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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Die Fortpflanzung elektrischer Kräfte

geringer Größe gebracht wird. Dabei verläuft die elektrische Schwingung so
schnell, in Bruchteilen von einer Milliontel Sekunde, daß die rohe Beobachtung
nichts von ihr wahrnimmt; untersucht man einen Draht eine Tausendstel Se¬
kunde, nachdem ein Funke ans ihn übergegangen ist, so ist die Schwingung
längst vorüber, und mau findet nnr die aufgesprungene Ladung im Gleich¬
gewicht und in Ruhe. Trotzdem hat man Mittel gefunden, die Schwingungen
zu beobachten. Man unterbricht den Draht um einer Stelle; dann geht die
Elektrizitätsbewegung in Form eines Funkens über die Unterbrechung. Betrachtet
man diesen Funken w einem schnell rotirenden Spiegel, so sieht man, daß er
aus abwechselnden, entgegengesetzt gerichteten Teilfunken besteht, also man sieht,
daß die Elektrizität sich hin und her bewegt.

Die elektrische Schwingung hat eine eigentümliche Wirkung, an der sie
erkannt werdeu kaum Bringt man in ihre Nähe einen neutralen Draht, so
erregt sie in diesem eine sekundäre Schwingung; mau nennt diesen Vorgang
Induktion, und die Schwingung, die in einem Draht durch eine benachbarte
Schwingung erregt wird, heißt induzirt. Ist im ersten Drahte X eine Schwin¬
gung vorhanden, und befindet sich in seinem Wirkungskreise ein zweiter Draht
V, so füugt auch in diesem die Elektrizität zu schwingen an. Biegt man ^
zu einem Kreise zusammen, so daß zwischen seinen Enden noch ein kleiner
Zwischenraum bleibt, so sieht man das Auftreten der Schwingung in? daran,
daß in dein Zwischenraum ein Fünkchen erscheint. Ein solcher Drahtkreis ist
daher ein bequemes Mittel, die Induktion zu studiren.

In all den hier erwähnten Erscheinungsformen, Ladung, Durchströmung,
Schwingung und Induktion, wirken elektrische Teilchen mit Kräfte" auf andre,
mehr oder weniger entfernte Teilchen. Die Physiker unterzogen sich nun zu-
znnächst der Aufgabe, diese Kräfte messend zu bestimmen. Für ruhende
Ladungen lieferte Coulomb 1785 bis 89 das Gesetz; es lautet: Gleichnamige
Elektrizitätsteilchen stoßen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an, beides nach
demselben Gesetze, wonach die Weltkörper einander anziehen. (Mnltiplizirt man
die Menge des einen Teilchens mit der Menge des andern und dividirt man
das Produkt zweimal nach einander durch ihre Entfernung, so hat man die
Kraft, womit sie auf einander wirken.) Die Wissenschaft hat aus diesem Satze
eine lange Reihe von Folgerungen gezogen, darunter einige, die sich außer¬
ordentlich fein kvntroliren lassen, und sie sind alle dnrch die Beobachtung be¬
stätigt wordeu. Coulombs Gesetz steht infolge dessen so sicher da, wie kaum
ein andrer Satz der Physik. Die Strömungserscheinungeu und die eigentüm¬
lichen Wirkungen, die aus ihnen hervorgehen, lassen sich aber dahin deuten,
daß bewegte Elektrizitätsteilchen andre Kräfte ausüben als ruhende, und die
Physiker haben sich seit 50 Jahren bemüht, das Kraftgcsetz für bewegte Elek¬
trizitätsteilchen zu finden. Drei der größten Forscher haben ihren Scharfsinn
nuf diese Aufgabe verwendet, Wilhelm Weber, Riemann und Clausius, und


Die Fortpflanzung elektrischer Kräfte

geringer Größe gebracht wird. Dabei verläuft die elektrische Schwingung so
schnell, in Bruchteilen von einer Milliontel Sekunde, daß die rohe Beobachtung
nichts von ihr wahrnimmt; untersucht man einen Draht eine Tausendstel Se¬
kunde, nachdem ein Funke ans ihn übergegangen ist, so ist die Schwingung
längst vorüber, und mau findet nnr die aufgesprungene Ladung im Gleich¬
gewicht und in Ruhe. Trotzdem hat man Mittel gefunden, die Schwingungen
zu beobachten. Man unterbricht den Draht um einer Stelle; dann geht die
Elektrizitätsbewegung in Form eines Funkens über die Unterbrechung. Betrachtet
man diesen Funken w einem schnell rotirenden Spiegel, so sieht man, daß er
aus abwechselnden, entgegengesetzt gerichteten Teilfunken besteht, also man sieht,
daß die Elektrizität sich hin und her bewegt.

Die elektrische Schwingung hat eine eigentümliche Wirkung, an der sie
erkannt werdeu kaum Bringt man in ihre Nähe einen neutralen Draht, so
erregt sie in diesem eine sekundäre Schwingung; mau nennt diesen Vorgang
Induktion, und die Schwingung, die in einem Draht durch eine benachbarte
Schwingung erregt wird, heißt induzirt. Ist im ersten Drahte X eine Schwin¬
gung vorhanden, und befindet sich in seinem Wirkungskreise ein zweiter Draht
V, so füugt auch in diesem die Elektrizität zu schwingen an. Biegt man ^
zu einem Kreise zusammen, so daß zwischen seinen Enden noch ein kleiner
Zwischenraum bleibt, so sieht man das Auftreten der Schwingung in? daran,
daß in dein Zwischenraum ein Fünkchen erscheint. Ein solcher Drahtkreis ist
daher ein bequemes Mittel, die Induktion zu studiren.

In all den hier erwähnten Erscheinungsformen, Ladung, Durchströmung,
Schwingung und Induktion, wirken elektrische Teilchen mit Kräfte» auf andre,
mehr oder weniger entfernte Teilchen. Die Physiker unterzogen sich nun zu-
znnächst der Aufgabe, diese Kräfte messend zu bestimmen. Für ruhende
Ladungen lieferte Coulomb 1785 bis 89 das Gesetz; es lautet: Gleichnamige
Elektrizitätsteilchen stoßen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an, beides nach
demselben Gesetze, wonach die Weltkörper einander anziehen. (Mnltiplizirt man
die Menge des einen Teilchens mit der Menge des andern und dividirt man
das Produkt zweimal nach einander durch ihre Entfernung, so hat man die
Kraft, womit sie auf einander wirken.) Die Wissenschaft hat aus diesem Satze
eine lange Reihe von Folgerungen gezogen, darunter einige, die sich außer¬
ordentlich fein kvntroliren lassen, und sie sind alle dnrch die Beobachtung be¬
stätigt wordeu. Coulombs Gesetz steht infolge dessen so sicher da, wie kaum
ein andrer Satz der Physik. Die Strömungserscheinungeu und die eigentüm¬
lichen Wirkungen, die aus ihnen hervorgehen, lassen sich aber dahin deuten,
daß bewegte Elektrizitätsteilchen andre Kräfte ausüben als ruhende, und die
Physiker haben sich seit 50 Jahren bemüht, das Kraftgcsetz für bewegte Elek¬
trizitätsteilchen zu finden. Drei der größten Forscher haben ihren Scharfsinn
nuf diese Aufgabe verwendet, Wilhelm Weber, Riemann und Clausius, und


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[0029] Die Fortpflanzung elektrischer Kräfte geringer Größe gebracht wird. Dabei verläuft die elektrische Schwingung so schnell, in Bruchteilen von einer Milliontel Sekunde, daß die rohe Beobachtung nichts von ihr wahrnimmt; untersucht man einen Draht eine Tausendstel Se¬ kunde, nachdem ein Funke ans ihn übergegangen ist, so ist die Schwingung längst vorüber, und mau findet nnr die aufgesprungene Ladung im Gleich¬ gewicht und in Ruhe. Trotzdem hat man Mittel gefunden, die Schwingungen zu beobachten. Man unterbricht den Draht um einer Stelle; dann geht die Elektrizitätsbewegung in Form eines Funkens über die Unterbrechung. Betrachtet man diesen Funken w einem schnell rotirenden Spiegel, so sieht man, daß er aus abwechselnden, entgegengesetzt gerichteten Teilfunken besteht, also man sieht, daß die Elektrizität sich hin und her bewegt. Die elektrische Schwingung hat eine eigentümliche Wirkung, an der sie erkannt werdeu kaum Bringt man in ihre Nähe einen neutralen Draht, so erregt sie in diesem eine sekundäre Schwingung; mau nennt diesen Vorgang Induktion, und die Schwingung, die in einem Draht durch eine benachbarte Schwingung erregt wird, heißt induzirt. Ist im ersten Drahte X eine Schwin¬ gung vorhanden, und befindet sich in seinem Wirkungskreise ein zweiter Draht V, so füugt auch in diesem die Elektrizität zu schwingen an. Biegt man ^ zu einem Kreise zusammen, so daß zwischen seinen Enden noch ein kleiner Zwischenraum bleibt, so sieht man das Auftreten der Schwingung in? daran, daß in dein Zwischenraum ein Fünkchen erscheint. Ein solcher Drahtkreis ist daher ein bequemes Mittel, die Induktion zu studiren. In all den hier erwähnten Erscheinungsformen, Ladung, Durchströmung, Schwingung und Induktion, wirken elektrische Teilchen mit Kräfte» auf andre, mehr oder weniger entfernte Teilchen. Die Physiker unterzogen sich nun zu- znnächst der Aufgabe, diese Kräfte messend zu bestimmen. Für ruhende Ladungen lieferte Coulomb 1785 bis 89 das Gesetz; es lautet: Gleichnamige Elektrizitätsteilchen stoßen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an, beides nach demselben Gesetze, wonach die Weltkörper einander anziehen. (Mnltiplizirt man die Menge des einen Teilchens mit der Menge des andern und dividirt man das Produkt zweimal nach einander durch ihre Entfernung, so hat man die Kraft, womit sie auf einander wirken.) Die Wissenschaft hat aus diesem Satze eine lange Reihe von Folgerungen gezogen, darunter einige, die sich außer¬ ordentlich fein kvntroliren lassen, und sie sind alle dnrch die Beobachtung be¬ stätigt wordeu. Coulombs Gesetz steht infolge dessen so sicher da, wie kaum ein andrer Satz der Physik. Die Strömungserscheinungeu und die eigentüm¬ lichen Wirkungen, die aus ihnen hervorgehen, lassen sich aber dahin deuten, daß bewegte Elektrizitätsteilchen andre Kräfte ausüben als ruhende, und die Physiker haben sich seit 50 Jahren bemüht, das Kraftgcsetz für bewegte Elek¬ trizitätsteilchen zu finden. Drei der größten Forscher haben ihren Scharfsinn nuf diese Aufgabe verwendet, Wilhelm Weber, Riemann und Clausius, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/29>, abgerufen am 05.02.2025.