Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Der alte Bismarck glattabgeschnitteucs Haar, daß über dein Rockkragen zwei Hand breit das feiste, Ich spreche mit Absicht so ungenirt vou Richters Äußern. Es ist das Richter ist in einer ernsteren Bedeutung als in dem gewöhnliche:: bürger¬ Niemals aber werde ich das häßliche Lächeln vergessen, mit dem Eugen Der alte Bismarck glattabgeschnitteucs Haar, daß über dein Rockkragen zwei Hand breit das feiste, Ich spreche mit Absicht so ungenirt vou Richters Äußern. Es ist das Richter ist in einer ernsteren Bedeutung als in dem gewöhnliche:: bürger¬ Niemals aber werde ich das häßliche Lächeln vergessen, mit dem Eugen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0205" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204936"/> <fw type="header" place="top"> Der alte Bismarck</fw><lb/> <p xml:id="ID_506" prev="#ID_505"> glattabgeschnitteucs Haar, daß über dein Rockkragen zwei Hand breit das feiste,<lb/> nackte Fleisch des Halses erglänzte. Wie in seinen Reden so hat er auch in<lb/> seinem Äußern nichts, was sich durch künstlerische Linien, durch edlen Schwung<lb/> oder durch attische Feinheit auszeichnete, wie sie sonst der „freiheitlichen"<lb/> Opposition in allen Landen so anreizend eigen zu sein Pflegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_507"> Ich spreche mit Absicht so ungenirt vou Richters Äußern. Es ist das<lb/> notwendiger und nützlicher, als man vielleicht glaubt. Die große Masse der<lb/> Deutschen im Auslande läßt in die Beurteilung der heimischen Politik sehr<lb/> viel ästhetische und rein-gemütliche Empfindungen hineinfließen; in vielen sogar<lb/> erzeugt der Gedanke an das ferne Vaterland poetische Bedürfnisse. Wenn nun<lb/> auch in diesem gesteigerten Gemütsleben um meisten des Kanzlers Eifeugestalt an<lb/> poetischer Größe gewinnt, so hat doch auch Eugen Richter einen Anteil darau.<lb/> Denn in vielen, die mit achtzehn oder zwanzig Jahren zu Richters parlamen¬<lb/> tarischer Glanzzeit aus Deutschland ausgewandert sind, lebt Eugen Richter<lb/> als ein teutonisches Urbild, das zwar nichts von Siegfrieds glanzvoller Er¬<lb/> scheinung hat, aber doch im Anklang an seinen Wahlort Hagen auf manchen<lb/> mit einem nibeluugenhaften Reckenzanber wirkt. Nicht wenig trägt dazu das<lb/> geschmeichelte Bild bei, das von ihm. im Auslande vertrieben wird, auf dem<lb/> er mit leichtgewelltem Haar, mit starker, edler sei.rü, mit schön und mannhaft<lb/> geordnetem Bart, mit freiem und ideal gerichtetem Blick gebildet erscheint. Ich<lb/> freue mich, daß das sinnliche Bild Richters aus diesen gefälschten Jdealliuien<lb/> in die Umrisse feiner natürlichen Zerrgestalt immer mehr zurückgedrängt wird<lb/> durch — deu Kladderadatsch, der überall im Auslande gelesen wird und der<lb/> verdienstvoller, als mau annehmen mag, mit seinen trefflichen Richter-Karika¬<lb/> turen ästhetische Vorempfindnngen zerstören hilft, aus denen sich mit der Zeit<lb/> um ganzen Auslande die Truggestalt eines deutschen Brutus ausgebildet hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_508"> Richter ist in einer ernsteren Bedeutung als in dem gewöhnliche:: bürger¬<lb/> lichen Sinne ein — Junggeselle. „Immer," wie Bismarck einmal sagte,<lb/> »zwischen Häusern und Zeitungen" hockend, lebt er ohne die kräftigende Dis¬<lb/> ziplin der Ehe, des Amtes oder eines schöpferischen Berufes in seinem parla¬<lb/> mentarischen Spinnennetz, losgelöst ans dem lebendigen Zusammenhange mit<lb/> oeutschem Wachstum und den natürlichen Bedürfnissen des großen Wirtschafts¬<lb/> und des kleinen Familienlebens. Wie tief hat Fürst Bismarck im deutschen<lb/> Leben Wurzel gefaßt: als gläubiger Protestant, als Familienoberhaupt, als<lb/> Landwirt und Fabrikherr, als Diplomat und Soldat! Fürwahr, es klingt wie<lb/> eine lustige Ironie, daß sein „fürchterlichster" Gegner ein unverheirateter<lb/> Zeitungsschreiber ist!</p><lb/> <p xml:id="ID_509" next="#ID_510"> Niemals aber werde ich das häßliche Lächeln vergessen, mit dem Eugen<lb/> Richter in Hamburg bei seinem Eintritt in den Versammlungssaal die tausend-<lb/> töpfige, ihm donnernden Beifall zujauchzende Menge überschaute. Es war ein<lb/> Lächeln eitler Selbstbefriedigung, das um so häßlicher wirkte, als ihm doch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0205]
Der alte Bismarck
glattabgeschnitteucs Haar, daß über dein Rockkragen zwei Hand breit das feiste,
nackte Fleisch des Halses erglänzte. Wie in seinen Reden so hat er auch in
seinem Äußern nichts, was sich durch künstlerische Linien, durch edlen Schwung
oder durch attische Feinheit auszeichnete, wie sie sonst der „freiheitlichen"
Opposition in allen Landen so anreizend eigen zu sein Pflegt.
Ich spreche mit Absicht so ungenirt vou Richters Äußern. Es ist das
notwendiger und nützlicher, als man vielleicht glaubt. Die große Masse der
Deutschen im Auslande läßt in die Beurteilung der heimischen Politik sehr
viel ästhetische und rein-gemütliche Empfindungen hineinfließen; in vielen sogar
erzeugt der Gedanke an das ferne Vaterland poetische Bedürfnisse. Wenn nun
auch in diesem gesteigerten Gemütsleben um meisten des Kanzlers Eifeugestalt an
poetischer Größe gewinnt, so hat doch auch Eugen Richter einen Anteil darau.
Denn in vielen, die mit achtzehn oder zwanzig Jahren zu Richters parlamen¬
tarischer Glanzzeit aus Deutschland ausgewandert sind, lebt Eugen Richter
als ein teutonisches Urbild, das zwar nichts von Siegfrieds glanzvoller Er¬
scheinung hat, aber doch im Anklang an seinen Wahlort Hagen auf manchen
mit einem nibeluugenhaften Reckenzanber wirkt. Nicht wenig trägt dazu das
geschmeichelte Bild bei, das von ihm. im Auslande vertrieben wird, auf dem
er mit leichtgewelltem Haar, mit starker, edler sei.rü, mit schön und mannhaft
geordnetem Bart, mit freiem und ideal gerichtetem Blick gebildet erscheint. Ich
freue mich, daß das sinnliche Bild Richters aus diesen gefälschten Jdealliuien
in die Umrisse feiner natürlichen Zerrgestalt immer mehr zurückgedrängt wird
durch — deu Kladderadatsch, der überall im Auslande gelesen wird und der
verdienstvoller, als mau annehmen mag, mit seinen trefflichen Richter-Karika¬
turen ästhetische Vorempfindnngen zerstören hilft, aus denen sich mit der Zeit
um ganzen Auslande die Truggestalt eines deutschen Brutus ausgebildet hatte.
Richter ist in einer ernsteren Bedeutung als in dem gewöhnliche:: bürger¬
lichen Sinne ein — Junggeselle. „Immer," wie Bismarck einmal sagte,
»zwischen Häusern und Zeitungen" hockend, lebt er ohne die kräftigende Dis¬
ziplin der Ehe, des Amtes oder eines schöpferischen Berufes in seinem parla¬
mentarischen Spinnennetz, losgelöst ans dem lebendigen Zusammenhange mit
oeutschem Wachstum und den natürlichen Bedürfnissen des großen Wirtschafts¬
und des kleinen Familienlebens. Wie tief hat Fürst Bismarck im deutschen
Leben Wurzel gefaßt: als gläubiger Protestant, als Familienoberhaupt, als
Landwirt und Fabrikherr, als Diplomat und Soldat! Fürwahr, es klingt wie
eine lustige Ironie, daß sein „fürchterlichster" Gegner ein unverheirateter
Zeitungsschreiber ist!
Niemals aber werde ich das häßliche Lächeln vergessen, mit dem Eugen
Richter in Hamburg bei seinem Eintritt in den Versammlungssaal die tausend-
töpfige, ihm donnernden Beifall zujauchzende Menge überschaute. Es war ein
Lächeln eitler Selbstbefriedigung, das um so häßlicher wirkte, als ihm doch
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