Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.anerkannte, mochten sie nun Naturfarbe tragen, oder mit dem Lack eines Zeit¬ Die Veränderungen der Landschaft führen, wenn wir von dem immer mehr O weh, wie sind geschwunden alle weine Jahr, Und selbst der magre Trost war ihm genommen, mit Walter fortfahren zu Nur daß das Wasser fließet, wie es weiland floß Grenzboten II 138l> 57
anerkannte, mochten sie nun Naturfarbe tragen, oder mit dem Lack eines Zeit¬ Die Veränderungen der Landschaft führen, wenn wir von dem immer mehr O weh, wie sind geschwunden alle weine Jahr, Und selbst der magre Trost war ihm genommen, mit Walter fortfahren zu Nur daß das Wasser fließet, wie es weiland floß Grenzboten II 138l> 57
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anerkannte, mochten sie nun Naturfarbe tragen, oder mit dem Lack eines Zeit¬
geistes gestrichen oder mit dein Öl einer sittlichen Überlieferung gesättigt sein.
Die Veränderungen der Landschaft führen, wenn wir von dem immer mehr
zunehmenden Vorschieben der Städte und des städtischen Wesens auf das flache
Land und von den in gewissen Gegenden überall am Gesichtskreise auftauchenden
Schloten der Fabriken absehen, als letzte Ursache auf die Verkoppelungeu zurück,
die in Deutschland seit Anfang dieses Jahrhunderts aufgenommen, bellte für
den Norden und die Mitte schon größtenteils zum Abschluß geführt sind,
während sie für den Süden noch zurückstehen. Durch die Verkoppelungeu
wurde die alte Feldmark mit ihren Hunderten von kleinen, in den Gewannen
zerstreuten Ackerstreifen in einen Topf geworfen, um von neuem an die alten
Besitzer uach geläuterten wirtschaftlichen Grundsätzen ausgeteilt zu werden.
Einem jeden wurde sein Besitz womöglich in einem einzigen die Form eines
geradlinigen Geviertes anstrebenden Stücke ausgeworfen. Man kann nicht
fügen, daß hierdurch allein die alte Landschaft geschädigt worden wäre, denn
der alte Flurzwang mit seiner Einteilung der Dorfflur in die drei großen,
eintönigen Felder, das Winterfeld, Sommerfeld und Brachfeld, auf denen der
Bauer — mit Ausnahme des Brachfeldes — keine andern Früchte bauen durfte
als die vorgeschriebenen, trug zur Abwechslung weniger bei, als die heutige
freie Willkür und der ungebundene, reichere Fruchtwechsel. Aber während in
der alten Feldmark noch die krumme Linie unbeachtet ihr Wesen treiben durfte
und zurückgebliebene Reste der Natur in Busch und Baum, in Waldstreifen
und Weidetrifteu die Ackerflächen malerisch unterbrachen, erhob die Verkoppelung
das eherne Gesetz der geraden Linie zur obersten Richtschnur und räumte mit
allem in der Flur zurückgebliebenen Schöpfnngswerk auf das schonungsloseste
auf. Damit nicht genug, wurde auch das letzte Band, das das alte Dorf zu
einem wirtschaftlichen und sozialen Ganzen zusammengefaßt hatte, aufgelöst,
der gemeinsame Besitz der Dorfgenvsseu in Weide, Wiese und Wald, soweit
irgend möglich, verteilt, und diese Gelegenheit noch insbesondre benutzt, um
eine weitere Zurückdrängung des Waldes aus den fruchtbareren und günstigeren
Lagen vorzunehmen. Es konnte scheinen, als sollten die großen Rodungen
des Mittelalters ein letztes Nachspiel finden, und wer, wie Walter von der
Vogelweide in jener Zeit, nach jahrelanger Abwesenheit sein Heimathdorf
wiedersah, der konnte leicht in seine klagenden Worte einstimmen:
O weh, wie sind geschwunden alle weine Jahr,
Habe ich denn getrnumet, oder ist es alles wahr?
Bereitet ist das Feld, verhauen ist der Wald.
Und selbst der magre Trost war ihm genommen, mit Walter fortfahren zu
können:
Nur daß das Wasser fließet, wie es weiland floß
Grenzboten II 138l> 57
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