18K1, dem Jahre, wo die Gemeinde Wien zum erstenmale Grenzboten II 1889 6
Antisemiten und Liberale eit 18K1, dem Jahre, wo die Gemeinde Wien zum erstenmale Grenzboten II 1889 6
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204780"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341849_204730/figures/grenzboten_341849_204730_204780_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Antisemiten und Liberale<lb/></head><lb/> <p xml:id="ID_115"> eit 18K1, dem Jahre, wo die Gemeinde Wien zum erstenmale<lb/> nach zehnjähriger Pause zur Wahl ihrer Vertretung berufen<lb/> wurde, ist eine so lebhafte, ja leidenschaftliche Agitation und eine<lb/> so starke Teilnahme der Wahlberechtigten nicht erlebt worden,<lb/> wie hener bei den Ergünzungswahlen für den Gemeindcrnt.<lb/> In im dritten Wahlkörper haben von dreißigtausend Wählern in acht Bezirken<lb/> eiuuudzwanzigtausend gestimmt, 70 Prozent, ein Verhältnis, das nach Angabe<lb/> der Zeitungen überhaupt noch nie erreicht worden ist. Mit wenigen Aus¬<lb/> nahmen hatte sich die Wählerschaft in zwei große Lager gesondert, ans der<lb/> einen Seite Liberale und Demokraten, auf der andern die „vereinigten Christen",<lb/> d. h. Antisemiten und Klerikale. Die letztern setzten in acht Bezirken elf Kan¬<lb/> didaten dnrch, die erster» in zwei Bezirken sechs. Dieser Ausgang hat ans<lb/> die Liberalen eine geradezu niederschmetternde Wirkung ausgeübt. Denn deuteln<lb/> ließ sich an dein Ergebnisse nicht. Ans beiden Seiten waren schlechthin alle<lb/> verfügbaren Mittel in Bewegung gesetzt worden, und daß die unterlegene<lb/> Partei in der Lage war, über größere Mittel zu verfügen, daß die Bourgeoisie<lb/> ihren beträchtlichen Einfluß aufbieten konnte und auch aufbot, daß ihrer Agi-<lb/> tativuskasse reichlicher Gelder zugeflossen waren, das wird anch von ihrer<lb/> Seite nicht geleugnet. Der Vorwurf der Lauheit hält obigen Ziffern gegen¬<lb/> über nicht Stand, aus deuen überdies mit allen arithmetischen Kunststücken<lb/> kein Scheintrost herauszurechnen ist. Von den abgegebenen Stimmen gehören<lb/> (wenn die auf einen gemeinschaftlichen Kandidaten gefallenen nach Maßgabe<lb/> der audern Abstimmungen verteilt werden) 60 Prozent den Siegern, 45 den<lb/> Besiegten, von allen Stimmberechtigten bleiben jenen 42, diesen 31 Prozent,<lb/> so daß, selbst wenn die zurückgebliebenen 9000 Wähler beiden Parteien zu<lb/> gleichen Teilen zugerechnet werden, den „vereinigten Christen" eine große Mehr¬<lb/> heit bleibt. Sogar das Auskunftsmittel, das sonst umschmeichelte „Volk"<lb/> plötzlich zur miseru. xlevs zu degradiren, war nicht mehr anwendbar, als der zweite<lb/> Wahlkörper, der eigentliche Mittelstand, noch vier Antisemiten wählte; zu diesen<lb/> gehört auch der Vertreter der innern Stadt, wo Kaufleute, Beamte, Advokaten.<lb/> Arzte den Ausschlag geben.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1889 6</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0049]
[Abbildung]
Antisemiten und Liberale
eit 18K1, dem Jahre, wo die Gemeinde Wien zum erstenmale
nach zehnjähriger Pause zur Wahl ihrer Vertretung berufen
wurde, ist eine so lebhafte, ja leidenschaftliche Agitation und eine
so starke Teilnahme der Wahlberechtigten nicht erlebt worden,
wie hener bei den Ergünzungswahlen für den Gemeindcrnt.
In im dritten Wahlkörper haben von dreißigtausend Wählern in acht Bezirken
eiuuudzwanzigtausend gestimmt, 70 Prozent, ein Verhältnis, das nach Angabe
der Zeitungen überhaupt noch nie erreicht worden ist. Mit wenigen Aus¬
nahmen hatte sich die Wählerschaft in zwei große Lager gesondert, ans der
einen Seite Liberale und Demokraten, auf der andern die „vereinigten Christen",
d. h. Antisemiten und Klerikale. Die letztern setzten in acht Bezirken elf Kan¬
didaten dnrch, die erster» in zwei Bezirken sechs. Dieser Ausgang hat ans
die Liberalen eine geradezu niederschmetternde Wirkung ausgeübt. Denn deuteln
ließ sich an dein Ergebnisse nicht. Ans beiden Seiten waren schlechthin alle
verfügbaren Mittel in Bewegung gesetzt worden, und daß die unterlegene
Partei in der Lage war, über größere Mittel zu verfügen, daß die Bourgeoisie
ihren beträchtlichen Einfluß aufbieten konnte und auch aufbot, daß ihrer Agi-
tativuskasse reichlicher Gelder zugeflossen waren, das wird anch von ihrer
Seite nicht geleugnet. Der Vorwurf der Lauheit hält obigen Ziffern gegen¬
über nicht Stand, aus deuen überdies mit allen arithmetischen Kunststücken
kein Scheintrost herauszurechnen ist. Von den abgegebenen Stimmen gehören
(wenn die auf einen gemeinschaftlichen Kandidaten gefallenen nach Maßgabe
der audern Abstimmungen verteilt werden) 60 Prozent den Siegern, 45 den
Besiegten, von allen Stimmberechtigten bleiben jenen 42, diesen 31 Prozent,
so daß, selbst wenn die zurückgebliebenen 9000 Wähler beiden Parteien zu
gleichen Teilen zugerechnet werden, den „vereinigten Christen" eine große Mehr¬
heit bleibt. Sogar das Auskunftsmittel, das sonst umschmeichelte „Volk"
plötzlich zur miseru. xlevs zu degradiren, war nicht mehr anwendbar, als der zweite
Wahlkörper, der eigentliche Mittelstand, noch vier Antisemiten wählte; zu diesen
gehört auch der Vertreter der innern Stadt, wo Kaufleute, Beamte, Advokaten.
Arzte den Ausschlag geben.
Grenzboten II 1889 6
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