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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Rassen- und Rlasseichaß

An diese Vorgänge klammerten sich nun Judenfreunde und Judenfeinde.
Die Behörde hatte wohl eingegriffen, sowohl um den Unfug des Mob zu
dämpfen, als um dem Unfug der Gesellschaft zu steuern und den streng in
den gesetzlichen Grenzen gebliebenen Kutschern zu dem zu verhelfen, was mau
wohl Menschenrecht nennen darf. Aber das geschah angeblich zu spät, und
zugleich wurden Maßregeln gegen die Antisemiten gefordert, wobei man sich
anstellte, als ob es vor dein Auftreten dieser Partei in Wien keine gefährlichen
Klasse" gegeben habe. In diesem Sinne hielt Herr von Chlumeeky im Abge-
ordnetenhause eine Rede, die fast Wort für Wort ebenso am Platze gewesen
wäre, wenn er die Absicht gehabt hätte, Schutz der katholischen Kirche und
ihrer Diener gegen die judeuliberale Presse zu beanspruche!?. Nicht geschickter
benahmen sich die Antisemiten mit ihrer Klage über die Gewaltthätigkeiten der
bewaffneten Macht und über die Verunglimpfungen ihrer Partei. Da die
beiden Interpellationen sich gegenseitig kia iMuräum führten, hatte Graf Taaffe
mit deren Beantwortung leichtes Spiel. Und er war großmütig genug, die
Interpellanten nicht zu einem Bekenntnis zu nötigen, wie sie an seiner Stelle
vorgegangen sein würden, ob uach des Einen Meinung die Polizei angewiesen
werden müsse, sich vor dem Einschreiten gegen Unruhstifter nach deren politischem.
Programm zu erkundigen, und nach des Andern Verwaltungsgrnndsätzen vor
jedes Gewölbe eiues Juden ein Doppelposten gestellt werden solle, da man ja
niemals wissen kann, ob es nicht einen schlimmen Buben gelüsten könnte, Steine
hiueiuzuschleuderu. Der Abgeordnete Vergani dürfte sich freilich kaum Rechnung
macheu, einmal an die Regierung zu kommen, aber sein Kollege Chlumeeky
ist längst zu Taaffes Nachfolger ausersehen und hätte daher eine derartige
Frage nicht ungehörig finden können.

Übrigens hatten die Feiertage noch eine Überraschung gebracht. Nach
den Feiertagen beschwerten sich alle liberalen Zeitungen aufs bitterste über eine
vom "Vaterland" verübte Indiskretion, Verletzung des Amtsgeheimnisses, Ent-
heiligung des Osterfestes durch eine schmähliche Judenhetze. Die genannte
Zeitung wird sonst beinahe ausschließlich in klerikalen Kreisen gelesen, nun
griff aber jedermann nach dein Blatte. Denn wenn Organe, die sonst den
Satz vertreten, daß alles in die Öffentlichkeit gebracht werden müsse, alles
ohne Unterschied, und die, wenn sie in den Besitz eines geheimen Aktenstückes
gelangt sind, nicht leicht berücksichtigen, ob die Veröffentlichung Schaden an¬
richten kann oder nicht, sich derart über deu Mißbrauch erhitzten, so mußte
wohl etwas Fürchterliches geschehen sein. Und was war es? Eine Anzahl
Juden hatte dein Grafen Taaffe eine Denkschrift überreicht, die den Nachweis
liefern sollte, daß in Österreich überall und tagtäglich die gröbsten Gesetzver¬
letzungen zum Nachteil ihrer Rasse verübt würden. Der Schritt scheint in
tiefster Stille beraten und ausgeführt worden zu sein, nicht einmal die be¬
freundeten Zeitungen soll man ins Geheimnis gezogen haben. Und das war


Rassen- und Rlasseichaß

An diese Vorgänge klammerten sich nun Judenfreunde und Judenfeinde.
Die Behörde hatte wohl eingegriffen, sowohl um den Unfug des Mob zu
dämpfen, als um dem Unfug der Gesellschaft zu steuern und den streng in
den gesetzlichen Grenzen gebliebenen Kutschern zu dem zu verhelfen, was mau
wohl Menschenrecht nennen darf. Aber das geschah angeblich zu spät, und
zugleich wurden Maßregeln gegen die Antisemiten gefordert, wobei man sich
anstellte, als ob es vor dein Auftreten dieser Partei in Wien keine gefährlichen
Klasse» gegeben habe. In diesem Sinne hielt Herr von Chlumeeky im Abge-
ordnetenhause eine Rede, die fast Wort für Wort ebenso am Platze gewesen
wäre, wenn er die Absicht gehabt hätte, Schutz der katholischen Kirche und
ihrer Diener gegen die judeuliberale Presse zu beanspruche!?. Nicht geschickter
benahmen sich die Antisemiten mit ihrer Klage über die Gewaltthätigkeiten der
bewaffneten Macht und über die Verunglimpfungen ihrer Partei. Da die
beiden Interpellationen sich gegenseitig kia iMuräum führten, hatte Graf Taaffe
mit deren Beantwortung leichtes Spiel. Und er war großmütig genug, die
Interpellanten nicht zu einem Bekenntnis zu nötigen, wie sie an seiner Stelle
vorgegangen sein würden, ob uach des Einen Meinung die Polizei angewiesen
werden müsse, sich vor dem Einschreiten gegen Unruhstifter nach deren politischem.
Programm zu erkundigen, und nach des Andern Verwaltungsgrnndsätzen vor
jedes Gewölbe eiues Juden ein Doppelposten gestellt werden solle, da man ja
niemals wissen kann, ob es nicht einen schlimmen Buben gelüsten könnte, Steine
hiueiuzuschleuderu. Der Abgeordnete Vergani dürfte sich freilich kaum Rechnung
macheu, einmal an die Regierung zu kommen, aber sein Kollege Chlumeeky
ist längst zu Taaffes Nachfolger ausersehen und hätte daher eine derartige
Frage nicht ungehörig finden können.

Übrigens hatten die Feiertage noch eine Überraschung gebracht. Nach
den Feiertagen beschwerten sich alle liberalen Zeitungen aufs bitterste über eine
vom „Vaterland" verübte Indiskretion, Verletzung des Amtsgeheimnisses, Ent-
heiligung des Osterfestes durch eine schmähliche Judenhetze. Die genannte
Zeitung wird sonst beinahe ausschließlich in klerikalen Kreisen gelesen, nun
griff aber jedermann nach dein Blatte. Denn wenn Organe, die sonst den
Satz vertreten, daß alles in die Öffentlichkeit gebracht werden müsse, alles
ohne Unterschied, und die, wenn sie in den Besitz eines geheimen Aktenstückes
gelangt sind, nicht leicht berücksichtigen, ob die Veröffentlichung Schaden an¬
richten kann oder nicht, sich derart über deu Mißbrauch erhitzten, so mußte
wohl etwas Fürchterliches geschehen sein. Und was war es? Eine Anzahl
Juden hatte dein Grafen Taaffe eine Denkschrift überreicht, die den Nachweis
liefern sollte, daß in Österreich überall und tagtäglich die gröbsten Gesetzver¬
letzungen zum Nachteil ihrer Rasse verübt würden. Der Schritt scheint in
tiefster Stille beraten und ausgeführt worden zu sein, nicht einmal die be¬
freundeten Zeitungen soll man ins Geheimnis gezogen haben. Und das war


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[0434] Rassen- und Rlasseichaß An diese Vorgänge klammerten sich nun Judenfreunde und Judenfeinde. Die Behörde hatte wohl eingegriffen, sowohl um den Unfug des Mob zu dämpfen, als um dem Unfug der Gesellschaft zu steuern und den streng in den gesetzlichen Grenzen gebliebenen Kutschern zu dem zu verhelfen, was mau wohl Menschenrecht nennen darf. Aber das geschah angeblich zu spät, und zugleich wurden Maßregeln gegen die Antisemiten gefordert, wobei man sich anstellte, als ob es vor dein Auftreten dieser Partei in Wien keine gefährlichen Klasse» gegeben habe. In diesem Sinne hielt Herr von Chlumeeky im Abge- ordnetenhause eine Rede, die fast Wort für Wort ebenso am Platze gewesen wäre, wenn er die Absicht gehabt hätte, Schutz der katholischen Kirche und ihrer Diener gegen die judeuliberale Presse zu beanspruche!?. Nicht geschickter benahmen sich die Antisemiten mit ihrer Klage über die Gewaltthätigkeiten der bewaffneten Macht und über die Verunglimpfungen ihrer Partei. Da die beiden Interpellationen sich gegenseitig kia iMuräum führten, hatte Graf Taaffe mit deren Beantwortung leichtes Spiel. Und er war großmütig genug, die Interpellanten nicht zu einem Bekenntnis zu nötigen, wie sie an seiner Stelle vorgegangen sein würden, ob uach des Einen Meinung die Polizei angewiesen werden müsse, sich vor dem Einschreiten gegen Unruhstifter nach deren politischem. Programm zu erkundigen, und nach des Andern Verwaltungsgrnndsätzen vor jedes Gewölbe eiues Juden ein Doppelposten gestellt werden solle, da man ja niemals wissen kann, ob es nicht einen schlimmen Buben gelüsten könnte, Steine hiueiuzuschleuderu. Der Abgeordnete Vergani dürfte sich freilich kaum Rechnung macheu, einmal an die Regierung zu kommen, aber sein Kollege Chlumeeky ist längst zu Taaffes Nachfolger ausersehen und hätte daher eine derartige Frage nicht ungehörig finden können. Übrigens hatten die Feiertage noch eine Überraschung gebracht. Nach den Feiertagen beschwerten sich alle liberalen Zeitungen aufs bitterste über eine vom „Vaterland" verübte Indiskretion, Verletzung des Amtsgeheimnisses, Ent- heiligung des Osterfestes durch eine schmähliche Judenhetze. Die genannte Zeitung wird sonst beinahe ausschließlich in klerikalen Kreisen gelesen, nun griff aber jedermann nach dein Blatte. Denn wenn Organe, die sonst den Satz vertreten, daß alles in die Öffentlichkeit gebracht werden müsse, alles ohne Unterschied, und die, wenn sie in den Besitz eines geheimen Aktenstückes gelangt sind, nicht leicht berücksichtigen, ob die Veröffentlichung Schaden an¬ richten kann oder nicht, sich derart über deu Mißbrauch erhitzten, so mußte wohl etwas Fürchterliches geschehen sein. Und was war es? Eine Anzahl Juden hatte dein Grafen Taaffe eine Denkschrift überreicht, die den Nachweis liefern sollte, daß in Österreich überall und tagtäglich die gröbsten Gesetzver¬ letzungen zum Nachteil ihrer Rasse verübt würden. Der Schritt scheint in tiefster Stille beraten und ausgeführt worden zu sein, nicht einmal die be¬ freundeten Zeitungen soll man ins Geheimnis gezogen haben. Und das war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/434>, abgerufen am 05.02.2025.