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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der russische Gemeindebesitz in der Gegenwart

Im Süden, im taurischen und im Gvuvernemnnt Jekaterinvsflaw, also
in der Krim und dem nördlich daran grenzenden Festlande, hauptsächlich an
dein Fluß Molotschuor, von dem diese berühmte" Kolonien auch ihren Namen
erhalten haben, sowie am untern und mittlern Dnieper und dessen Nebenflüssen
ist das Gemeindeland in ganze und halbe Höfe mit 60 und 65 oder mit
30 Dessjatiueu, d. i. etwa 250 und 125 preußische Morgen, in erblicher Nutz¬
nießung fest vergeben. Weiter als bis zu einem halben Hofe darf ebensowenig
geteilt werden, wie der einzelne Besitzer seinen Anteil am Gemeindelande nach
eigner Laune vergrößern oder verkleinern oder einem Beliebiger versetzen und
verpfänden kann. Sein Nutznießungsrecht kann er allerdings vererben und
nötigenfalls auch versetzen oder verkaufen, das letzte und entscheidende Wort
in allen derartigen Angelegenheiten hat aber immer der wirkliche Besitzer des
Landes, die Gemeinde, zu sprechen, in der bei solchen Angelegenheiten auch
allein die Besitzer des Landes stimmberechtigt sind. Um jedoch denjenigen
jungen Kolonisten, die in den Stammkolonien keine eignen Wirtschaften erhalten
können, solche zu verschaffen, hat man aus dein Gesamtareal einen bestimmten
Anteil ein für allemal ausgeschieden und verpachtet, wodurch die Mittel zum
Ankauf weiterer Ländereien, die wieder in der gleichen Weise verteilt werden,
beschafft worden sind und auch ferner beschafft werden. Bedenkt man, daß
die erwähnten Pachtsnmmen für die ausgeschiedenen Lnndereien in den be¬
treffenden Gemeinden, die an und für sich schon hoch sind, durch Kapitalisirnng
und das unausgesetzte Zurückfließen der vorgeschossenen Kanfgelder einschließlich
der Zinsen bereits zu einer riesigen Höhe angewachsen sind, so wird es leicht
verständlich, wo diese Kolonien die Mittel zum Ankauf ganzer Quadratmeilen
von Grund und Roben hernehmen. So einfach übrigens die Sache ist, so
steht die Masse der dortigen Russen ihr doch wie einem vollständigen Rätsel
gegenüber. Es ist ihnen unbegreiflich, wie diese Kolonisten die Mittel zum
Ankauf so gewaltiger Flächen gewinnen, obgleich es ihnen schon hundertmal
auseinandergesetzt worden ist.

So gewaltig die Erfolge der Kolonien mit dieser Vesitzfvrm übrigens auch
sein mögen und in wie glänzenden Verhältnissen sie sich auch befinden, so
wäre es doch wünschenswert, auch kleinere Anteile zu bilden, um es Streb¬
same" mehr als jetzt zu ermöglichen, sich emporzuarbeiten. Allerdings wird
ans neugekauftem Lande zur Übernahme eines Hvfanteils von 60 Desfjatinen
nur der Besitz des nötigen Wirtschaftsinvcntars oder einer Summe von
300 Rubeln verlangt; aber nicht immer ist es einem Armen möglich, diese
Summe aufzutreiben oder sich die nötigen Pferde, Kühe und Geräte zu
verschaffen.

So ziemlich dieselben Verhältnisse treffen wir auch im Norden bei den
Kolonisten mit Hvfverfasfung, doch wurden dein ganzen Hofe hier nur
35 Dessjatinen, d. i. etwa 150 Morgen, zugeteilt, die gleichfalls uicht weiter


Der russische Gemeindebesitz in der Gegenwart

Im Süden, im taurischen und im Gvuvernemnnt Jekaterinvsflaw, also
in der Krim und dem nördlich daran grenzenden Festlande, hauptsächlich an
dein Fluß Molotschuor, von dem diese berühmte» Kolonien auch ihren Namen
erhalten haben, sowie am untern und mittlern Dnieper und dessen Nebenflüssen
ist das Gemeindeland in ganze und halbe Höfe mit 60 und 65 oder mit
30 Dessjatiueu, d. i. etwa 250 und 125 preußische Morgen, in erblicher Nutz¬
nießung fest vergeben. Weiter als bis zu einem halben Hofe darf ebensowenig
geteilt werden, wie der einzelne Besitzer seinen Anteil am Gemeindelande nach
eigner Laune vergrößern oder verkleinern oder einem Beliebiger versetzen und
verpfänden kann. Sein Nutznießungsrecht kann er allerdings vererben und
nötigenfalls auch versetzen oder verkaufen, das letzte und entscheidende Wort
in allen derartigen Angelegenheiten hat aber immer der wirkliche Besitzer des
Landes, die Gemeinde, zu sprechen, in der bei solchen Angelegenheiten auch
allein die Besitzer des Landes stimmberechtigt sind. Um jedoch denjenigen
jungen Kolonisten, die in den Stammkolonien keine eignen Wirtschaften erhalten
können, solche zu verschaffen, hat man aus dein Gesamtareal einen bestimmten
Anteil ein für allemal ausgeschieden und verpachtet, wodurch die Mittel zum
Ankauf weiterer Ländereien, die wieder in der gleichen Weise verteilt werden,
beschafft worden sind und auch ferner beschafft werden. Bedenkt man, daß
die erwähnten Pachtsnmmen für die ausgeschiedenen Lnndereien in den be¬
treffenden Gemeinden, die an und für sich schon hoch sind, durch Kapitalisirnng
und das unausgesetzte Zurückfließen der vorgeschossenen Kanfgelder einschließlich
der Zinsen bereits zu einer riesigen Höhe angewachsen sind, so wird es leicht
verständlich, wo diese Kolonien die Mittel zum Ankauf ganzer Quadratmeilen
von Grund und Roben hernehmen. So einfach übrigens die Sache ist, so
steht die Masse der dortigen Russen ihr doch wie einem vollständigen Rätsel
gegenüber. Es ist ihnen unbegreiflich, wie diese Kolonisten die Mittel zum
Ankauf so gewaltiger Flächen gewinnen, obgleich es ihnen schon hundertmal
auseinandergesetzt worden ist.

So gewaltig die Erfolge der Kolonien mit dieser Vesitzfvrm übrigens auch
sein mögen und in wie glänzenden Verhältnissen sie sich auch befinden, so
wäre es doch wünschenswert, auch kleinere Anteile zu bilden, um es Streb¬
same» mehr als jetzt zu ermöglichen, sich emporzuarbeiten. Allerdings wird
ans neugekauftem Lande zur Übernahme eines Hvfanteils von 60 Desfjatinen
nur der Besitz des nötigen Wirtschaftsinvcntars oder einer Summe von
300 Rubeln verlangt; aber nicht immer ist es einem Armen möglich, diese
Summe aufzutreiben oder sich die nötigen Pferde, Kühe und Geräte zu
verschaffen.

So ziemlich dieselben Verhältnisse treffen wir auch im Norden bei den
Kolonisten mit Hvfverfasfung, doch wurden dein ganzen Hofe hier nur
35 Dessjatinen, d. i. etwa 150 Morgen, zugeteilt, die gleichfalls uicht weiter


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[0314] Der russische Gemeindebesitz in der Gegenwart Im Süden, im taurischen und im Gvuvernemnnt Jekaterinvsflaw, also in der Krim und dem nördlich daran grenzenden Festlande, hauptsächlich an dein Fluß Molotschuor, von dem diese berühmte» Kolonien auch ihren Namen erhalten haben, sowie am untern und mittlern Dnieper und dessen Nebenflüssen ist das Gemeindeland in ganze und halbe Höfe mit 60 und 65 oder mit 30 Dessjatiueu, d. i. etwa 250 und 125 preußische Morgen, in erblicher Nutz¬ nießung fest vergeben. Weiter als bis zu einem halben Hofe darf ebensowenig geteilt werden, wie der einzelne Besitzer seinen Anteil am Gemeindelande nach eigner Laune vergrößern oder verkleinern oder einem Beliebiger versetzen und verpfänden kann. Sein Nutznießungsrecht kann er allerdings vererben und nötigenfalls auch versetzen oder verkaufen, das letzte und entscheidende Wort in allen derartigen Angelegenheiten hat aber immer der wirkliche Besitzer des Landes, die Gemeinde, zu sprechen, in der bei solchen Angelegenheiten auch allein die Besitzer des Landes stimmberechtigt sind. Um jedoch denjenigen jungen Kolonisten, die in den Stammkolonien keine eignen Wirtschaften erhalten können, solche zu verschaffen, hat man aus dein Gesamtareal einen bestimmten Anteil ein für allemal ausgeschieden und verpachtet, wodurch die Mittel zum Ankauf weiterer Ländereien, die wieder in der gleichen Weise verteilt werden, beschafft worden sind und auch ferner beschafft werden. Bedenkt man, daß die erwähnten Pachtsnmmen für die ausgeschiedenen Lnndereien in den be¬ treffenden Gemeinden, die an und für sich schon hoch sind, durch Kapitalisirnng und das unausgesetzte Zurückfließen der vorgeschossenen Kanfgelder einschließlich der Zinsen bereits zu einer riesigen Höhe angewachsen sind, so wird es leicht verständlich, wo diese Kolonien die Mittel zum Ankauf ganzer Quadratmeilen von Grund und Roben hernehmen. So einfach übrigens die Sache ist, so steht die Masse der dortigen Russen ihr doch wie einem vollständigen Rätsel gegenüber. Es ist ihnen unbegreiflich, wie diese Kolonisten die Mittel zum Ankauf so gewaltiger Flächen gewinnen, obgleich es ihnen schon hundertmal auseinandergesetzt worden ist. So gewaltig die Erfolge der Kolonien mit dieser Vesitzfvrm übrigens auch sein mögen und in wie glänzenden Verhältnissen sie sich auch befinden, so wäre es doch wünschenswert, auch kleinere Anteile zu bilden, um es Streb¬ same» mehr als jetzt zu ermöglichen, sich emporzuarbeiten. Allerdings wird ans neugekauftem Lande zur Übernahme eines Hvfanteils von 60 Desfjatinen nur der Besitz des nötigen Wirtschaftsinvcntars oder einer Summe von 300 Rubeln verlangt; aber nicht immer ist es einem Armen möglich, diese Summe aufzutreiben oder sich die nötigen Pferde, Kühe und Geräte zu verschaffen. So ziemlich dieselben Verhältnisse treffen wir auch im Norden bei den Kolonisten mit Hvfverfasfung, doch wurden dein ganzen Hofe hier nur 35 Dessjatinen, d. i. etwa 150 Morgen, zugeteilt, die gleichfalls uicht weiter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/314>, abgerufen am 05.02.2025.