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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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ein großer Fehler, demi unter den Journalisten würde sich doch einer oder
der andre gefunden haben, der auf den Widersinn des Inhalts aufmerksam
gemacht oder wenigstens Sprachverbcssernngeu angeraten hatte. Wer z. B.
schreiben kann: "Im Zusammenhange hiermit wird gebracht," verrät zu deut¬
lich, daß er gewohnt ist, "auf der Börs'" zu gehn. Das wäre um Wohl
Nebensache. Aber vor nilein muß die Frage aufgeworfen werden, ob denn die
Verfasser der Denkschrift dein Grafen Taaffe nicht so viel Einsicht zugetraut
haben, die Schwächen ihrer Darstellung zu erkennen, bevor er durch gegnerische
Zeitungen aufmerksam gemacht worden wäre? Denn nur so ist ihre Betrübnis
über das Bekanntwerden des Schriftstückes verständlich.

Daß die Antisemiten jubeln, ist leichter zu begreisen. Wollte man alle
Unwahrheiten, Übertreilnmgeu, unbewiesenen Behauptungen, Trugschlüsse und
Denunciationen mitteilen, es bliebe nichts übrig, als die ganze mehr als ein¬
undzwanzig hohe Zeitungsspalten füllende Denkschrift abzudrucken. Eine Blumen¬
lese mag genügen.

Früher war es ein stehender Trumpf der jndeufreundlichen Presse, es
sei eine Schande für die Christen, sich vor dem kleinen Häuflein ihrer jüdischen
Mitbürger zu fürchten. Jetzt gestehen die über eine Unzahl von Zeitungen
aller Art verfügenden Juden ihre Ohumacht gegenüber einer Handvoll kleiner,
wenig verbreiteter, meistens sich mühsam erhaltender Blätter ein. Allerdings
ist deren Zahl größer, als Nur bisher geahnt haben. Denn um ihre Not recht
arg erscheinen zu lassen, zähle" die Verfasser der Denkschrift jedes in irgend
einem Winkel des Reiches erscheinende, ihnen unangenehme Wvchenblättche"
auf und versichern, es gäbe deren noch viel mehr, bestätigen also unvorsichtig,
daß die Bewegung überall Boden hat. Allerdings geht aus den Stichproben
lderen Nichtigkeit vorausgesetzt) auch hervor, daß ein Teil dieser Presse sich
eiues äußerst rohen Tones befleißigen muß. Ju dieser Beziehung hat der
Borwurf des "Baterlands," die Stellen seien aus dein Zusammenhange ge¬
rissen, keine Bedeutung; wenn auf der Gegenseite z. V. Stimmung gegen die
Geistlichkeit gemacht wird, so geschieht es in der Ziegel mit viel mehr Vorsicht.

Wie nicht anders zu erwarten war, wird die Frage als religiöse be¬
handelt, was nicht hindert, gelegentlich auch Stimme" derjenigen Judengegner
anzuführen, die einen ausgesprochen unchristlichen Standpunkt einnehmen. Die
Juden bilden keinen eigenen Volksstamm, sonder" "eine Religionsgenossenschaft,
deren Angehörige nach ihrer Landsimmnschaft auch Angehörige der verschiednen
Volksstämme des Vaterlandes sind"; mit welcher Geschwindigkeit sie das ge¬
meinsame Vaterland gegen ein anderes umtauschen, im Handumdrehen z. B.
Angehörige des französischen Volksstammes werden können, davon weiß die
Denkschrift garnichts. Nomadenvolk seien sie allerdings vor Jahrtausenden
gewesen, aber auch andere Völker seien einmal gewandert. Der Vorwurf,
daß sie andere Völker haßten und verachteten, werde schon durch die Annahme


ein großer Fehler, demi unter den Journalisten würde sich doch einer oder
der andre gefunden haben, der auf den Widersinn des Inhalts aufmerksam
gemacht oder wenigstens Sprachverbcssernngeu angeraten hatte. Wer z. B.
schreiben kann: „Im Zusammenhange hiermit wird gebracht," verrät zu deut¬
lich, daß er gewohnt ist, „auf der Börs'" zu gehn. Das wäre um Wohl
Nebensache. Aber vor nilein muß die Frage aufgeworfen werden, ob denn die
Verfasser der Denkschrift dein Grafen Taaffe nicht so viel Einsicht zugetraut
haben, die Schwächen ihrer Darstellung zu erkennen, bevor er durch gegnerische
Zeitungen aufmerksam gemacht worden wäre? Denn nur so ist ihre Betrübnis
über das Bekanntwerden des Schriftstückes verständlich.

Daß die Antisemiten jubeln, ist leichter zu begreisen. Wollte man alle
Unwahrheiten, Übertreilnmgeu, unbewiesenen Behauptungen, Trugschlüsse und
Denunciationen mitteilen, es bliebe nichts übrig, als die ganze mehr als ein¬
undzwanzig hohe Zeitungsspalten füllende Denkschrift abzudrucken. Eine Blumen¬
lese mag genügen.

Früher war es ein stehender Trumpf der jndeufreundlichen Presse, es
sei eine Schande für die Christen, sich vor dem kleinen Häuflein ihrer jüdischen
Mitbürger zu fürchten. Jetzt gestehen die über eine Unzahl von Zeitungen
aller Art verfügenden Juden ihre Ohumacht gegenüber einer Handvoll kleiner,
wenig verbreiteter, meistens sich mühsam erhaltender Blätter ein. Allerdings
ist deren Zahl größer, als Nur bisher geahnt haben. Denn um ihre Not recht
arg erscheinen zu lassen, zähle» die Verfasser der Denkschrift jedes in irgend
einem Winkel des Reiches erscheinende, ihnen unangenehme Wvchenblättche»
auf und versichern, es gäbe deren noch viel mehr, bestätigen also unvorsichtig,
daß die Bewegung überall Boden hat. Allerdings geht aus den Stichproben
lderen Nichtigkeit vorausgesetzt) auch hervor, daß ein Teil dieser Presse sich
eiues äußerst rohen Tones befleißigen muß. Ju dieser Beziehung hat der
Borwurf des „Baterlands," die Stellen seien aus dein Zusammenhange ge¬
rissen, keine Bedeutung; wenn auf der Gegenseite z. V. Stimmung gegen die
Geistlichkeit gemacht wird, so geschieht es in der Ziegel mit viel mehr Vorsicht.

Wie nicht anders zu erwarten war, wird die Frage als religiöse be¬
handelt, was nicht hindert, gelegentlich auch Stimme» derjenigen Judengegner
anzuführen, die einen ausgesprochen unchristlichen Standpunkt einnehmen. Die
Juden bilden keinen eigenen Volksstamm, sonder» „eine Religionsgenossenschaft,
deren Angehörige nach ihrer Landsimmnschaft auch Angehörige der verschiednen
Volksstämme des Vaterlandes sind"; mit welcher Geschwindigkeit sie das ge¬
meinsame Vaterland gegen ein anderes umtauschen, im Handumdrehen z. B.
Angehörige des französischen Volksstammes werden können, davon weiß die
Denkschrift garnichts. Nomadenvolk seien sie allerdings vor Jahrtausenden
gewesen, aber auch andere Völker seien einmal gewandert. Der Vorwurf,
daß sie andere Völker haßten und verachteten, werde schon durch die Annahme


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/435>, abgerufen am 05.02.2025.