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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Hans Hopfens Theater

gehobenen gelungenen Wurfes, gewonnen haben, denn bekanntlich hat er sich
seitdem nur der Erzählung in Versen und in Prosa gewidmet. Es fehlt ihm
der große Zug des echten Dramatikers, das Vermögen, große Leidenschaften
groß darzustellen, eine starke einheitliche Handlung, die alle Episoden beherrscht,
zu erfinden, in großen Strichen zu zeichnen, "1 lresvo. Er geht in den Einzel¬
heiten ans, die gewiß nicht ohne Feinheit, aber beim Lesen jedenfalls wirksamer,
als auf der Bühne sind. Seine Handlungen sind nichts weniger als einfach;
man verliert den Atem, wenn man sie erzählen will. In Wahrheit zerfällt
auch das gelungene Schauspiel "In der Mark" in Episoden, in feine Einzel¬
heiten und ist im Kern novellistisch, da es einen wichtigen Umwandlnngsprozeß
tief innerlicher Art in die Dunkelheit des Zwischenaktes fallen lassen muß; und
das erste Schauspiel "Aschenbrödel in Böhmen" ist deshalb ganz und gar
mißraten. Den Blick für das, was von der Bühne aus wirkt, die Einsicht
in den tiefen Unterschied von Epik und Drama hat Hopfen zu der Zeit noch
nicht ganz besessen.

Die Handlung des vieraktigen Schauspiels "Aschenbrödel in Böhmen"
führt uns in das Jahr 18K8. Es war die Zeit unmittelbar nach den Nieder¬
lagen Österreichs durch Preußen, wo das Tschechenvolk die Gelegenheit ergriff,
seinem Deutschenhaß zügellos Ausdruck zu geben. Damals pilgerten die
Tschechen nach Moskau, entrollten die Fahne des Pnnslciwismus und begannen
den Kampf gegen die Deutschen, der heute noch fortdauert. Ein Bild dieser
Zustände giebt Hopfens Schauspiel, das in den verflossenen zwanzig Jahren
nicht viel von seiner Wahrheit eingebüßt hat, wenn auch die Deutschen Böh¬
mens lange uicht mehr so geduldig sind, wie Hopfen ihnen in: "Aschenbrödel"
vorwirft. Das Schauspiel stellt die Parteien einander gegenüber. Auf der
einen Seite das Stiefkind Elfe, das sich wie ein Aschenbrödel, wie eine dienende
Magd behandeln und ausbeuten läßt, obgleich der Reichtum des Hauses ihr
persönliches, vom redlichen deutscheu Vater ererbtes Gut ist. Sie hat nicht
die Gabe, zu herrschen, bereitwillig kommt sie allen Forderungen entgegen,
vergißt schnell Beleidigungen und wird deshalb wie ein Spielball von einem
Egoisten zum andern geschleudert. Neben ihr steht der deutsche Arzt Dr. Wohl¬
auf, ein inzwischen ausgestorbner deutschböhmischer Typus: gutmütig, bescheiden
bis zum Mißtrauen gegen sich selbst, hilfreich, idealistisch, ein Feind alles
nationalen Haders, ein reiner Humanist, der sich aber von der charakterlosen
Stiefmutter Elses, Frau Aula Malsidi Edle von Heldenschreck, unterm Pan¬
toffel halten läßt, und der sich nnr im höchsten Zorne endlich zu einer That
aufraffen kann, also ein politisch ganz unfähiger Deutscher, dessen Wirkung
von der Bühne fein humoristisch sein soll, zuweilen aber doch auch unfreiwillig
lächerlich ist. Und endlich der Vertreter desjenigen Deutschtums, das allein
politisch brauchbar ist, weil es mit Mut und Nachdruck überall tschechischer
Anmaßung entgegentritt, wenn auch einer gegen drei zu fechten hat und Leib


Hans Hopfens Theater

gehobenen gelungenen Wurfes, gewonnen haben, denn bekanntlich hat er sich
seitdem nur der Erzählung in Versen und in Prosa gewidmet. Es fehlt ihm
der große Zug des echten Dramatikers, das Vermögen, große Leidenschaften
groß darzustellen, eine starke einheitliche Handlung, die alle Episoden beherrscht,
zu erfinden, in großen Strichen zu zeichnen, »1 lresvo. Er geht in den Einzel¬
heiten ans, die gewiß nicht ohne Feinheit, aber beim Lesen jedenfalls wirksamer,
als auf der Bühne sind. Seine Handlungen sind nichts weniger als einfach;
man verliert den Atem, wenn man sie erzählen will. In Wahrheit zerfällt
auch das gelungene Schauspiel „In der Mark" in Episoden, in feine Einzel¬
heiten und ist im Kern novellistisch, da es einen wichtigen Umwandlnngsprozeß
tief innerlicher Art in die Dunkelheit des Zwischenaktes fallen lassen muß; und
das erste Schauspiel „Aschenbrödel in Böhmen" ist deshalb ganz und gar
mißraten. Den Blick für das, was von der Bühne aus wirkt, die Einsicht
in den tiefen Unterschied von Epik und Drama hat Hopfen zu der Zeit noch
nicht ganz besessen.

Die Handlung des vieraktigen Schauspiels „Aschenbrödel in Böhmen"
führt uns in das Jahr 18K8. Es war die Zeit unmittelbar nach den Nieder¬
lagen Österreichs durch Preußen, wo das Tschechenvolk die Gelegenheit ergriff,
seinem Deutschenhaß zügellos Ausdruck zu geben. Damals pilgerten die
Tschechen nach Moskau, entrollten die Fahne des Pnnslciwismus und begannen
den Kampf gegen die Deutschen, der heute noch fortdauert. Ein Bild dieser
Zustände giebt Hopfens Schauspiel, das in den verflossenen zwanzig Jahren
nicht viel von seiner Wahrheit eingebüßt hat, wenn auch die Deutschen Böh¬
mens lange uicht mehr so geduldig sind, wie Hopfen ihnen in: „Aschenbrödel"
vorwirft. Das Schauspiel stellt die Parteien einander gegenüber. Auf der
einen Seite das Stiefkind Elfe, das sich wie ein Aschenbrödel, wie eine dienende
Magd behandeln und ausbeuten läßt, obgleich der Reichtum des Hauses ihr
persönliches, vom redlichen deutscheu Vater ererbtes Gut ist. Sie hat nicht
die Gabe, zu herrschen, bereitwillig kommt sie allen Forderungen entgegen,
vergißt schnell Beleidigungen und wird deshalb wie ein Spielball von einem
Egoisten zum andern geschleudert. Neben ihr steht der deutsche Arzt Dr. Wohl¬
auf, ein inzwischen ausgestorbner deutschböhmischer Typus: gutmütig, bescheiden
bis zum Mißtrauen gegen sich selbst, hilfreich, idealistisch, ein Feind alles
nationalen Haders, ein reiner Humanist, der sich aber von der charakterlosen
Stiefmutter Elses, Frau Aula Malsidi Edle von Heldenschreck, unterm Pan¬
toffel halten läßt, und der sich nnr im höchsten Zorne endlich zu einer That
aufraffen kann, also ein politisch ganz unfähiger Deutscher, dessen Wirkung
von der Bühne fein humoristisch sein soll, zuweilen aber doch auch unfreiwillig
lächerlich ist. Und endlich der Vertreter desjenigen Deutschtums, das allein
politisch brauchbar ist, weil es mit Mut und Nachdruck überall tschechischer
Anmaßung entgegentritt, wenn auch einer gegen drei zu fechten hat und Leib


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/40>, abgerufen am 05.02.2025.