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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Die Fortpflanzung elektrischer Kräfte

heute können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß die von ihnen aufge¬
stellten Gesetze nicht genügen. Andre Physiker, wie Ampvrc, F. Neumann und
Helmholtz, hielten sich überhaupt von dem Bestreben fern, die Wirkung der
elektrischen Ströme aus der Bewegung der Elektrizitätspnnkte erklären zu
wollen, und gingen nur darauf aus, die bekannten Erscheinungen durch mathe¬
matisch bequeme Gesetze für die Kraft eines sehr kleinen Stromteilchens aus¬
zudrücken; dabei gewannen sie sehr brauchbare Formeln, aber sie verzichteten
von vornherein auf ein tieferes Eindringen in das Wesen des Stroms. So
ging die wachsende Erkenntnis auf dem Kontinente mehr in die Breite als
in die Tiefe; man lernte die bekannten Erscheinungen in immer weiterer Aus¬
dehnung beherrschen, aber man kam dem Wesen der elektrodynamischen Vorgänge
nicht näher.

Der Anstoß dazu sollte von einer ganz andern Seite ausgehen, nämlich
von einer im Grunde philosophischen Idee Faraday's. Man denke sich zwei
Elektrizitätsteilchen, die etwa einen Meter weit auseinnnderliegen. Sie ziehe"
sich an (oder stoßen sich ab; wir sprechen von jetzt ab nur vou Anziehung,
wobei der Leser jedesmal ergänzen möge, daß auch Abstoßung an die Stelle
der Anziehung treten kann).

Die Thatsache der Anziehung steht fest, selbst wenn das Gesetz, nach dem
sie erfolgt, nicht bekannt sein sollte. Es ist nun aber schwer zu begreifen,
wie zwei Teilchen, die sich in irgend einer Entfernung von einander befinden,
mit Kräften auf einander wirken sollen, wenn nicht etwas zwischen ihnen ist,
was diese Wirkung vermittelt. Die Frage, ob eine unmittelbare Kraftwirtnng
in die Ferne überhaupt möglich sei, ist fast so alt, wie die Naturphilosophie:
schou die griechischen Atomisten ließen ihre Atome einander mit Häckchen fest¬
halten, um der Annahme einer Wirkung in die Ferne zu entgehen. Wenn
wir zwei Steine durch eine Kautschukschnur miteinander verknüpfen und die
Schnur anspannen, so streben die Steine zu einander hin. Könnten wir die
Schnur nicht sehen, so würden wir wohl sagen: die Steine ziehen sich an;
da uns das Vorhandensein der Schnur nicht entgeht, suchen wir die Kraft,
die die Steine bewegt, in der Schnur und schließen aus ihr ans eine Eigen¬
schaft der letztern; die Schnur ist elastisch. Zwei Elektrizitätspuukte werde",
ganz wie jene Steine, zu einander hingetrieben; wir werden zu schließen haben,
daß anch zwischen ihnen ein elastisches Etwas, freilich unsichtbar, vorhanden sei,
welches ihre Bewegung veranlaßt. Dieses Etwas ist überall vorhanden, denn
die Elektrizitäten ziehen sich überall um; es ist nicht die Luft oder ein andrer
materieller Körper, denn die elektrische Anziehung bleibt auch in möglichst
leerem Raume bestehen. Es ist nicht unmittelbar wahrzunehmen, aber es muß
doch, selbst in dem vollkommen luftleeren Raume der Luftpumpe, vorhanden sein,
sonst wäre die Anziehung ein unbegreifliches Wunder. Wir wollen dieses
Etwas, das die Anziehung vermittelt, vorläufig, um nichts darüber aufzu-


Die Fortpflanzung elektrischer Kräfte

heute können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß die von ihnen aufge¬
stellten Gesetze nicht genügen. Andre Physiker, wie Ampvrc, F. Neumann und
Helmholtz, hielten sich überhaupt von dem Bestreben fern, die Wirkung der
elektrischen Ströme aus der Bewegung der Elektrizitätspnnkte erklären zu
wollen, und gingen nur darauf aus, die bekannten Erscheinungen durch mathe¬
matisch bequeme Gesetze für die Kraft eines sehr kleinen Stromteilchens aus¬
zudrücken; dabei gewannen sie sehr brauchbare Formeln, aber sie verzichteten
von vornherein auf ein tieferes Eindringen in das Wesen des Stroms. So
ging die wachsende Erkenntnis auf dem Kontinente mehr in die Breite als
in die Tiefe; man lernte die bekannten Erscheinungen in immer weiterer Aus¬
dehnung beherrschen, aber man kam dem Wesen der elektrodynamischen Vorgänge
nicht näher.

Der Anstoß dazu sollte von einer ganz andern Seite ausgehen, nämlich
von einer im Grunde philosophischen Idee Faraday's. Man denke sich zwei
Elektrizitätsteilchen, die etwa einen Meter weit auseinnnderliegen. Sie ziehe»
sich an (oder stoßen sich ab; wir sprechen von jetzt ab nur vou Anziehung,
wobei der Leser jedesmal ergänzen möge, daß auch Abstoßung an die Stelle
der Anziehung treten kann).

Die Thatsache der Anziehung steht fest, selbst wenn das Gesetz, nach dem
sie erfolgt, nicht bekannt sein sollte. Es ist nun aber schwer zu begreifen,
wie zwei Teilchen, die sich in irgend einer Entfernung von einander befinden,
mit Kräften auf einander wirken sollen, wenn nicht etwas zwischen ihnen ist,
was diese Wirkung vermittelt. Die Frage, ob eine unmittelbare Kraftwirtnng
in die Ferne überhaupt möglich sei, ist fast so alt, wie die Naturphilosophie:
schou die griechischen Atomisten ließen ihre Atome einander mit Häckchen fest¬
halten, um der Annahme einer Wirkung in die Ferne zu entgehen. Wenn
wir zwei Steine durch eine Kautschukschnur miteinander verknüpfen und die
Schnur anspannen, so streben die Steine zu einander hin. Könnten wir die
Schnur nicht sehen, so würden wir wohl sagen: die Steine ziehen sich an;
da uns das Vorhandensein der Schnur nicht entgeht, suchen wir die Kraft,
die die Steine bewegt, in der Schnur und schließen aus ihr ans eine Eigen¬
schaft der letztern; die Schnur ist elastisch. Zwei Elektrizitätspuukte werde»,
ganz wie jene Steine, zu einander hingetrieben; wir werden zu schließen haben,
daß anch zwischen ihnen ein elastisches Etwas, freilich unsichtbar, vorhanden sei,
welches ihre Bewegung veranlaßt. Dieses Etwas ist überall vorhanden, denn
die Elektrizitäten ziehen sich überall um; es ist nicht die Luft oder ein andrer
materieller Körper, denn die elektrische Anziehung bleibt auch in möglichst
leerem Raume bestehen. Es ist nicht unmittelbar wahrzunehmen, aber es muß
doch, selbst in dem vollkommen luftleeren Raume der Luftpumpe, vorhanden sein,
sonst wäre die Anziehung ein unbegreifliches Wunder. Wir wollen dieses
Etwas, das die Anziehung vermittelt, vorläufig, um nichts darüber aufzu-


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[0030] Die Fortpflanzung elektrischer Kräfte heute können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß die von ihnen aufge¬ stellten Gesetze nicht genügen. Andre Physiker, wie Ampvrc, F. Neumann und Helmholtz, hielten sich überhaupt von dem Bestreben fern, die Wirkung der elektrischen Ströme aus der Bewegung der Elektrizitätspnnkte erklären zu wollen, und gingen nur darauf aus, die bekannten Erscheinungen durch mathe¬ matisch bequeme Gesetze für die Kraft eines sehr kleinen Stromteilchens aus¬ zudrücken; dabei gewannen sie sehr brauchbare Formeln, aber sie verzichteten von vornherein auf ein tieferes Eindringen in das Wesen des Stroms. So ging die wachsende Erkenntnis auf dem Kontinente mehr in die Breite als in die Tiefe; man lernte die bekannten Erscheinungen in immer weiterer Aus¬ dehnung beherrschen, aber man kam dem Wesen der elektrodynamischen Vorgänge nicht näher. Der Anstoß dazu sollte von einer ganz andern Seite ausgehen, nämlich von einer im Grunde philosophischen Idee Faraday's. Man denke sich zwei Elektrizitätsteilchen, die etwa einen Meter weit auseinnnderliegen. Sie ziehe» sich an (oder stoßen sich ab; wir sprechen von jetzt ab nur vou Anziehung, wobei der Leser jedesmal ergänzen möge, daß auch Abstoßung an die Stelle der Anziehung treten kann). Die Thatsache der Anziehung steht fest, selbst wenn das Gesetz, nach dem sie erfolgt, nicht bekannt sein sollte. Es ist nun aber schwer zu begreifen, wie zwei Teilchen, die sich in irgend einer Entfernung von einander befinden, mit Kräften auf einander wirken sollen, wenn nicht etwas zwischen ihnen ist, was diese Wirkung vermittelt. Die Frage, ob eine unmittelbare Kraftwirtnng in die Ferne überhaupt möglich sei, ist fast so alt, wie die Naturphilosophie: schou die griechischen Atomisten ließen ihre Atome einander mit Häckchen fest¬ halten, um der Annahme einer Wirkung in die Ferne zu entgehen. Wenn wir zwei Steine durch eine Kautschukschnur miteinander verknüpfen und die Schnur anspannen, so streben die Steine zu einander hin. Könnten wir die Schnur nicht sehen, so würden wir wohl sagen: die Steine ziehen sich an; da uns das Vorhandensein der Schnur nicht entgeht, suchen wir die Kraft, die die Steine bewegt, in der Schnur und schließen aus ihr ans eine Eigen¬ schaft der letztern; die Schnur ist elastisch. Zwei Elektrizitätspuukte werde», ganz wie jene Steine, zu einander hingetrieben; wir werden zu schließen haben, daß anch zwischen ihnen ein elastisches Etwas, freilich unsichtbar, vorhanden sei, welches ihre Bewegung veranlaßt. Dieses Etwas ist überall vorhanden, denn die Elektrizitäten ziehen sich überall um; es ist nicht die Luft oder ein andrer materieller Körper, denn die elektrische Anziehung bleibt auch in möglichst leerem Raume bestehen. Es ist nicht unmittelbar wahrzunehmen, aber es muß doch, selbst in dem vollkommen luftleeren Raume der Luftpumpe, vorhanden sein, sonst wäre die Anziehung ein unbegreifliches Wunder. Wir wollen dieses Etwas, das die Anziehung vermittelt, vorläufig, um nichts darüber aufzu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/30>, abgerufen am 05.02.2025.