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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der russische Gemeindebesitz in der Gegenwart

Kolonisten gehabt, die dein Ideale der Sozialdemokraten folgten und gemein¬
schaftlichen Besitz, gemeinschaftliche Wirtschaft, gemeinschaftliches Zusammenleben
und Kindererziehen u. s. w. annahmen. Durch sie ist übrigens mir ein weiterer
Beweis geliefert worden, was es mit der gesamten Weltwirtschaft und Be¬
völkerung werden würde, wenn die Hirngespinste der Kommunisten allgemein
zur Ausführung konnten sollten.

Nicht wesentlich bester steht es mit denjenigen Kolonisten, die den russischen
Gemeindebesitz angenommen haben, und leider ist dies die Mehrzahl unter
sämtlichen Kolonien, die während der Regierung der Kaiserin Katharina II.
gegründet wurden. Wäre in den mehr als 15)0, teilweise sehr großen und
reichen Kolonien an der untern Wolga -- in den Gouvernements Sharatoff
und Shamara -- nicht die Masse der Privatbesitzer oder derjenigen vor¬
handen gewesen, die, ohne Benutzung eines Anteils vom Gemeindelnnde, ans
eigne Hand und Verantwortung Wirtschafteteil, so ließe sich mit Bestimmtheit
sagen, daß die Bevölkerung dieser Kolonien -- etwa 300000 Menschen --
trotz einer tüchtigen Geistlichkeit und trotz aller Schulen wirtschaftlich wie
sittlich und geistig auf dieselbe Stufe heruntergesunken wäre, auf der sich die
dortigen russischen Bauern befinden. Nicht ein einziger unter den Kolonisten,
die sich ausschließlich auf ihren Anteil vom Gemeindebesitz verließen, hat es
zu etwas Ordentlichem gebracht; der gesamte wirkliche Wohlstand in diesen
Kolonien, der so viele Rüster und Slawophilen dazu verführte, fortwährend
auf die glänzenden Erfolge des Gemeindebesitzes zu verweisen, gehörte von
jeher ausschließlich den Privatbesitzern, denen es auch allein zu verdanken ist,
daß es dort nicht zum ärgsten kam.

Die großartigsten Erfolge unter sämtlichen deutschen Kolonien Rußlands,
Erfolge, die wir entschieden noch über die der zahlreichen deutschen Einzel¬
besitzer stellen, obgleich sich unter diesen viele befinden, die es zu wirklich
fürstlichem Besitz gebracht haben, wofür aber anch wieder umso mehr vorhanden
sind, die nicht von der Stelle kommen konnten, haben unbedingt die Kolonisten
mit kommimal-persönlichem Besitz erzielt, und dessen allgemeine Einführung
bei den russischen Bauern scheint auch das Ziel der russischen Regierung zu
sein. Da es für manche Leser jedenfalls von Interesse ist, über diese Besttz-
form etwas Näheres zu erfahren, fo teilen wir das Nötige darüber mit.

Der kommuual-persönliche Besitz -- den nur in gewisser Beziehung auch
in vielen Gemeinden Deutschlands finden, wenigstens so weit, als es das aus¬
schließliche Gemeindevermögen betrifft --, in dem unsrer Uberzeugung nach
die für das Gesamtwohl einzig zuverlässige Besitzform und deshalb auch die
der Zukunft liegt, besteht einfach darin, daß die Gemeinde der alleinige Besitzer
des vorhandenen Grund und Bodens ist, und die einzelnen Wirte sich nur
in erblicher Nutznießung ihrer Grundstücke befinden, die in den betreffenden
Kolonien in folgender Weise geregelt ist.


Grenzboten II 1889 39
Der russische Gemeindebesitz in der Gegenwart

Kolonisten gehabt, die dein Ideale der Sozialdemokraten folgten und gemein¬
schaftlichen Besitz, gemeinschaftliche Wirtschaft, gemeinschaftliches Zusammenleben
und Kindererziehen u. s. w. annahmen. Durch sie ist übrigens mir ein weiterer
Beweis geliefert worden, was es mit der gesamten Weltwirtschaft und Be¬
völkerung werden würde, wenn die Hirngespinste der Kommunisten allgemein
zur Ausführung konnten sollten.

Nicht wesentlich bester steht es mit denjenigen Kolonisten, die den russischen
Gemeindebesitz angenommen haben, und leider ist dies die Mehrzahl unter
sämtlichen Kolonien, die während der Regierung der Kaiserin Katharina II.
gegründet wurden. Wäre in den mehr als 15)0, teilweise sehr großen und
reichen Kolonien an der untern Wolga — in den Gouvernements Sharatoff
und Shamara — nicht die Masse der Privatbesitzer oder derjenigen vor¬
handen gewesen, die, ohne Benutzung eines Anteils vom Gemeindelnnde, ans
eigne Hand und Verantwortung Wirtschafteteil, so ließe sich mit Bestimmtheit
sagen, daß die Bevölkerung dieser Kolonien — etwa 300000 Menschen —
trotz einer tüchtigen Geistlichkeit und trotz aller Schulen wirtschaftlich wie
sittlich und geistig auf dieselbe Stufe heruntergesunken wäre, auf der sich die
dortigen russischen Bauern befinden. Nicht ein einziger unter den Kolonisten,
die sich ausschließlich auf ihren Anteil vom Gemeindebesitz verließen, hat es
zu etwas Ordentlichem gebracht; der gesamte wirkliche Wohlstand in diesen
Kolonien, der so viele Rüster und Slawophilen dazu verführte, fortwährend
auf die glänzenden Erfolge des Gemeindebesitzes zu verweisen, gehörte von
jeher ausschließlich den Privatbesitzern, denen es auch allein zu verdanken ist,
daß es dort nicht zum ärgsten kam.

Die großartigsten Erfolge unter sämtlichen deutschen Kolonien Rußlands,
Erfolge, die wir entschieden noch über die der zahlreichen deutschen Einzel¬
besitzer stellen, obgleich sich unter diesen viele befinden, die es zu wirklich
fürstlichem Besitz gebracht haben, wofür aber anch wieder umso mehr vorhanden
sind, die nicht von der Stelle kommen konnten, haben unbedingt die Kolonisten
mit kommimal-persönlichem Besitz erzielt, und dessen allgemeine Einführung
bei den russischen Bauern scheint auch das Ziel der russischen Regierung zu
sein. Da es für manche Leser jedenfalls von Interesse ist, über diese Besttz-
form etwas Näheres zu erfahren, fo teilen wir das Nötige darüber mit.

Der kommuual-persönliche Besitz — den nur in gewisser Beziehung auch
in vielen Gemeinden Deutschlands finden, wenigstens so weit, als es das aus¬
schließliche Gemeindevermögen betrifft —, in dem unsrer Uberzeugung nach
die für das Gesamtwohl einzig zuverlässige Besitzform und deshalb auch die
der Zukunft liegt, besteht einfach darin, daß die Gemeinde der alleinige Besitzer
des vorhandenen Grund und Bodens ist, und die einzelnen Wirte sich nur
in erblicher Nutznießung ihrer Grundstücke befinden, die in den betreffenden
Kolonien in folgender Weise geregelt ist.


Grenzboten II 1889 39
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[0313] Der russische Gemeindebesitz in der Gegenwart Kolonisten gehabt, die dein Ideale der Sozialdemokraten folgten und gemein¬ schaftlichen Besitz, gemeinschaftliche Wirtschaft, gemeinschaftliches Zusammenleben und Kindererziehen u. s. w. annahmen. Durch sie ist übrigens mir ein weiterer Beweis geliefert worden, was es mit der gesamten Weltwirtschaft und Be¬ völkerung werden würde, wenn die Hirngespinste der Kommunisten allgemein zur Ausführung konnten sollten. Nicht wesentlich bester steht es mit denjenigen Kolonisten, die den russischen Gemeindebesitz angenommen haben, und leider ist dies die Mehrzahl unter sämtlichen Kolonien, die während der Regierung der Kaiserin Katharina II. gegründet wurden. Wäre in den mehr als 15)0, teilweise sehr großen und reichen Kolonien an der untern Wolga — in den Gouvernements Sharatoff und Shamara — nicht die Masse der Privatbesitzer oder derjenigen vor¬ handen gewesen, die, ohne Benutzung eines Anteils vom Gemeindelnnde, ans eigne Hand und Verantwortung Wirtschafteteil, so ließe sich mit Bestimmtheit sagen, daß die Bevölkerung dieser Kolonien — etwa 300000 Menschen — trotz einer tüchtigen Geistlichkeit und trotz aller Schulen wirtschaftlich wie sittlich und geistig auf dieselbe Stufe heruntergesunken wäre, auf der sich die dortigen russischen Bauern befinden. Nicht ein einziger unter den Kolonisten, die sich ausschließlich auf ihren Anteil vom Gemeindebesitz verließen, hat es zu etwas Ordentlichem gebracht; der gesamte wirkliche Wohlstand in diesen Kolonien, der so viele Rüster und Slawophilen dazu verführte, fortwährend auf die glänzenden Erfolge des Gemeindebesitzes zu verweisen, gehörte von jeher ausschließlich den Privatbesitzern, denen es auch allein zu verdanken ist, daß es dort nicht zum ärgsten kam. Die großartigsten Erfolge unter sämtlichen deutschen Kolonien Rußlands, Erfolge, die wir entschieden noch über die der zahlreichen deutschen Einzel¬ besitzer stellen, obgleich sich unter diesen viele befinden, die es zu wirklich fürstlichem Besitz gebracht haben, wofür aber anch wieder umso mehr vorhanden sind, die nicht von der Stelle kommen konnten, haben unbedingt die Kolonisten mit kommimal-persönlichem Besitz erzielt, und dessen allgemeine Einführung bei den russischen Bauern scheint auch das Ziel der russischen Regierung zu sein. Da es für manche Leser jedenfalls von Interesse ist, über diese Besttz- form etwas Näheres zu erfahren, fo teilen wir das Nötige darüber mit. Der kommuual-persönliche Besitz — den nur in gewisser Beziehung auch in vielen Gemeinden Deutschlands finden, wenigstens so weit, als es das aus¬ schließliche Gemeindevermögen betrifft —, in dem unsrer Uberzeugung nach die für das Gesamtwohl einzig zuverlässige Besitzform und deshalb auch die der Zukunft liegt, besteht einfach darin, daß die Gemeinde der alleinige Besitzer des vorhandenen Grund und Bodens ist, und die einzelnen Wirte sich nur in erblicher Nutznießung ihrer Grundstücke befinden, die in den betreffenden Kolonien in folgender Weise geregelt ist. Grenzboten II 1889 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/313>, abgerufen am 05.02.2025.