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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Zum zweiten österreichischen Katholikentage

einen starken Rückschlag bewirkt hat und sie ans der freiern, duldsmnern Richtung
des achtzehnten Jahrhunderts wieder zurück in die starr-orthodoxe des sieb¬
zehnte geworfen hat. Das römische Papsttum hat daraus mit großer Klugheit
verstanden, Gewinn zu ziehen, ja die Erniedrigung, die es von denn Erben
der Revolution erdulden mußte, zu einen: um so größern Triumph zu ver¬
werten: die Sympathien selbst der häretischen und schismatischen Welt wandten
sich dein katholischen Kirchenoberhanpte zu, und wenn das Jahr 1815 mich
dessen weltliche Macht nicht wieder zu mittelalterlichen Glanz erhöhte, so
war doch seine geistige Macht jetzt wieder großer, als sie seit Jahrhunderten
gewesen war.

In Deutschland aber sproßte, wie Treitschke sagt, "aus dem kräftigen
Zweige der Romantik neben der weltlich freien historisch-philosophischen
Forschung ein ganz andres Reis hervor, eine streng katholische Wissenschaft,
unduldsam, streitbar, konfessionell von Grund ans, eine Weltanschauung, die
in notwendigen Wachstum schließlich dahin gelaugte, das romantische Ideal
mit dein römischen zu vertauschen und die gesamte moderne deutsche Bildung
bis aufs Blut zu bekämpfen."

Ob uun aber das restaurirte Papsttum und die katholische Wissenschaft
der Sache, der sie doch dienen wollten -- Erneuerung und dauernde Be¬
festigung des religiösem Geistes in den katholischen Bevölkerungen, Ausbreitung
des katholischen Glaubens über neue Gebiete --, in der Folge wirklich gedient
haben, indem sie das starr-orthodoxe Kirchentnm wieder heraufbeschworen und
jeden Ausgleich mit den Ideen der neuen Zeit verwarfen, ist eine andre Frage.
Zuerst haben sie freilich beide eine Reihe großer Erfolge errungen: die zahl¬
reichen Konkordate, in denen sich so viele Staaten zu Zugeständnisse" gegen
das Papsttum herbeiließen, die im achtzehnten Jahrhundert ganz unerhört
gewesen wären, die "Bekehrung" bedeutender protestantischer Männer, ins¬
besondre in Deutschlnud, zum Katholizismus, die Bildung einer neuen katho¬
lischen Litteratur, in der bald Talente ersten Ranges glänzten. Was aber
die Hauptsache gewesen wäre, geschah nicht: in den breitern Schichten der
katholischen Nationen gewann die Religion im Laufe des Jahrhunderts nicht
nur nicht an Boden, sie verlor sogar ganz entschieden daran; es kann kein
Zweifel sein, daß heute selbst der katholische Bauernstand in Österreich und
Deutschland, von dem in Frankreich ganz zu schweigen, nicht mehr so tief religiös
und kirchenfreundlich ist, wie zu der Zeit, als die Revolution die obern Klassen
der Bevölkerung beinahe vollständig beherrschte; ein katholischer Eiferer hat
es uns neulich selber gesagt, auch das Landvolk ist heute "vou liberalen
Ideen angefressen." Neben diesem Mißerfolge der katholischen Propaganda
bedeuten die äußerlichen Niederlagen, die das römische Kirchentnm in den
letzten Jahrzehnten erlitten hat, die Annexion des Kirchenstaates durch Italien,
die Aufhebung des österreichischen Konkordats, die neue österreichische Schul-


Zum zweiten österreichischen Katholikentage

einen starken Rückschlag bewirkt hat und sie ans der freiern, duldsmnern Richtung
des achtzehnten Jahrhunderts wieder zurück in die starr-orthodoxe des sieb¬
zehnte geworfen hat. Das römische Papsttum hat daraus mit großer Klugheit
verstanden, Gewinn zu ziehen, ja die Erniedrigung, die es von denn Erben
der Revolution erdulden mußte, zu einen: um so größern Triumph zu ver¬
werten: die Sympathien selbst der häretischen und schismatischen Welt wandten
sich dein katholischen Kirchenoberhanpte zu, und wenn das Jahr 1815 mich
dessen weltliche Macht nicht wieder zu mittelalterlichen Glanz erhöhte, so
war doch seine geistige Macht jetzt wieder großer, als sie seit Jahrhunderten
gewesen war.

In Deutschland aber sproßte, wie Treitschke sagt, „aus dem kräftigen
Zweige der Romantik neben der weltlich freien historisch-philosophischen
Forschung ein ganz andres Reis hervor, eine streng katholische Wissenschaft,
unduldsam, streitbar, konfessionell von Grund ans, eine Weltanschauung, die
in notwendigen Wachstum schließlich dahin gelaugte, das romantische Ideal
mit dein römischen zu vertauschen und die gesamte moderne deutsche Bildung
bis aufs Blut zu bekämpfen."

Ob uun aber das restaurirte Papsttum und die katholische Wissenschaft
der Sache, der sie doch dienen wollten — Erneuerung und dauernde Be¬
festigung des religiösem Geistes in den katholischen Bevölkerungen, Ausbreitung
des katholischen Glaubens über neue Gebiete —, in der Folge wirklich gedient
haben, indem sie das starr-orthodoxe Kirchentnm wieder heraufbeschworen und
jeden Ausgleich mit den Ideen der neuen Zeit verwarfen, ist eine andre Frage.
Zuerst haben sie freilich beide eine Reihe großer Erfolge errungen: die zahl¬
reichen Konkordate, in denen sich so viele Staaten zu Zugeständnisse» gegen
das Papsttum herbeiließen, die im achtzehnten Jahrhundert ganz unerhört
gewesen wären, die „Bekehrung" bedeutender protestantischer Männer, ins¬
besondre in Deutschlnud, zum Katholizismus, die Bildung einer neuen katho¬
lischen Litteratur, in der bald Talente ersten Ranges glänzten. Was aber
die Hauptsache gewesen wäre, geschah nicht: in den breitern Schichten der
katholischen Nationen gewann die Religion im Laufe des Jahrhunderts nicht
nur nicht an Boden, sie verlor sogar ganz entschieden daran; es kann kein
Zweifel sein, daß heute selbst der katholische Bauernstand in Österreich und
Deutschland, von dem in Frankreich ganz zu schweigen, nicht mehr so tief religiös
und kirchenfreundlich ist, wie zu der Zeit, als die Revolution die obern Klassen
der Bevölkerung beinahe vollständig beherrschte; ein katholischer Eiferer hat
es uns neulich selber gesagt, auch das Landvolk ist heute „vou liberalen
Ideen angefressen." Neben diesem Mißerfolge der katholischen Propaganda
bedeuten die äußerlichen Niederlagen, die das römische Kirchentnm in den
letzten Jahrzehnten erlitten hat, die Annexion des Kirchenstaates durch Italien,
die Aufhebung des österreichischen Konkordats, die neue österreichische Schul-


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[0336] Zum zweiten österreichischen Katholikentage einen starken Rückschlag bewirkt hat und sie ans der freiern, duldsmnern Richtung des achtzehnten Jahrhunderts wieder zurück in die starr-orthodoxe des sieb¬ zehnte geworfen hat. Das römische Papsttum hat daraus mit großer Klugheit verstanden, Gewinn zu ziehen, ja die Erniedrigung, die es von denn Erben der Revolution erdulden mußte, zu einen: um so größern Triumph zu ver¬ werten: die Sympathien selbst der häretischen und schismatischen Welt wandten sich dein katholischen Kirchenoberhanpte zu, und wenn das Jahr 1815 mich dessen weltliche Macht nicht wieder zu mittelalterlichen Glanz erhöhte, so war doch seine geistige Macht jetzt wieder großer, als sie seit Jahrhunderten gewesen war. In Deutschland aber sproßte, wie Treitschke sagt, „aus dem kräftigen Zweige der Romantik neben der weltlich freien historisch-philosophischen Forschung ein ganz andres Reis hervor, eine streng katholische Wissenschaft, unduldsam, streitbar, konfessionell von Grund ans, eine Weltanschauung, die in notwendigen Wachstum schließlich dahin gelaugte, das romantische Ideal mit dein römischen zu vertauschen und die gesamte moderne deutsche Bildung bis aufs Blut zu bekämpfen." Ob uun aber das restaurirte Papsttum und die katholische Wissenschaft der Sache, der sie doch dienen wollten — Erneuerung und dauernde Be¬ festigung des religiösem Geistes in den katholischen Bevölkerungen, Ausbreitung des katholischen Glaubens über neue Gebiete —, in der Folge wirklich gedient haben, indem sie das starr-orthodoxe Kirchentnm wieder heraufbeschworen und jeden Ausgleich mit den Ideen der neuen Zeit verwarfen, ist eine andre Frage. Zuerst haben sie freilich beide eine Reihe großer Erfolge errungen: die zahl¬ reichen Konkordate, in denen sich so viele Staaten zu Zugeständnisse» gegen das Papsttum herbeiließen, die im achtzehnten Jahrhundert ganz unerhört gewesen wären, die „Bekehrung" bedeutender protestantischer Männer, ins¬ besondre in Deutschlnud, zum Katholizismus, die Bildung einer neuen katho¬ lischen Litteratur, in der bald Talente ersten Ranges glänzten. Was aber die Hauptsache gewesen wäre, geschah nicht: in den breitern Schichten der katholischen Nationen gewann die Religion im Laufe des Jahrhunderts nicht nur nicht an Boden, sie verlor sogar ganz entschieden daran; es kann kein Zweifel sein, daß heute selbst der katholische Bauernstand in Österreich und Deutschland, von dem in Frankreich ganz zu schweigen, nicht mehr so tief religiös und kirchenfreundlich ist, wie zu der Zeit, als die Revolution die obern Klassen der Bevölkerung beinahe vollständig beherrschte; ein katholischer Eiferer hat es uns neulich selber gesagt, auch das Landvolk ist heute „vou liberalen Ideen angefressen." Neben diesem Mißerfolge der katholischen Propaganda bedeuten die äußerlichen Niederlagen, die das römische Kirchentnm in den letzten Jahrzehnten erlitten hat, die Annexion des Kirchenstaates durch Italien, die Aufhebung des österreichischen Konkordats, die neue österreichische Schul-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/336>, abgerufen am 05.02.2025.