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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Zum zweiten österreichischen Katholikentage

seines alten Berufes im Völkerleben liegt, ebensowohl für die Erhaltung der
individuellen Freiheit und die Bekämpfung ungerechtfertigten Zwanges im
bürgerlichen Leben, als für die Ausbreitung großer ordnender und umfassender
Gedanken auf allen wirklich gemeinsamen Gebieten, ans denen der Zwang zur
höhern Freiheit wird, einzutreten."

So verbleibe denn jedem Orte seine Ortszeit, wie bisher, der Welt aber
die Weltzeit in allem Verkehr der Einzelnen und der Völker mit einander.

Möge an jedem Orte der Erde der Mensch seinen Tag anfangen, wie
die liebe Sonne ihn bringt:


Verschwunden ist die finstre Nacht,
Die Lerche schlägt, der Tag erwacht;
Drum freue sich, wer nen belebt
Den frischen Blick zur Sonn erhebt!

Er möge ausgehen an seine Arbeit und an sein Unterwerk bis an den
Abend, und seine sauern Wochen und frohen Feste feiern, wie die Sonne sie
bringt. Und der Klang der Ostermorgcnglocken möge herumziehen um die
Erde, zuerst ertönen bei den neuseeländischen Christen, dann über unsre Lande
hinweg bis endlich in die Bethäuser von Samoa, und so jeder des Seinigen,
des heimatlichen Besitzes sich erfreuen.

In allen Stücken aber, wo die Menschen zu gemeinsamem Handeln be¬
rufen sind, möge jeder Augenblick im Ewigkeitenstrome für alle Erdbewohner
auch feinem Namen nach als derselbe Augenblick erkannt werden, sodaß wir
lernen mit voller Stärke als Glieder eines großen Haushaltes uns fühlen,
dem Dichter nachempfindend:


Unter demselben Blau, über dem nämlichen Grün
Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter.



Zum zweiten österreichischen Katholikentage

n den vielen bösen Gaben, mit denen die Revolution von 1789
Europa beschenkt hat, gehört unstreitig das Wiederaufleben des
ultramontanen Geistes in .der katholischen Kirche und die da¬
mit verbundene Verschärfung der konfessionellen Gegensätze.
^.Sehr gut zeigt Nippold in seiner Kirchengeschichte des neun¬
zehnten Jahrhunderts, wie die französische Umwälzung durch den religions-
feindlichen Zug, der in ihr bald zu Tage trat, ii? allen religiösen Gemütern


Zum zweiten österreichischen Katholikentage

seines alten Berufes im Völkerleben liegt, ebensowohl für die Erhaltung der
individuellen Freiheit und die Bekämpfung ungerechtfertigten Zwanges im
bürgerlichen Leben, als für die Ausbreitung großer ordnender und umfassender
Gedanken auf allen wirklich gemeinsamen Gebieten, ans denen der Zwang zur
höhern Freiheit wird, einzutreten."

So verbleibe denn jedem Orte seine Ortszeit, wie bisher, der Welt aber
die Weltzeit in allem Verkehr der Einzelnen und der Völker mit einander.

Möge an jedem Orte der Erde der Mensch seinen Tag anfangen, wie
die liebe Sonne ihn bringt:


Verschwunden ist die finstre Nacht,
Die Lerche schlägt, der Tag erwacht;
Drum freue sich, wer nen belebt
Den frischen Blick zur Sonn erhebt!

Er möge ausgehen an seine Arbeit und an sein Unterwerk bis an den
Abend, und seine sauern Wochen und frohen Feste feiern, wie die Sonne sie
bringt. Und der Klang der Ostermorgcnglocken möge herumziehen um die
Erde, zuerst ertönen bei den neuseeländischen Christen, dann über unsre Lande
hinweg bis endlich in die Bethäuser von Samoa, und so jeder des Seinigen,
des heimatlichen Besitzes sich erfreuen.

In allen Stücken aber, wo die Menschen zu gemeinsamem Handeln be¬
rufen sind, möge jeder Augenblick im Ewigkeitenstrome für alle Erdbewohner
auch feinem Namen nach als derselbe Augenblick erkannt werden, sodaß wir
lernen mit voller Stärke als Glieder eines großen Haushaltes uns fühlen,
dem Dichter nachempfindend:


Unter demselben Blau, über dem nämlichen Grün
Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter.



Zum zweiten österreichischen Katholikentage

n den vielen bösen Gaben, mit denen die Revolution von 1789
Europa beschenkt hat, gehört unstreitig das Wiederaufleben des
ultramontanen Geistes in .der katholischen Kirche und die da¬
mit verbundene Verschärfung der konfessionellen Gegensätze.
^.Sehr gut zeigt Nippold in seiner Kirchengeschichte des neun¬
zehnten Jahrhunderts, wie die französische Umwälzung durch den religions-
feindlichen Zug, der in ihr bald zu Tage trat, ii? allen religiösen Gemütern


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[0335] Zum zweiten österreichischen Katholikentage seines alten Berufes im Völkerleben liegt, ebensowohl für die Erhaltung der individuellen Freiheit und die Bekämpfung ungerechtfertigten Zwanges im bürgerlichen Leben, als für die Ausbreitung großer ordnender und umfassender Gedanken auf allen wirklich gemeinsamen Gebieten, ans denen der Zwang zur höhern Freiheit wird, einzutreten." So verbleibe denn jedem Orte seine Ortszeit, wie bisher, der Welt aber die Weltzeit in allem Verkehr der Einzelnen und der Völker mit einander. Möge an jedem Orte der Erde der Mensch seinen Tag anfangen, wie die liebe Sonne ihn bringt: Verschwunden ist die finstre Nacht, Die Lerche schlägt, der Tag erwacht; Drum freue sich, wer nen belebt Den frischen Blick zur Sonn erhebt! Er möge ausgehen an seine Arbeit und an sein Unterwerk bis an den Abend, und seine sauern Wochen und frohen Feste feiern, wie die Sonne sie bringt. Und der Klang der Ostermorgcnglocken möge herumziehen um die Erde, zuerst ertönen bei den neuseeländischen Christen, dann über unsre Lande hinweg bis endlich in die Bethäuser von Samoa, und so jeder des Seinigen, des heimatlichen Besitzes sich erfreuen. In allen Stücken aber, wo die Menschen zu gemeinsamem Handeln be¬ rufen sind, möge jeder Augenblick im Ewigkeitenstrome für alle Erdbewohner auch feinem Namen nach als derselbe Augenblick erkannt werden, sodaß wir lernen mit voller Stärke als Glieder eines großen Haushaltes uns fühlen, dem Dichter nachempfindend: Unter demselben Blau, über dem nämlichen Grün Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter. Zum zweiten österreichischen Katholikentage n den vielen bösen Gaben, mit denen die Revolution von 1789 Europa beschenkt hat, gehört unstreitig das Wiederaufleben des ultramontanen Geistes in .der katholischen Kirche und die da¬ mit verbundene Verschärfung der konfessionellen Gegensätze. ^.Sehr gut zeigt Nippold in seiner Kirchengeschichte des neun¬ zehnten Jahrhunderts, wie die französische Umwälzung durch den religions- feindlichen Zug, der in ihr bald zu Tage trat, ii? allen religiösen Gemütern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/335>, abgerufen am 05.02.2025.