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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Zum Wettiner-Jubiläum

Begeisterung für seinen Glauben, und niemals erhebt sich sein Ehrgeiz zum
Streben nach einer neuen Gestaltung des Reiches und einem protestantischen
Kaisertum. Unter seinem Nachfolger wird der knrsächsische Staat ein Muster
der Verwaltung und der Sorge für Wissenschaft und Unterricht, und nicht
ohne Grund nennt das dankbare Volk den Begründer dieses goldnen Zeitalters
Pater August. Aber statt die dringende Verpflichtung zu begreifen, in Ein¬
tracht mit den andern evangelischen Ständen der habslmrgischen Weltmacht
gegenüber zu treten, treibt er als orthodoxer Lutheraner die Kryptoealvinisten
aus seinem Laude und kündigt mit seinem Kontordienbuche den Reformirten
die Freundschaft. Taub für die Hilferufe des großen Oraniers und für die
schwere Bedrängnis der niederrheinischen Glaubensbrüder, schließt er sich dein
Hanse Österreich an, in dessen Lager daun die Albertiner nur mit wenigen Aus¬
nahmen verblieben, eine Verblendung, durch die sie sich deu ersten Platz unter
den evangelischen Reichsfürsten zuletzt völlig verscherzten. Der große Kurfürst
erwarb sich ihn, und fortan herrschten zwischen dem kursächsischen und dem
brandenburgischen Nachbar Mißtrauen, Eifersucht und Feindschaft. Unter den
vier Kurfürsten, die den Namen Johann Georg führten, beharrten Gesetzgebung
und Verwaltung in den Formen, die ihnen August gegeben hatte, und diese
Erstarrung des innern politischen Lebens wurde mehr und mehr zum Nieder¬
gange, bis die albertiuische Politik den letzten Schritt auf ihrem abschüssigen
Wege that und August der Starke, um die elende polnische Krone zu erlangen,
katholisch wurde. Das altlutherische Staatskirchentum wurde indes dadurch
nicht verändert, nud, beruhigt über seineu Glauben, brachte das getreue Volk
sieben Jahrzehnte lang unerhörte Opfer für die königliche Politik feiner beiden
Kurfürsten mit der Flitterkrone Polens, von denen der erste das Land zugleich
durch einen verschwenderischen Hvfhalt aussog. Sein unkluger Ehrgeiz warf
es in die Wirren des nordischen Krieges, und die Schweden, früher vom
großen Kurfürsten bis an den Nordrand Deutschlands zurückgedrängt, rückten
wieder bis in die Mitte des Reiches vor und zwangen den Polenkönig zu
einem schmachvollen Frieden. Der volle Unsegen der ausländischen Krone
offenbarte sich aber erst nnter ihrem zweiten albertinischen Träger, als in
den Tagen der schlesischen Kriege der Groll des Dresdener Hofes gegen den
glücklichen Nachbar und Nebenbuhler an der Spree und Havel sich zu ver¬
blendeten Haffe steigerte und die polnisch-katholischen Großmachtsträuine Brühls
das deutsche protestantische Kurfürstentum vollständig aus den Geleisen weichen
ließen, die ihm seine Lage und Natur anwies. Die Strafe war furchtbar:
sieben Jahre laug mußte Sachsen besiegt und entwaffnet dein Preußenkönige
die Kosten seines Krieges tragen helfen, und der endlich abgeschlossene Friede
sah es fast so verwüstet nud erschöpft, als der, der den Greueln des
dreißigjährigen Krieges ein Ende machte. Die Verbindung mit Polen zerging,
der Wettbewerb um den zweiten Rang im deutschen Reiche war endgiltig für


Zum Wettiner-Jubiläum

Begeisterung für seinen Glauben, und niemals erhebt sich sein Ehrgeiz zum
Streben nach einer neuen Gestaltung des Reiches und einem protestantischen
Kaisertum. Unter seinem Nachfolger wird der knrsächsische Staat ein Muster
der Verwaltung und der Sorge für Wissenschaft und Unterricht, und nicht
ohne Grund nennt das dankbare Volk den Begründer dieses goldnen Zeitalters
Pater August. Aber statt die dringende Verpflichtung zu begreifen, in Ein¬
tracht mit den andern evangelischen Ständen der habslmrgischen Weltmacht
gegenüber zu treten, treibt er als orthodoxer Lutheraner die Kryptoealvinisten
aus seinem Laude und kündigt mit seinem Kontordienbuche den Reformirten
die Freundschaft. Taub für die Hilferufe des großen Oraniers und für die
schwere Bedrängnis der niederrheinischen Glaubensbrüder, schließt er sich dein
Hanse Österreich an, in dessen Lager daun die Albertiner nur mit wenigen Aus¬
nahmen verblieben, eine Verblendung, durch die sie sich deu ersten Platz unter
den evangelischen Reichsfürsten zuletzt völlig verscherzten. Der große Kurfürst
erwarb sich ihn, und fortan herrschten zwischen dem kursächsischen und dem
brandenburgischen Nachbar Mißtrauen, Eifersucht und Feindschaft. Unter den
vier Kurfürsten, die den Namen Johann Georg führten, beharrten Gesetzgebung
und Verwaltung in den Formen, die ihnen August gegeben hatte, und diese
Erstarrung des innern politischen Lebens wurde mehr und mehr zum Nieder¬
gange, bis die albertiuische Politik den letzten Schritt auf ihrem abschüssigen
Wege that und August der Starke, um die elende polnische Krone zu erlangen,
katholisch wurde. Das altlutherische Staatskirchentum wurde indes dadurch
nicht verändert, nud, beruhigt über seineu Glauben, brachte das getreue Volk
sieben Jahrzehnte lang unerhörte Opfer für die königliche Politik feiner beiden
Kurfürsten mit der Flitterkrone Polens, von denen der erste das Land zugleich
durch einen verschwenderischen Hvfhalt aussog. Sein unkluger Ehrgeiz warf
es in die Wirren des nordischen Krieges, und die Schweden, früher vom
großen Kurfürsten bis an den Nordrand Deutschlands zurückgedrängt, rückten
wieder bis in die Mitte des Reiches vor und zwangen den Polenkönig zu
einem schmachvollen Frieden. Der volle Unsegen der ausländischen Krone
offenbarte sich aber erst nnter ihrem zweiten albertinischen Träger, als in
den Tagen der schlesischen Kriege der Groll des Dresdener Hofes gegen den
glücklichen Nachbar und Nebenbuhler an der Spree und Havel sich zu ver¬
blendeten Haffe steigerte und die polnisch-katholischen Großmachtsträuine Brühls
das deutsche protestantische Kurfürstentum vollständig aus den Geleisen weichen
ließen, die ihm seine Lage und Natur anwies. Die Strafe war furchtbar:
sieben Jahre laug mußte Sachsen besiegt und entwaffnet dein Preußenkönige
die Kosten seines Krieges tragen helfen, und der endlich abgeschlossene Friede
sah es fast so verwüstet nud erschöpft, als der, der den Greueln des
dreißigjährigen Krieges ein Ende machte. Die Verbindung mit Polen zerging,
der Wettbewerb um den zweiten Rang im deutschen Reiche war endgiltig für


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[0491] Zum Wettiner-Jubiläum Begeisterung für seinen Glauben, und niemals erhebt sich sein Ehrgeiz zum Streben nach einer neuen Gestaltung des Reiches und einem protestantischen Kaisertum. Unter seinem Nachfolger wird der knrsächsische Staat ein Muster der Verwaltung und der Sorge für Wissenschaft und Unterricht, und nicht ohne Grund nennt das dankbare Volk den Begründer dieses goldnen Zeitalters Pater August. Aber statt die dringende Verpflichtung zu begreifen, in Ein¬ tracht mit den andern evangelischen Ständen der habslmrgischen Weltmacht gegenüber zu treten, treibt er als orthodoxer Lutheraner die Kryptoealvinisten aus seinem Laude und kündigt mit seinem Kontordienbuche den Reformirten die Freundschaft. Taub für die Hilferufe des großen Oraniers und für die schwere Bedrängnis der niederrheinischen Glaubensbrüder, schließt er sich dein Hanse Österreich an, in dessen Lager daun die Albertiner nur mit wenigen Aus¬ nahmen verblieben, eine Verblendung, durch die sie sich deu ersten Platz unter den evangelischen Reichsfürsten zuletzt völlig verscherzten. Der große Kurfürst erwarb sich ihn, und fortan herrschten zwischen dem kursächsischen und dem brandenburgischen Nachbar Mißtrauen, Eifersucht und Feindschaft. Unter den vier Kurfürsten, die den Namen Johann Georg führten, beharrten Gesetzgebung und Verwaltung in den Formen, die ihnen August gegeben hatte, und diese Erstarrung des innern politischen Lebens wurde mehr und mehr zum Nieder¬ gange, bis die albertiuische Politik den letzten Schritt auf ihrem abschüssigen Wege that und August der Starke, um die elende polnische Krone zu erlangen, katholisch wurde. Das altlutherische Staatskirchentum wurde indes dadurch nicht verändert, nud, beruhigt über seineu Glauben, brachte das getreue Volk sieben Jahrzehnte lang unerhörte Opfer für die königliche Politik feiner beiden Kurfürsten mit der Flitterkrone Polens, von denen der erste das Land zugleich durch einen verschwenderischen Hvfhalt aussog. Sein unkluger Ehrgeiz warf es in die Wirren des nordischen Krieges, und die Schweden, früher vom großen Kurfürsten bis an den Nordrand Deutschlands zurückgedrängt, rückten wieder bis in die Mitte des Reiches vor und zwangen den Polenkönig zu einem schmachvollen Frieden. Der volle Unsegen der ausländischen Krone offenbarte sich aber erst nnter ihrem zweiten albertinischen Träger, als in den Tagen der schlesischen Kriege der Groll des Dresdener Hofes gegen den glücklichen Nachbar und Nebenbuhler an der Spree und Havel sich zu ver¬ blendeten Haffe steigerte und die polnisch-katholischen Großmachtsträuine Brühls das deutsche protestantische Kurfürstentum vollständig aus den Geleisen weichen ließen, die ihm seine Lage und Natur anwies. Die Strafe war furchtbar: sieben Jahre laug mußte Sachsen besiegt und entwaffnet dein Preußenkönige die Kosten seines Krieges tragen helfen, und der endlich abgeschlossene Friede sah es fast so verwüstet nud erschöpft, als der, der den Greueln des dreißigjährigen Krieges ein Ende machte. Die Verbindung mit Polen zerging, der Wettbewerb um den zweiten Rang im deutschen Reiche war endgiltig für

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/491>, abgerufen am 05.02.2025.