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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Die Fortpflanzung elektrischer Kräfte

sagen, was wir nicht begründen können, mit einem möglichst farblosen Namen
belegen; es soll das "Medium" heißen. Denkt man einmal an das Vor¬
handensein eines solchen Mediums, so sieht man, daß es zwei Wege giebt,
elektrische Erscheinungen zu erforschen. Sie lassen sich um dem Beispiel der
beiden Steine leicht klar machen. Sind einem Phhysiker zwei durch eine
elastische Schnur verbundene Steine gegeben, so kann er auf zweierlei Weise
ihr Verhalten studiren; entweder er beobachtet die Steine, oder er beobachtet
die Schnur. Im ersten Falle findet er das Gesetz, wonach sich die Steine
scheinbar anziehen, wenn sie von einander entfernt werden; bei guter Beobach¬
tung wird das GeseK vollkommen richtig sein. Im zweiten Falle findet er,
wenn er wieder richtig beobachtet, offenbar dasselbe Gesetz für die Bewegung
der Steine, aber nebenbei lernt er auch das Verhalten der Schnur kennen,
findet den Begriff der Elastizität und somit eine wertvolle Erweiterung seiner
Kenntnis. Ganz ähnlich steht es um die Elektrizität. Entweder der Physiker
betrachtet bloß die ihm gegebenen, durch ihre Wirkungen gekennzeichneten Elek-
trizitätspnnkte; dann findet er das Gesetz, wonach die Elektrizitäten einander
anziehen, und wenn er hinreichend gut beobachtet, wird dies Gesetz die Er¬
scheinungen erklären, die er in seinen Apparaten wahrnimmt. Oder er betrachtet
das zwischen den Punkten befindliche Medium und wirft die Frage auf: Wie
muß dieses Medium beschaffen sein, und wie wirkt es auf die Elektrizitäts-
puukte? Gelingt es ihm, diese Frage zu beantworten, so erhält er gleichfalls
das Gesetz, wonach sich die Elektrizitätspnnkte bewegen, nebenbei erhält er
aber anch Kenntnis von den Eigenschaften des Mediums, also etwas, was bei
der ersten Methode nicht zu erzielen ist

Es war Faradah, der die zweite Betrachtungsweise seinen Untersuchungen
zu Grunde legte. Er dachte sich, daß das Medium zwischen zwei elektrischen
Punkten in einer eigentümlichen Spannung sei, und daß diese Spannung die
Punkte zu einander hintreibe. Er suchte den Spannungszustand des Mediums
vorstellbar zu machen, indem er annahm, jeder elektrische Punkt strahle "Kraft¬
linien" aus, die im Medium verlaufen. Näher darauf einzugehen ist hier
nicht der Ort; es genüge, zu bemerken, daß die Fciraday'schen Kraftlinien sich
als ein ünßerst bequemes mathematisches Hilfsmittel bewährt haben, das für
sich allein beinahe so viel leistet wie eine ganze Anziehnngstheorie, und daß
sie eben deswegen schon lange bei den Technikern in Gebrauch gekommen sind.

Aus Faradah's Art, die Sache anzugreifen, folgte zunächst eine wichtige
Entdeckung. Die Quelle der Kraft, womit zwei Elektrizitätspunkte sich an¬
ziehen, liegt nach Faraday nicht in, sondern zwischen ihnen. Er mußte sich
also die Frage vorlegen: Bleibt die Kraft unverändert, wenn man einen andern
Körper zwischen die Punkte bringt? Mit andern Worten: ziehen sich zwei
elektrisch geladene Körper unter übrigens ganz gleichen Umständen eben so
stark an, wenn man sie etwa in Terpentinöl bringt, als wenn Luft zwischen


Die Fortpflanzung elektrischer Kräfte

sagen, was wir nicht begründen können, mit einem möglichst farblosen Namen
belegen; es soll das „Medium" heißen. Denkt man einmal an das Vor¬
handensein eines solchen Mediums, so sieht man, daß es zwei Wege giebt,
elektrische Erscheinungen zu erforschen. Sie lassen sich um dem Beispiel der
beiden Steine leicht klar machen. Sind einem Phhysiker zwei durch eine
elastische Schnur verbundene Steine gegeben, so kann er auf zweierlei Weise
ihr Verhalten studiren; entweder er beobachtet die Steine, oder er beobachtet
die Schnur. Im ersten Falle findet er das Gesetz, wonach sich die Steine
scheinbar anziehen, wenn sie von einander entfernt werden; bei guter Beobach¬
tung wird das GeseK vollkommen richtig sein. Im zweiten Falle findet er,
wenn er wieder richtig beobachtet, offenbar dasselbe Gesetz für die Bewegung
der Steine, aber nebenbei lernt er auch das Verhalten der Schnur kennen,
findet den Begriff der Elastizität und somit eine wertvolle Erweiterung seiner
Kenntnis. Ganz ähnlich steht es um die Elektrizität. Entweder der Physiker
betrachtet bloß die ihm gegebenen, durch ihre Wirkungen gekennzeichneten Elek-
trizitätspnnkte; dann findet er das Gesetz, wonach die Elektrizitäten einander
anziehen, und wenn er hinreichend gut beobachtet, wird dies Gesetz die Er¬
scheinungen erklären, die er in seinen Apparaten wahrnimmt. Oder er betrachtet
das zwischen den Punkten befindliche Medium und wirft die Frage auf: Wie
muß dieses Medium beschaffen sein, und wie wirkt es auf die Elektrizitäts-
puukte? Gelingt es ihm, diese Frage zu beantworten, so erhält er gleichfalls
das Gesetz, wonach sich die Elektrizitätspnnkte bewegen, nebenbei erhält er
aber anch Kenntnis von den Eigenschaften des Mediums, also etwas, was bei
der ersten Methode nicht zu erzielen ist

Es war Faradah, der die zweite Betrachtungsweise seinen Untersuchungen
zu Grunde legte. Er dachte sich, daß das Medium zwischen zwei elektrischen
Punkten in einer eigentümlichen Spannung sei, und daß diese Spannung die
Punkte zu einander hintreibe. Er suchte den Spannungszustand des Mediums
vorstellbar zu machen, indem er annahm, jeder elektrische Punkt strahle „Kraft¬
linien" aus, die im Medium verlaufen. Näher darauf einzugehen ist hier
nicht der Ort; es genüge, zu bemerken, daß die Fciraday'schen Kraftlinien sich
als ein ünßerst bequemes mathematisches Hilfsmittel bewährt haben, das für
sich allein beinahe so viel leistet wie eine ganze Anziehnngstheorie, und daß
sie eben deswegen schon lange bei den Technikern in Gebrauch gekommen sind.

Aus Faradah's Art, die Sache anzugreifen, folgte zunächst eine wichtige
Entdeckung. Die Quelle der Kraft, womit zwei Elektrizitätspunkte sich an¬
ziehen, liegt nach Faraday nicht in, sondern zwischen ihnen. Er mußte sich
also die Frage vorlegen: Bleibt die Kraft unverändert, wenn man einen andern
Körper zwischen die Punkte bringt? Mit andern Worten: ziehen sich zwei
elektrisch geladene Körper unter übrigens ganz gleichen Umständen eben so
stark an, wenn man sie etwa in Terpentinöl bringt, als wenn Luft zwischen


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[0031] Die Fortpflanzung elektrischer Kräfte sagen, was wir nicht begründen können, mit einem möglichst farblosen Namen belegen; es soll das „Medium" heißen. Denkt man einmal an das Vor¬ handensein eines solchen Mediums, so sieht man, daß es zwei Wege giebt, elektrische Erscheinungen zu erforschen. Sie lassen sich um dem Beispiel der beiden Steine leicht klar machen. Sind einem Phhysiker zwei durch eine elastische Schnur verbundene Steine gegeben, so kann er auf zweierlei Weise ihr Verhalten studiren; entweder er beobachtet die Steine, oder er beobachtet die Schnur. Im ersten Falle findet er das Gesetz, wonach sich die Steine scheinbar anziehen, wenn sie von einander entfernt werden; bei guter Beobach¬ tung wird das GeseK vollkommen richtig sein. Im zweiten Falle findet er, wenn er wieder richtig beobachtet, offenbar dasselbe Gesetz für die Bewegung der Steine, aber nebenbei lernt er auch das Verhalten der Schnur kennen, findet den Begriff der Elastizität und somit eine wertvolle Erweiterung seiner Kenntnis. Ganz ähnlich steht es um die Elektrizität. Entweder der Physiker betrachtet bloß die ihm gegebenen, durch ihre Wirkungen gekennzeichneten Elek- trizitätspnnkte; dann findet er das Gesetz, wonach die Elektrizitäten einander anziehen, und wenn er hinreichend gut beobachtet, wird dies Gesetz die Er¬ scheinungen erklären, die er in seinen Apparaten wahrnimmt. Oder er betrachtet das zwischen den Punkten befindliche Medium und wirft die Frage auf: Wie muß dieses Medium beschaffen sein, und wie wirkt es auf die Elektrizitäts- puukte? Gelingt es ihm, diese Frage zu beantworten, so erhält er gleichfalls das Gesetz, wonach sich die Elektrizitätspnnkte bewegen, nebenbei erhält er aber anch Kenntnis von den Eigenschaften des Mediums, also etwas, was bei der ersten Methode nicht zu erzielen ist Es war Faradah, der die zweite Betrachtungsweise seinen Untersuchungen zu Grunde legte. Er dachte sich, daß das Medium zwischen zwei elektrischen Punkten in einer eigentümlichen Spannung sei, und daß diese Spannung die Punkte zu einander hintreibe. Er suchte den Spannungszustand des Mediums vorstellbar zu machen, indem er annahm, jeder elektrische Punkt strahle „Kraft¬ linien" aus, die im Medium verlaufen. Näher darauf einzugehen ist hier nicht der Ort; es genüge, zu bemerken, daß die Fciraday'schen Kraftlinien sich als ein ünßerst bequemes mathematisches Hilfsmittel bewährt haben, das für sich allein beinahe so viel leistet wie eine ganze Anziehnngstheorie, und daß sie eben deswegen schon lange bei den Technikern in Gebrauch gekommen sind. Aus Faradah's Art, die Sache anzugreifen, folgte zunächst eine wichtige Entdeckung. Die Quelle der Kraft, womit zwei Elektrizitätspunkte sich an¬ ziehen, liegt nach Faraday nicht in, sondern zwischen ihnen. Er mußte sich also die Frage vorlegen: Bleibt die Kraft unverändert, wenn man einen andern Körper zwischen die Punkte bringt? Mit andern Worten: ziehen sich zwei elektrisch geladene Körper unter übrigens ganz gleichen Umständen eben so stark an, wenn man sie etwa in Terpentinöl bringt, als wenn Luft zwischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/31>, abgerufen am 05.02.2025.