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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Neue Erzählungen

sie noch besser in Versen hätten wirken müssen, so vermißt man den Adel des
Verses in den duftigen, zarten Stimmungsbildern des Juni: "Himmelfahrt,"
Juli: "Hcuduft," Oktober: "Spätglück," die nur fo hingehaucht zu sein
scheinen.

Für den dichterischen Nntnrschilderer ist keine Aufgabe schwieriger, als
die, die menschliche Gestalt und die Handlung in künstlerischer Harmonie mit
dem landschaftlichen Bilde darzustellen. Sein Auge schweift über scheinbar
endlose Räume, sein Gemüt ist ästhetisch bewegt von Vorgängen und Gebilden
der Natur, die zwar mächtige, aber dunkle Gefühle in ihm erwecken. Der
unendlichen Subjektivität der Dichter ist hier der allerweiteste Spielraum ge¬
lassen; dieselbe verkrüppelte Weide kaun verschiedenen Dichtern verschiedene
Gefühle des Trotzes oder der Trauer oder des Gespensterhasten oder weiß
Gott noch was alles erwecken. Aber eine besondre Schwierigkeit für den Er¬
zähler liegt bei dieser Kunstart in der Aufgabe, die Menschen innerhalb des
Naturbildes zu individualisiren. Will er nicht den gesamten Stimmungsgehalt
des Bildes gefährden, so muß er sich in der Charakteristik der Menschen auf die
großen Striche beschränken, er kann sich nicht in psychologische Einzelheiten
verlieren, denn sie würden den Leser nur vom Grundton ablenken. Er darf
auch nur sehr selten, wenn er nicht in langweilige Einförmigkeit verfallen
will, die landschaftliche Stimmung selbst zum Motiv der Handlungen machen.
In der Mannichfaltigkeit der Hilfsmittel, deren sich der Dichter bei allen diesen
Schwierigkeiten bedient, um doch ein Kunstwerk zu Wege zu bringen, offenbart
sich der Reichtum seiner Begabung. Und hier insbesondre kann man den
Formenreichtum in Hoffmanns Nvvelleneyklns beobachten. In einzelnen Stücken
wird die Naturstimmung in der That zum innern Motiv der Handlung ge¬
macht, in den Nvvelletten: "Himmelfahrt," "Heuduft," "Sonnenwende." In
andern wieder ist die Stimmung der Landschaft gleichsam der äußere Spiegel
innerer Zustände; in "Spütglück" ist sie gleichsam die unsichtbar begleitende
Musik für die Herzensvorgänge; auch die Januar- und Februarnvvelle gehört
hierher. Und wieder in andern Stücken ist die Natnrstimmung symbolisch für
die Handlungen, und das sind die großartigsten Stücke: "Thauwind," "Eistrug,"
"Sturm," auch die "Sündflut" (April) gehört hierher. In der ersten Reihe
sind die menschlichen Charaktere gerade nur skizzirt; die duftige Stimmung
verträgt keine realistisch ins einzelne gehende Zeichnung; diese Stücke unter
uns wie flüchtige Aquarellbilder an. In der letzten Reihe ist die Charakteristik
sorgfältig, ja beinahe klcinmalerisch; ein ganz eigenartiger, vielfach an Fritz
Reuter erinnernder Stil von echt plattdeutschen Humor der Selbstironie des
weichherzigen Erzählers ist gewählt und mit prächtiger Wirkung verwertet.
Von allen Seiten hat Hoffmann die Natur belauscht: vou der idyllischen, von
der süß berauschenden, von der erquickenden, von der erhabenen, von der ge¬
waltigen, aber auch vou der erstarrenden und vou der teuflisch-grausamen Seite.


Neue Erzählungen

sie noch besser in Versen hätten wirken müssen, so vermißt man den Adel des
Verses in den duftigen, zarten Stimmungsbildern des Juni: „Himmelfahrt,"
Juli: „Hcuduft," Oktober: „Spätglück," die nur fo hingehaucht zu sein
scheinen.

Für den dichterischen Nntnrschilderer ist keine Aufgabe schwieriger, als
die, die menschliche Gestalt und die Handlung in künstlerischer Harmonie mit
dem landschaftlichen Bilde darzustellen. Sein Auge schweift über scheinbar
endlose Räume, sein Gemüt ist ästhetisch bewegt von Vorgängen und Gebilden
der Natur, die zwar mächtige, aber dunkle Gefühle in ihm erwecken. Der
unendlichen Subjektivität der Dichter ist hier der allerweiteste Spielraum ge¬
lassen; dieselbe verkrüppelte Weide kaun verschiedenen Dichtern verschiedene
Gefühle des Trotzes oder der Trauer oder des Gespensterhasten oder weiß
Gott noch was alles erwecken. Aber eine besondre Schwierigkeit für den Er¬
zähler liegt bei dieser Kunstart in der Aufgabe, die Menschen innerhalb des
Naturbildes zu individualisiren. Will er nicht den gesamten Stimmungsgehalt
des Bildes gefährden, so muß er sich in der Charakteristik der Menschen auf die
großen Striche beschränken, er kann sich nicht in psychologische Einzelheiten
verlieren, denn sie würden den Leser nur vom Grundton ablenken. Er darf
auch nur sehr selten, wenn er nicht in langweilige Einförmigkeit verfallen
will, die landschaftliche Stimmung selbst zum Motiv der Handlungen machen.
In der Mannichfaltigkeit der Hilfsmittel, deren sich der Dichter bei allen diesen
Schwierigkeiten bedient, um doch ein Kunstwerk zu Wege zu bringen, offenbart
sich der Reichtum seiner Begabung. Und hier insbesondre kann man den
Formenreichtum in Hoffmanns Nvvelleneyklns beobachten. In einzelnen Stücken
wird die Naturstimmung in der That zum innern Motiv der Handlung ge¬
macht, in den Nvvelletten: „Himmelfahrt," „Heuduft," „Sonnenwende." In
andern wieder ist die Stimmung der Landschaft gleichsam der äußere Spiegel
innerer Zustände; in „Spütglück" ist sie gleichsam die unsichtbar begleitende
Musik für die Herzensvorgänge; auch die Januar- und Februarnvvelle gehört
hierher. Und wieder in andern Stücken ist die Natnrstimmung symbolisch für
die Handlungen, und das sind die großartigsten Stücke: „Thauwind," „Eistrug,"
„Sturm," auch die „Sündflut" (April) gehört hierher. In der ersten Reihe
sind die menschlichen Charaktere gerade nur skizzirt; die duftige Stimmung
verträgt keine realistisch ins einzelne gehende Zeichnung; diese Stücke unter
uns wie flüchtige Aquarellbilder an. In der letzten Reihe ist die Charakteristik
sorgfältig, ja beinahe klcinmalerisch; ein ganz eigenartiger, vielfach an Fritz
Reuter erinnernder Stil von echt plattdeutschen Humor der Selbstironie des
weichherzigen Erzählers ist gewählt und mit prächtiger Wirkung verwertet.
Von allen Seiten hat Hoffmann die Natur belauscht: vou der idyllischen, von
der süß berauschenden, von der erquickenden, von der erhabenen, von der ge¬
waltigen, aber auch vou der erstarrenden und vou der teuflisch-grausamen Seite.


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[0471] Neue Erzählungen sie noch besser in Versen hätten wirken müssen, so vermißt man den Adel des Verses in den duftigen, zarten Stimmungsbildern des Juni: „Himmelfahrt," Juli: „Hcuduft," Oktober: „Spätglück," die nur fo hingehaucht zu sein scheinen. Für den dichterischen Nntnrschilderer ist keine Aufgabe schwieriger, als die, die menschliche Gestalt und die Handlung in künstlerischer Harmonie mit dem landschaftlichen Bilde darzustellen. Sein Auge schweift über scheinbar endlose Räume, sein Gemüt ist ästhetisch bewegt von Vorgängen und Gebilden der Natur, die zwar mächtige, aber dunkle Gefühle in ihm erwecken. Der unendlichen Subjektivität der Dichter ist hier der allerweiteste Spielraum ge¬ lassen; dieselbe verkrüppelte Weide kaun verschiedenen Dichtern verschiedene Gefühle des Trotzes oder der Trauer oder des Gespensterhasten oder weiß Gott noch was alles erwecken. Aber eine besondre Schwierigkeit für den Er¬ zähler liegt bei dieser Kunstart in der Aufgabe, die Menschen innerhalb des Naturbildes zu individualisiren. Will er nicht den gesamten Stimmungsgehalt des Bildes gefährden, so muß er sich in der Charakteristik der Menschen auf die großen Striche beschränken, er kann sich nicht in psychologische Einzelheiten verlieren, denn sie würden den Leser nur vom Grundton ablenken. Er darf auch nur sehr selten, wenn er nicht in langweilige Einförmigkeit verfallen will, die landschaftliche Stimmung selbst zum Motiv der Handlungen machen. In der Mannichfaltigkeit der Hilfsmittel, deren sich der Dichter bei allen diesen Schwierigkeiten bedient, um doch ein Kunstwerk zu Wege zu bringen, offenbart sich der Reichtum seiner Begabung. Und hier insbesondre kann man den Formenreichtum in Hoffmanns Nvvelleneyklns beobachten. In einzelnen Stücken wird die Naturstimmung in der That zum innern Motiv der Handlung ge¬ macht, in den Nvvelletten: „Himmelfahrt," „Heuduft," „Sonnenwende." In andern wieder ist die Stimmung der Landschaft gleichsam der äußere Spiegel innerer Zustände; in „Spütglück" ist sie gleichsam die unsichtbar begleitende Musik für die Herzensvorgänge; auch die Januar- und Februarnvvelle gehört hierher. Und wieder in andern Stücken ist die Natnrstimmung symbolisch für die Handlungen, und das sind die großartigsten Stücke: „Thauwind," „Eistrug," „Sturm," auch die „Sündflut" (April) gehört hierher. In der ersten Reihe sind die menschlichen Charaktere gerade nur skizzirt; die duftige Stimmung verträgt keine realistisch ins einzelne gehende Zeichnung; diese Stücke unter uns wie flüchtige Aquarellbilder an. In der letzten Reihe ist die Charakteristik sorgfältig, ja beinahe klcinmalerisch; ein ganz eigenartiger, vielfach an Fritz Reuter erinnernder Stil von echt plattdeutschen Humor der Selbstironie des weichherzigen Erzählers ist gewählt und mit prächtiger Wirkung verwertet. Von allen Seiten hat Hoffmann die Natur belauscht: vou der idyllischen, von der süß berauschenden, von der erquickenden, von der erhabenen, von der ge¬ waltigen, aber auch vou der erstarrenden und vou der teuflisch-grausamen Seite.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/471>, abgerufen am 05.02.2025.