Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Neue Erzählungen entfremdet. Er findet sich deshalb auch im neuen Reiche nicht zurecht. Wir In dem Baron vou Ulten, der sich jetzt Heinrich Smith nennt, hat also Und nun erwartet mau, daß der "neue Pharao" mit aller einem Sitten- Neue Erzählungen entfremdet. Er findet sich deshalb auch im neuen Reiche nicht zurecht. Wir In dem Baron vou Ulten, der sich jetzt Heinrich Smith nennt, hat also Und nun erwartet mau, daß der „neue Pharao" mit aller einem Sitten- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205206"/> <fw type="header" place="top"> Neue Erzählungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1318" prev="#ID_1317"> entfremdet. Er findet sich deshalb auch im neuen Reiche nicht zurecht. Wir<lb/> fragen nun: ist dieses Motiv jetzt noch zeitgemäß? Haben die Vorwürfe, den<lb/> so ein aufgegrabener Achtundvierziger als solcher der Gegenwart macht, irgend<lb/> welche, sei es auch nur poetische Berechtigung? Diese Frage ist selbst vou dein<lb/> Standpunkte Spielhagens, der einen „Zeitroman" schreiben wollte, berechtigt.<lb/> Hätte er seinen Helden nicht eben mit Nachdruck als Achtundvierziger ein¬<lb/> geführt, sondern, sowie er ihm eigentlich geraten ist, als ein abstraktes sittliches<lb/> Ideal eines Heiligen, an dem der Wert der Gegenwart gemessen wird, so<lb/> hätte er zwar weniger anspruchsvoll, aber doch klarer gehandelt. Der Acht¬<lb/> undvierziger, der ein langes Menschenalter hindurch von Deutschland fern ge¬<lb/> wesen ist, steht außer jeder Beziehung zum deutschen Volke, ist poetisch und<lb/> sittlich nicht mehr wert, als etwa ein aufgegrabener Weimaraner oder ein<lb/> heraufbeschworener Zeitgenosse Friedrichs II., ein willkürlich aufgestelltes Ideal<lb/> der Nation, das kein Mensch anzuerkennen braucht. Den Vorteil Auerbachs<lb/> im „Waldfried" hat Spielhagen eben nicht mehr, und daß er dies nicht er¬<lb/> kannt hat, erscheint uns als der Grundfehler seines Romans als „Zeitroman."<lb/> Nur an sehr lebendige geschichtliche Erinnerungen, vielmehr an geschichtliche<lb/> Mächte, die uur halbvergangen sind, darf der Zeitroman anknüpfen, wenn er<lb/> ein zutreffendes Spiegelbild der Gegenwart liefern soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1319"> In dem Baron vou Ulten, der sich jetzt Heinrich Smith nennt, hat also<lb/> Spielhagen den Geist des Jahres 1848 verkörpert. Alten ist der Joseph,<lb/> dessen der neue Pharao, d, h. die neue Zeit, sich nicht mehr erinnert, von dem<lb/> sie nichts weiß. Auch diese Verkörperung der Achtundvierziger ist von dein<lb/> Vorwurfe der Willkürlichkeit nicht freizusprechen. Waren denn die Achtund¬<lb/> vierziger wirklich Republikaner in ihrer Mehrheit? Haben sie denn einem Mon¬<lb/> archen keine Krone angeboten? Nur einen Tropfen demokratischen Oich<lb/> wünschte Uhland auf die deutsche Kaiserkrone, aber doch auch eine Krone, und<lb/> Uhland wird doch wohl die Gesinnung des deutschen Volkes genügend dar¬<lb/> gestellt haben! Der „Tropfen demokratischen Oich" fehlt übrigens der deutschen<lb/> Kaiserkrone, die eine soziale Gesetzgebung durchführt, auch nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1320" next="#ID_1321"> Und nun erwartet mau, daß der „neue Pharao" mit aller einem Sitten-<lb/> schilderer zu Gebote stehenden Kunst und Farbenfülle vor unser Auge gebracht<lb/> werde, damit wir so recht erkennen, wie sich die Gegenwart im Lichte jener<lb/> vom Dichter elegisch entbehrten idealen Gesinnung der Achtundvierziger auf-<lb/> nimmt. Hier kann der Romanschreiber seine ganze Fähigkeit entfalten, und man<lb/> ist uicht wenig auf das soziale Gemälde gespannt, das Spielhagen nun entrollen<lb/> wird. Allein wie wird man enttäuscht! Spielhagens Charakteristik geht nicht<lb/> mehr wie in seinem früheren Roman „In Reih und Glied" auf die Schilde¬<lb/> rung der großen Volksmenge, sondern sie zieht sich auf den engen Kreis einer<lb/> Familie zurück, deren einzelne Mitglieder Typen der Gegenwart vorstellen<lb/> sollen. Es sind aber keine originellen Gestalten. Nur zweimal durchbricht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0475]
Neue Erzählungen
entfremdet. Er findet sich deshalb auch im neuen Reiche nicht zurecht. Wir
fragen nun: ist dieses Motiv jetzt noch zeitgemäß? Haben die Vorwürfe, den
so ein aufgegrabener Achtundvierziger als solcher der Gegenwart macht, irgend
welche, sei es auch nur poetische Berechtigung? Diese Frage ist selbst vou dein
Standpunkte Spielhagens, der einen „Zeitroman" schreiben wollte, berechtigt.
Hätte er seinen Helden nicht eben mit Nachdruck als Achtundvierziger ein¬
geführt, sondern, sowie er ihm eigentlich geraten ist, als ein abstraktes sittliches
Ideal eines Heiligen, an dem der Wert der Gegenwart gemessen wird, so
hätte er zwar weniger anspruchsvoll, aber doch klarer gehandelt. Der Acht¬
undvierziger, der ein langes Menschenalter hindurch von Deutschland fern ge¬
wesen ist, steht außer jeder Beziehung zum deutschen Volke, ist poetisch und
sittlich nicht mehr wert, als etwa ein aufgegrabener Weimaraner oder ein
heraufbeschworener Zeitgenosse Friedrichs II., ein willkürlich aufgestelltes Ideal
der Nation, das kein Mensch anzuerkennen braucht. Den Vorteil Auerbachs
im „Waldfried" hat Spielhagen eben nicht mehr, und daß er dies nicht er¬
kannt hat, erscheint uns als der Grundfehler seines Romans als „Zeitroman."
Nur an sehr lebendige geschichtliche Erinnerungen, vielmehr an geschichtliche
Mächte, die uur halbvergangen sind, darf der Zeitroman anknüpfen, wenn er
ein zutreffendes Spiegelbild der Gegenwart liefern soll.
In dem Baron vou Ulten, der sich jetzt Heinrich Smith nennt, hat also
Spielhagen den Geist des Jahres 1848 verkörpert. Alten ist der Joseph,
dessen der neue Pharao, d, h. die neue Zeit, sich nicht mehr erinnert, von dem
sie nichts weiß. Auch diese Verkörperung der Achtundvierziger ist von dein
Vorwurfe der Willkürlichkeit nicht freizusprechen. Waren denn die Achtund¬
vierziger wirklich Republikaner in ihrer Mehrheit? Haben sie denn einem Mon¬
archen keine Krone angeboten? Nur einen Tropfen demokratischen Oich
wünschte Uhland auf die deutsche Kaiserkrone, aber doch auch eine Krone, und
Uhland wird doch wohl die Gesinnung des deutschen Volkes genügend dar¬
gestellt haben! Der „Tropfen demokratischen Oich" fehlt übrigens der deutschen
Kaiserkrone, die eine soziale Gesetzgebung durchführt, auch nicht.
Und nun erwartet mau, daß der „neue Pharao" mit aller einem Sitten-
schilderer zu Gebote stehenden Kunst und Farbenfülle vor unser Auge gebracht
werde, damit wir so recht erkennen, wie sich die Gegenwart im Lichte jener
vom Dichter elegisch entbehrten idealen Gesinnung der Achtundvierziger auf-
nimmt. Hier kann der Romanschreiber seine ganze Fähigkeit entfalten, und man
ist uicht wenig auf das soziale Gemälde gespannt, das Spielhagen nun entrollen
wird. Allein wie wird man enttäuscht! Spielhagens Charakteristik geht nicht
mehr wie in seinem früheren Roman „In Reih und Glied" auf die Schilde¬
rung der großen Volksmenge, sondern sie zieht sich auf den engen Kreis einer
Familie zurück, deren einzelne Mitglieder Typen der Gegenwart vorstellen
sollen. Es sind aber keine originellen Gestalten. Nur zweimal durchbricht
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