Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Zum Wettiner-Jubiläum der Freiheitskriege kaum angeweht worden war? Es bedurfte langer Zeit, um Zum Wettiner-Jubiläum der Freiheitskriege kaum angeweht worden war? Es bedurfte langer Zeit, um <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205224"/> <fw type="header" place="top"> Zum Wettiner-Jubiläum</fw><lb/> <p xml:id="ID_1378" prev="#ID_1377" next="#ID_1379"> der Freiheitskriege kaum angeweht worden war? Es bedurfte langer Zeit, um<lb/> eine verständigere Stimmung im Volke und am Hofe herbeizuführen, wogegen<lb/> die Mißstände im Innern eher zu schwinden begannen. Friedrich Augusts<lb/> Nachfolger, König Anton, wie er, ein hochbetagter Herr, hätte es am liebsten<lb/> in allen Stücken beim alten gelassen, aber der Wellenschlag der Pariser Juli-<lb/> revolution, der sich auch in Sachsen fühlbar machte, drängte in andre Bahnen.<lb/> Der Staat verjüngte sich durch Einführung des konstitutionellen Systems, die<lb/> alten Feudalstäude machten einem Landtage mit zwei Kammern Platz, und ein<lb/> Liberalismus allerdings sehr gemäßigter Art fing an, die verrotteten Zustände<lb/> auf dem Wege der Gesetzgebung zu bessern. Auch der deutsche Gedanke, der<lb/> im preußischen Zollverein lag, drang unwiderstehlich im Lande ein und führte<lb/> 1834 zum Anschluß an diesen zunächst wirtschaftlichen Bund, der sich später<lb/> trotz aller Bemühungen prenßcnfeindlicher Minister nicht mehr lösen ließ. Die<lb/> Bewegung, die die Pariser Februarrevolution auch in Sachsen hervorrief,<lb/> verlief, nachdem sie das Königreich binnen kurzer Frist in ein Lager des<lb/> Radikalismus verwandelt hatte, ergebnislos sowohl sür die nationale Sache als<lb/> für das innere Verfassungsleben. Auf die Anarchie, die die Demokraten mit<lb/> ihren thörichten Forderungen und zuletzt mit Gewaltthaten heraufbeschworen<lb/> hatten, folgte eine vieljährige Reaktion, die durch den Namen Beust genügend<lb/> bezeichnet wird. Sie brachte im Innern gleichwohl einige Reformen zustande,<lb/> aber in der deutschen Frage, die mit dem Jahre 1859 die Gemüter wieder<lb/> lebhafter beschäftigte, leistete sie nur das Gegenteil von dem, was die Nation<lb/> bedürfte, und Sachsen war hier die treibende Kraft des Partikularismus, mit<lb/> dem die Regierungen der Mittelstaaten unter Anlehnung an Österreich die<lb/> freilich aufangs schwächlichen Versuche Preußens, die Kräfte der Nation unter seiner<lb/> Ägide zusammenzufassen, hemmten und solange vereitelten, bis Vismarcks<lb/> geniale Energie und das preußische Heer dem Spiele 1866 siegreich ein Ende<lb/> machten, und im norddeutschen Bunde der Anfang zum deutschen Reiche er¬<lb/> stand. Das sächsische Heer hatte im böhmischen Kriege wie bei frühern Ge¬<lb/> legenheiten, wo es auf der unrechten Seite stand, tapfer mit gefochten und in<lb/> der Verwirrung, mit der die Schlacht bei Königsgrcitz in den österreichischen<lb/> Reihen endigte, seine taktische Ordnung so wohl gewahrt, daß ihm der Rückzug<lb/> über die Elbe fast ohne Verlust an Geschützen gelang. Einen Augenblick<lb/> schwebte nach der Entscheidung durch die Waffen die Weitcrexistenz Sachsens<lb/> oder doch sein ungeschmälertes Fortbestehen in Gefahr, indem König Wilhelm<lb/> es ganz oder teilweise seinen Staaten einverleiben wollte. Vismarcks genüg¬<lb/> samer Staatsklugheit verdankt es, daß es heute sein achthundertjähriges<lb/> Jubiläum feiern kann. Er widerriet sowohl die gänzliche Wegnahme des Landes<lb/> als dessen Teilung. Jene hätte Österreich Ehren halber nicht zugeben dürfen,<lb/> und bei Fortsetzung des Kampfes konnte sich Napoleon einmischen. Diese hätte<lb/> dem neuen Bunde, den der preußische Staatsmann im Ange hatte, ein ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0493]
Zum Wettiner-Jubiläum
der Freiheitskriege kaum angeweht worden war? Es bedurfte langer Zeit, um
eine verständigere Stimmung im Volke und am Hofe herbeizuführen, wogegen
die Mißstände im Innern eher zu schwinden begannen. Friedrich Augusts
Nachfolger, König Anton, wie er, ein hochbetagter Herr, hätte es am liebsten
in allen Stücken beim alten gelassen, aber der Wellenschlag der Pariser Juli-
revolution, der sich auch in Sachsen fühlbar machte, drängte in andre Bahnen.
Der Staat verjüngte sich durch Einführung des konstitutionellen Systems, die
alten Feudalstäude machten einem Landtage mit zwei Kammern Platz, und ein
Liberalismus allerdings sehr gemäßigter Art fing an, die verrotteten Zustände
auf dem Wege der Gesetzgebung zu bessern. Auch der deutsche Gedanke, der
im preußischen Zollverein lag, drang unwiderstehlich im Lande ein und führte
1834 zum Anschluß an diesen zunächst wirtschaftlichen Bund, der sich später
trotz aller Bemühungen prenßcnfeindlicher Minister nicht mehr lösen ließ. Die
Bewegung, die die Pariser Februarrevolution auch in Sachsen hervorrief,
verlief, nachdem sie das Königreich binnen kurzer Frist in ein Lager des
Radikalismus verwandelt hatte, ergebnislos sowohl sür die nationale Sache als
für das innere Verfassungsleben. Auf die Anarchie, die die Demokraten mit
ihren thörichten Forderungen und zuletzt mit Gewaltthaten heraufbeschworen
hatten, folgte eine vieljährige Reaktion, die durch den Namen Beust genügend
bezeichnet wird. Sie brachte im Innern gleichwohl einige Reformen zustande,
aber in der deutschen Frage, die mit dem Jahre 1859 die Gemüter wieder
lebhafter beschäftigte, leistete sie nur das Gegenteil von dem, was die Nation
bedürfte, und Sachsen war hier die treibende Kraft des Partikularismus, mit
dem die Regierungen der Mittelstaaten unter Anlehnung an Österreich die
freilich aufangs schwächlichen Versuche Preußens, die Kräfte der Nation unter seiner
Ägide zusammenzufassen, hemmten und solange vereitelten, bis Vismarcks
geniale Energie und das preußische Heer dem Spiele 1866 siegreich ein Ende
machten, und im norddeutschen Bunde der Anfang zum deutschen Reiche er¬
stand. Das sächsische Heer hatte im böhmischen Kriege wie bei frühern Ge¬
legenheiten, wo es auf der unrechten Seite stand, tapfer mit gefochten und in
der Verwirrung, mit der die Schlacht bei Königsgrcitz in den österreichischen
Reihen endigte, seine taktische Ordnung so wohl gewahrt, daß ihm der Rückzug
über die Elbe fast ohne Verlust an Geschützen gelang. Einen Augenblick
schwebte nach der Entscheidung durch die Waffen die Weitcrexistenz Sachsens
oder doch sein ungeschmälertes Fortbestehen in Gefahr, indem König Wilhelm
es ganz oder teilweise seinen Staaten einverleiben wollte. Vismarcks genüg¬
samer Staatsklugheit verdankt es, daß es heute sein achthundertjähriges
Jubiläum feiern kann. Er widerriet sowohl die gänzliche Wegnahme des Landes
als dessen Teilung. Jene hätte Österreich Ehren halber nicht zugeben dürfen,
und bei Fortsetzung des Kampfes konnte sich Napoleon einmischen. Diese hätte
dem neuen Bunde, den der preußische Staatsmann im Ange hatte, ein ver-
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