Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.wiener Litteratur gewesen ist. Karlweis liebäugelt überhaupt zu sehr mit dem Naturalismus; In die Wiener Litteratur gehören auch die "Erzählungen aus dem mo¬ Die bedeutendsten Geschichten von den neuen Erzählungen des Bandes wiener Litteratur gewesen ist. Karlweis liebäugelt überhaupt zu sehr mit dem Naturalismus; In die Wiener Litteratur gehören auch die „Erzählungen aus dem mo¬ Die bedeutendsten Geschichten von den neuen Erzählungen des Bandes <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0235" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204966"/> <fw type="header" place="top"> wiener Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_612" prev="#ID_611"> gewesen ist. Karlweis liebäugelt überhaupt zu sehr mit dem Naturalismus;<lb/> er hat eine beklagenswerte Vorliebe für sittlich häßliche Motive. Sinnliche<lb/> Liebe zwischen Geschwistern in der „Fenerlicsl"; im „Grvßknecht" liebt der<lb/> Knecht, schurkischer Weise aufs Erbe speknlirend, Stiefmutter und Tochter;<lb/> eine häßliche Geschichte aus der Hefe des Volkes, wenn auch in gelungener<lb/> Form, erzählt der „bucklige Christl"; häßlich ist auch die Frivolität des „Maha¬<lb/> gonitischs," obgleich auch hier die Form gut ist. Aber alle diese naturalistischen<lb/> Neigungen stehen der wohlwollenden, ausschließlich zur harmlosen Anmut an¬<lb/> gelegten Natur dieses Schriftstellers fremd zu Gesichte. Im Grunde macht er<lb/> damit uur äußerlich eine Mode mit, wie vorher mit seinen kraftlosen Dorf¬<lb/> geschichten. Es fehlt ihm der pessimistische Zorn, das Pathos der Satire, der<lb/> Entrüstung, und lächelnd häßliche Geschichten zu erzählen, dünkt uns doch<lb/> etwas zu — französisch. Am wahrsten erscheint er uns in der Geschichte<lb/> „Grüne Liebe," wo er sich mit elegischem Humor an Jngcndthorheiten er¬<lb/> innert nud als guter Kenner Wiens, selbst ein echter Wiener, heimische Ju¬<lb/> gend poetisch schildert; ebenso freundlich wirken die Geschichten „Sei g'sehen,"<lb/> „Der Gamsersepp." Absichtslose Anmut, die bald rührt, bald lächelt, das ist<lb/> Kcirlweis' eigentlicher Stil, den er nur unbeirrt vom Beispiel andrer aus¬<lb/> zubilden hat, um eigentümlich dazustehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_613"> In die Wiener Litteratur gehören auch die „Erzählungen aus dem mo¬<lb/> dernen Ägypten": Haschisch von Otto Fuchs-Talab (Dresden, Pierson, 1880),<lb/> weil der Verfasser ein Wiener und auch in Wien litterarisch thätig ist. Wie<lb/> so viele Wiener Maler, ist er auch »ach Ägypten, Kairo, Alexnndrien, an den<lb/> Rand der Wüste Sahara gezogen, nicht um dort Licht zu saugen, sondern um<lb/> sich erzählenswerte Stoffe zu holen. Dabei hat er in jeder Beziehung einen<lb/> guten Geschmack bewiesen. Weder ist er in den Fehler so vieler Schilderer<lb/> verfallen, durch das schwache Wort mit der leuchtenden Farbe der Maler wett¬<lb/> eifern zu wollen, noch ist er auf den andern Abweg geraten, gelehrte Studien<lb/> in seinen Erzählungen zu verwerten. Mit Recht beschränkt sich Otto Fuchs<lb/> auf das moderne Ägypten, das ihm genügende Ausbeute für seine Erzählungen<lb/> bietet, und er besitzt auch den andern Vorzug gesunder Erzählertalente, den<lb/> Sinn für fesselnde Fabeln. Dabei erzählt er schlicht und zuweilen mich<lb/> stimmungsvoll, ohne sich jedoch zu wirklicher Poesie zu erheben. Seine Mo¬<lb/> tive siiid allerdings sämtlich nur auf ägyptischem Boden entstanden, aber sie<lb/> interessiren an sich selbst, Fuchs hat uicht nötig gehabt, sie durch ausführliche<lb/> Sitten- Und Kulturbilder litterarisch vornehm zu machen. Hierin bekundet sich<lb/> die richtige epische Begabung.</p><lb/> <p xml:id="ID_614" next="#ID_615"> Die bedeutendsten Geschichten von den neuen Erzählungen des Bandes<lb/> sind die erste und die letzte. „Der Anwalt des Volkes" führt uus das Leben<lb/> eines echt modern ägyptischen Charakters vor. Anis Klat ist der Sohn eines<lb/> reichen christlichen Syrers. Von seinem ehrgeizigen Vater nach Paris zum</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0235]
wiener Litteratur
gewesen ist. Karlweis liebäugelt überhaupt zu sehr mit dem Naturalismus;
er hat eine beklagenswerte Vorliebe für sittlich häßliche Motive. Sinnliche
Liebe zwischen Geschwistern in der „Fenerlicsl"; im „Grvßknecht" liebt der
Knecht, schurkischer Weise aufs Erbe speknlirend, Stiefmutter und Tochter;
eine häßliche Geschichte aus der Hefe des Volkes, wenn auch in gelungener
Form, erzählt der „bucklige Christl"; häßlich ist auch die Frivolität des „Maha¬
gonitischs," obgleich auch hier die Form gut ist. Aber alle diese naturalistischen
Neigungen stehen der wohlwollenden, ausschließlich zur harmlosen Anmut an¬
gelegten Natur dieses Schriftstellers fremd zu Gesichte. Im Grunde macht er
damit uur äußerlich eine Mode mit, wie vorher mit seinen kraftlosen Dorf¬
geschichten. Es fehlt ihm der pessimistische Zorn, das Pathos der Satire, der
Entrüstung, und lächelnd häßliche Geschichten zu erzählen, dünkt uns doch
etwas zu — französisch. Am wahrsten erscheint er uns in der Geschichte
„Grüne Liebe," wo er sich mit elegischem Humor an Jngcndthorheiten er¬
innert nud als guter Kenner Wiens, selbst ein echter Wiener, heimische Ju¬
gend poetisch schildert; ebenso freundlich wirken die Geschichten „Sei g'sehen,"
„Der Gamsersepp." Absichtslose Anmut, die bald rührt, bald lächelt, das ist
Kcirlweis' eigentlicher Stil, den er nur unbeirrt vom Beispiel andrer aus¬
zubilden hat, um eigentümlich dazustehn.
In die Wiener Litteratur gehören auch die „Erzählungen aus dem mo¬
dernen Ägypten": Haschisch von Otto Fuchs-Talab (Dresden, Pierson, 1880),
weil der Verfasser ein Wiener und auch in Wien litterarisch thätig ist. Wie
so viele Wiener Maler, ist er auch »ach Ägypten, Kairo, Alexnndrien, an den
Rand der Wüste Sahara gezogen, nicht um dort Licht zu saugen, sondern um
sich erzählenswerte Stoffe zu holen. Dabei hat er in jeder Beziehung einen
guten Geschmack bewiesen. Weder ist er in den Fehler so vieler Schilderer
verfallen, durch das schwache Wort mit der leuchtenden Farbe der Maler wett¬
eifern zu wollen, noch ist er auf den andern Abweg geraten, gelehrte Studien
in seinen Erzählungen zu verwerten. Mit Recht beschränkt sich Otto Fuchs
auf das moderne Ägypten, das ihm genügende Ausbeute für seine Erzählungen
bietet, und er besitzt auch den andern Vorzug gesunder Erzählertalente, den
Sinn für fesselnde Fabeln. Dabei erzählt er schlicht und zuweilen mich
stimmungsvoll, ohne sich jedoch zu wirklicher Poesie zu erheben. Seine Mo¬
tive siiid allerdings sämtlich nur auf ägyptischem Boden entstanden, aber sie
interessiren an sich selbst, Fuchs hat uicht nötig gehabt, sie durch ausführliche
Sitten- Und Kulturbilder litterarisch vornehm zu machen. Hierin bekundet sich
die richtige epische Begabung.
Die bedeutendsten Geschichten von den neuen Erzählungen des Bandes
sind die erste und die letzte. „Der Anwalt des Volkes" führt uus das Leben
eines echt modern ägyptischen Charakters vor. Anis Klat ist der Sohn eines
reichen christlichen Syrers. Von seinem ehrgeizigen Vater nach Paris zum
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