Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Zum ZVottiner-Jubiläum Preußen entschieden. Wir kommen nun mit unserm Kommentar zu dem dynasti¬ Zum ZVottiner-Jubiläum Preußen entschieden. Wir kommen nun mit unserm Kommentar zu dem dynasti¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205223"/> <fw type="header" place="top"> Zum ZVottiner-Jubiläum</fw><lb/> <p xml:id="ID_1377" prev="#ID_1376" next="#ID_1378"> Preußen entschieden. Wir kommen nun mit unserm Kommentar zu dem dynasti¬<lb/> schen Reiterzuge an der Wand gegenüber dem Brühlschen Palais zu der<lb/> neuesten Zeit, die unter Friedrich Christian und Friedrich August sich in<lb/> mancherlei Beziehungen besser als die frühere anließ und zuletzt eine derartige<lb/> wurde, daß wir uns von Herzen den Freudenbezeigungen anschließen können,<lb/> die das Jubiläum des Juni hervorruft. Friedrich Nugust gehörte zu den<lb/> mit Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts auftretenden Landesvätern, die<lb/> bewußt oder unbewußt von Friedrich dem Großen gelernt hatten. Einsichts¬<lb/> voll, wohlwollend und gerecht, verbreitete er über das vielfach und schwer<lb/> heimgesuchte Land den Segen einer sorgsamen Herrschaft, der an die Tage<lb/> Vater Augusts gemahnte. Die zum Himmel schreiende Verschwendung und<lb/> Schwelgerei des Hofes nahm ein Ende, die Finanzen wurden gründlich ge¬<lb/> ordnet, die gelockerte Zucht im Beamtentum befestigte sich unter ihm wieder,<lb/> er berief verständige, charaktervolle Männer zu Ratgebern und schloß sich in<lb/> der deutschen Politik zunächst aufrichtig dem preußischen Nachbar um. Im<lb/> übrigen lebte er in den Anschauungen des altständischen Staates mit seinem<lb/> Adel, dessen Wille und Interessen auf den Landtagen allein vertreten waren<lb/> und dessen Privilegien anzutasten ihm als Rechtsverletzung unmöglich erschien.<lb/> Es war ein grausames Schicksal, das diesen sanften, bedächtigen, fried¬<lb/> liebenden Fürsten in die Abenteuerpolitik des ersten Napoleon verwickelte<lb/> und ihn nach der Schlacht bei Jena zum einzigen Treubruch seines<lb/> Lebens, dem Rücktritt vom preußischen Bündnisse bewog, wobei ihn nicht<lb/> Ehrgeiz, sondern einzig die Sorge um die Rache des Siegers an seinen<lb/> Unterthanen antrieb. Die gleiche Rücksicht auf sein Land und Volk ließ ihn<lb/> geduldig persönliche Entwürdigung durch den Franzosenkaiser ertragen, und<lb/> als er nach der Schlacht bei Leipzig Kriegsgefangener der Preußen wurde,<lb/> war er sich nur bewußt, seine Pflicht als Glied des Rheinbundes und als<lb/> sächsischer Landesherr erfüllt zu haben, nicht aber, nnn die Folge der Nieder¬<lb/> lage tragen zu müssen. Mit dein Gefühl, ungerecht behandelt und schwer<lb/> gekränkt worden zu sein, kehrte er 1815 in den Rest seines zur Hälfte preußisch<lb/> gewordnen Landes zurück, und der Empfang, den er dort fand, konnte ihn<lb/> darin nur bestärken. Die große Mehrheit der Sachsen meinte es mit den<lb/> Huldigungen, die sie ihm entgegenbrachten, sicherlich aufrichtig, sie glaubte,<lb/> ohne deu greisen Herrn nicht leben zu können, und hiermit verband sich un¬<lb/> zertrennlich der bitterste Haß gegen Preußen, seit langer Zeit schon vorhanden<lb/> und durch die Teilung zu blindem Wahnsinn gesteigert. Es war traurig,<lb/> aber uicht gerade verwunderlich. Während es in den letzten beiden Jahr¬<lb/> hunderten mit Sachsen fast ohne Unterlaß bergab gegangen war, war Preußen<lb/> beinahe ebenso stetig gestiegen, und fast jeder Triumph der deutschen Politik<lb/> war eine Niederlage der sächsischen gewesen. Wer aber begriff die Gerechtig¬<lb/> keit dieser Thatsachen in einem Lande, das von der nationalen Begeisterung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0492]
Zum ZVottiner-Jubiläum
Preußen entschieden. Wir kommen nun mit unserm Kommentar zu dem dynasti¬
schen Reiterzuge an der Wand gegenüber dem Brühlschen Palais zu der
neuesten Zeit, die unter Friedrich Christian und Friedrich August sich in
mancherlei Beziehungen besser als die frühere anließ und zuletzt eine derartige
wurde, daß wir uns von Herzen den Freudenbezeigungen anschließen können,
die das Jubiläum des Juni hervorruft. Friedrich Nugust gehörte zu den
mit Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts auftretenden Landesvätern, die
bewußt oder unbewußt von Friedrich dem Großen gelernt hatten. Einsichts¬
voll, wohlwollend und gerecht, verbreitete er über das vielfach und schwer
heimgesuchte Land den Segen einer sorgsamen Herrschaft, der an die Tage
Vater Augusts gemahnte. Die zum Himmel schreiende Verschwendung und
Schwelgerei des Hofes nahm ein Ende, die Finanzen wurden gründlich ge¬
ordnet, die gelockerte Zucht im Beamtentum befestigte sich unter ihm wieder,
er berief verständige, charaktervolle Männer zu Ratgebern und schloß sich in
der deutschen Politik zunächst aufrichtig dem preußischen Nachbar um. Im
übrigen lebte er in den Anschauungen des altständischen Staates mit seinem
Adel, dessen Wille und Interessen auf den Landtagen allein vertreten waren
und dessen Privilegien anzutasten ihm als Rechtsverletzung unmöglich erschien.
Es war ein grausames Schicksal, das diesen sanften, bedächtigen, fried¬
liebenden Fürsten in die Abenteuerpolitik des ersten Napoleon verwickelte
und ihn nach der Schlacht bei Jena zum einzigen Treubruch seines
Lebens, dem Rücktritt vom preußischen Bündnisse bewog, wobei ihn nicht
Ehrgeiz, sondern einzig die Sorge um die Rache des Siegers an seinen
Unterthanen antrieb. Die gleiche Rücksicht auf sein Land und Volk ließ ihn
geduldig persönliche Entwürdigung durch den Franzosenkaiser ertragen, und
als er nach der Schlacht bei Leipzig Kriegsgefangener der Preußen wurde,
war er sich nur bewußt, seine Pflicht als Glied des Rheinbundes und als
sächsischer Landesherr erfüllt zu haben, nicht aber, nnn die Folge der Nieder¬
lage tragen zu müssen. Mit dein Gefühl, ungerecht behandelt und schwer
gekränkt worden zu sein, kehrte er 1815 in den Rest seines zur Hälfte preußisch
gewordnen Landes zurück, und der Empfang, den er dort fand, konnte ihn
darin nur bestärken. Die große Mehrheit der Sachsen meinte es mit den
Huldigungen, die sie ihm entgegenbrachten, sicherlich aufrichtig, sie glaubte,
ohne deu greisen Herrn nicht leben zu können, und hiermit verband sich un¬
zertrennlich der bitterste Haß gegen Preußen, seit langer Zeit schon vorhanden
und durch die Teilung zu blindem Wahnsinn gesteigert. Es war traurig,
aber uicht gerade verwunderlich. Während es in den letzten beiden Jahr¬
hunderten mit Sachsen fast ohne Unterlaß bergab gegangen war, war Preußen
beinahe ebenso stetig gestiegen, und fast jeder Triumph der deutschen Politik
war eine Niederlage der sächsischen gewesen. Wer aber begriff die Gerechtig¬
keit dieser Thatsachen in einem Lande, das von der nationalen Begeisterung
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