Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Neue Erzählungen poetischen Litteratur der Gegenwart dasteht; denn das Nirgendwo und überall Auf alle diese wirkungsvollen Elemente seines bisherigen Dichtens hat Neue Erzählungen poetischen Litteratur der Gegenwart dasteht; denn das Nirgendwo und überall Auf alle diese wirkungsvollen Elemente seines bisherigen Dichtens hat <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0470" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205201"/> <fw type="header" place="top"> Neue Erzählungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1306" prev="#ID_1305"> poetischen Litteratur der Gegenwart dasteht; denn das Nirgendwo und überall<lb/> des Kellerschcn Seldwhla kann in dieser Beziehung nicht mit dem zugleich so<lb/> wahrhaften und so poesievollen Gemälde des Hoffmannschen Korfu verglichen<lb/> werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1307" next="#ID_1308"> Auf alle diese wirkungsvollen Elemente seines bisherigen Dichtens hat<lb/> nun Hoffmann in seinen zwei neuen Büchern ganz verzichtet, er hat sich mit<lb/> einem kühnen Sprunge mitten in der Gegenwart und in seiner Heimat, der Gegend<lb/> um Stettin herum, und in Berlin poetisch angesiedelt. Der wesentlich idyllisch-<lb/> heitere Charakter seiner Muse hat sich> dabei nicht geändert, den Vorzug seiner<lb/> schönen Prosa, die ironisch einzuleiten liebt, bevor sie in die rechte Wärme<lb/> der Handlung gerät, hat er nicht eingebüßt, tief innerlich sind viele seiner<lb/> neuen Gestalten Geschwister jener liebenswürdigen phäakischen Schelme und<lb/> Jungfräulein geblieben. Aber er hat doch auch wieder etwas ganz Neues<lb/> geschaffen. In dem einen Bande der Bilder und Skizzen Von Frühling zu<lb/> Frühling (Berlin, Paetel, 1889) hat er einen großen Plan zur Durchführung<lb/> gebracht. Der stattliche Band enthält zwölf Novellen, die teilweise einen innern,<lb/> mehr oder weniger lockern Zusammenhang haben; jede Novelle ist je einem<lb/> Monat des Jahres gewidmet, und mit der Stimmung der Landschaft und Natur<lb/> des Monats ist in der feinsten künstlerischen Harmonie die Fabel der Novelle in<lb/> Einklang gebracht. Der Leser macht also eine Wanderung durch das in seinem<lb/> Wechsel unerschöpfliche Reich der Natur in diesem originellen Werke an der<lb/> Hand eines dichterischen Landschaftsmalers, dessen Kunst die vollste Bewunde¬<lb/> rung hervorrufen muß. Die Landschaft, die Hoffmann im Auge behielt, ist<lb/> aber auch, so wenig sie bei den Touristen in der Mode ist, abwechslungsreich<lb/> genug. Es ist die norddeutsche Ostseeküste. Schisfreiche Handelshafen wechseln<lb/> ab mit sandigen Dünenstrichen und Seebädern, fruchtbare Getreidefelder mit<lb/> trostlosen Moorboden; Wälder und Seen fehlen auch nicht. Städtisches und<lb/> dörfisches Leben, bürgerliche Behaglichkeit und die Anmut des Fischerdorfes,<lb/> die frische Unternehmungslust der Meerfahrer und die Ansässigkeit der Land¬<lb/> ratten — alles das trifft um? in dieser Landschaft eng beisammen. Und<lb/> nicht genug an diesem Reichtum, sorgt noch der Lauf des Jahres mit seinem<lb/> Wetterwechsel für eine unerschöpfliche Mannichfaltigkeit, die künstlerisch festzu¬<lb/> halten Hoffmann mit dem Mute des Talentes gewagt hat. Die große Kunst,<lb/> die er in diesen Naturschilderungen offenbart, die Feinheit seiner Beobachtung,<lb/> die Empfänglichkeit seiner Sinne, die Originalität seiner Allswahl in den Mo¬<lb/> tiven sind nicht hoch genug zu schätzen. Theodor Storm hat die Novelle als<lb/> die Dichtungsform bezeichnet, in die sich die Poesie unsrer dem Verse so ab¬<lb/> holden Zeit geflüchtet habe. Hoffmann hat die novellistische Form in diesem<lb/> Novellenkranz zu einem jener dichterischen Werke ausgenutzt, die fast jedes<lb/> Zeitalter aufweist, und jede Zeit in der ihr gemäßesten Form. Wie manche<lb/> seiner Phäakengeschichten (z. B. „Der blinde Mönch") das Gefühl erregen, daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0470]
Neue Erzählungen
poetischen Litteratur der Gegenwart dasteht; denn das Nirgendwo und überall
des Kellerschcn Seldwhla kann in dieser Beziehung nicht mit dem zugleich so
wahrhaften und so poesievollen Gemälde des Hoffmannschen Korfu verglichen
werden.
Auf alle diese wirkungsvollen Elemente seines bisherigen Dichtens hat
nun Hoffmann in seinen zwei neuen Büchern ganz verzichtet, er hat sich mit
einem kühnen Sprunge mitten in der Gegenwart und in seiner Heimat, der Gegend
um Stettin herum, und in Berlin poetisch angesiedelt. Der wesentlich idyllisch-
heitere Charakter seiner Muse hat sich> dabei nicht geändert, den Vorzug seiner
schönen Prosa, die ironisch einzuleiten liebt, bevor sie in die rechte Wärme
der Handlung gerät, hat er nicht eingebüßt, tief innerlich sind viele seiner
neuen Gestalten Geschwister jener liebenswürdigen phäakischen Schelme und
Jungfräulein geblieben. Aber er hat doch auch wieder etwas ganz Neues
geschaffen. In dem einen Bande der Bilder und Skizzen Von Frühling zu
Frühling (Berlin, Paetel, 1889) hat er einen großen Plan zur Durchführung
gebracht. Der stattliche Band enthält zwölf Novellen, die teilweise einen innern,
mehr oder weniger lockern Zusammenhang haben; jede Novelle ist je einem
Monat des Jahres gewidmet, und mit der Stimmung der Landschaft und Natur
des Monats ist in der feinsten künstlerischen Harmonie die Fabel der Novelle in
Einklang gebracht. Der Leser macht also eine Wanderung durch das in seinem
Wechsel unerschöpfliche Reich der Natur in diesem originellen Werke an der
Hand eines dichterischen Landschaftsmalers, dessen Kunst die vollste Bewunde¬
rung hervorrufen muß. Die Landschaft, die Hoffmann im Auge behielt, ist
aber auch, so wenig sie bei den Touristen in der Mode ist, abwechslungsreich
genug. Es ist die norddeutsche Ostseeküste. Schisfreiche Handelshafen wechseln
ab mit sandigen Dünenstrichen und Seebädern, fruchtbare Getreidefelder mit
trostlosen Moorboden; Wälder und Seen fehlen auch nicht. Städtisches und
dörfisches Leben, bürgerliche Behaglichkeit und die Anmut des Fischerdorfes,
die frische Unternehmungslust der Meerfahrer und die Ansässigkeit der Land¬
ratten — alles das trifft um? in dieser Landschaft eng beisammen. Und
nicht genug an diesem Reichtum, sorgt noch der Lauf des Jahres mit seinem
Wetterwechsel für eine unerschöpfliche Mannichfaltigkeit, die künstlerisch festzu¬
halten Hoffmann mit dem Mute des Talentes gewagt hat. Die große Kunst,
die er in diesen Naturschilderungen offenbart, die Feinheit seiner Beobachtung,
die Empfänglichkeit seiner Sinne, die Originalität seiner Allswahl in den Mo¬
tiven sind nicht hoch genug zu schätzen. Theodor Storm hat die Novelle als
die Dichtungsform bezeichnet, in die sich die Poesie unsrer dem Verse so ab¬
holden Zeit geflüchtet habe. Hoffmann hat die novellistische Form in diesem
Novellenkranz zu einem jener dichterischen Werke ausgenutzt, die fast jedes
Zeitalter aufweist, und jede Zeit in der ihr gemäßesten Form. Wie manche
seiner Phäakengeschichten (z. B. „Der blinde Mönch") das Gefühl erregen, daß
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