Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Der alte Bismarck Wider in einer tänzerartigen Kreuzuugsstellung grnppirend. Aber wie sehr Bei Herrn Rickert kam. mir unwillkürlich der Gedanke, ob er nicht das Am meisten aber enttäuschte mich Richter. Als er den Saal betrat, hatte Der alte Bismarck Wider in einer tänzerartigen Kreuzuugsstellung grnppirend. Aber wie sehr Bei Herrn Rickert kam. mir unwillkürlich der Gedanke, ob er nicht das Am meisten aber enttäuschte mich Richter. Als er den Saal betrat, hatte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204935"/> <fw type="header" place="top"> Der alte Bismarck</fw><lb/> <p xml:id="ID_503" prev="#ID_502"> Wider in einer tänzerartigen Kreuzuugsstellung grnppirend. Aber wie sehr<lb/> auch seine Beredsamkeit darauf hinauslief, theoretisch erschöpfend und logisch<lb/> überzeugend zu sein, so blieb seine Rede für mich doch unschön und unklar;<lb/> seine Logik hatte nichts von der nackten Kälte des Mathematikers unter den<lb/> Parlamentarier!?, des konkret Angeschliffenen Windthorst. Überall setzte sich an<lb/> das Skelett seiner Gründe, wie ein hausschwaimnnrtiges Gewächs, das auf¬<lb/> gedunsene Fleisch der politischen Phrase. Seine Überzeugungen siud im Kampf<lb/> des wirklichen Lebens nicht genng trainirt; es sitzt ihn? viel zu viel theo¬<lb/> retisches Universalwasser in den Knochen. Herr Hänel schien mir am meisten<lb/> ins österreichische Parlament zu Passen; denn damals litt man — gerade wie<lb/> noch jetzt — in Wien aufs nllcrunglaublichste an oratorischen Blähungen; für<lb/> die dramatisch accentuirte Parlamentsphrase der Franzosen ist Herr Hänel nicht<lb/> pointirt genug; in London ist das Pathos längst dnrch schneidenden Sarkas-<lb/> mus weggebeizt, in Berlin hat Fürst Bismarck eine schlichte Sachsprache an<lb/> die Stelle der deutsch-akademischen Redekünstelei gesetzt; uur in Wien, der<lb/> Metropole der aufgeblähten Mehlspeise, spricht man noch im Stil des Herrn<lb/> Hänel; das sogenannte fortschrittliche Mnnuestum erschien mir bei ihn:, ganz<lb/> ernsthaft gesprochen, in übervollen Wiener Frauenformen. Wien ist ja voll<lb/> jeher das weibliche und weichlich-rundliche Supplement zu dein knochigen, nord¬<lb/> deutschen Laudmannscharnkter gewesen. Indem Herr Hänel aus seinen juristischen<lb/> und staatsrechtlichen Auseinandersetzungen, die er im männlichen Brustton vor¬<lb/> trug, immer wieder in die Fistelstimme eines unechten Pathos umschlug,<lb/> erinnerte er mich an die widernatürliche Gestalt eines „Wiener Damenkomikers,"<lb/> den ich einst in einem exotischen Cafu bewundert hatte. Herr Hänel ist uuter<lb/> den Parlamentariern, was Herr Träger unter den Dichtern ist: innerlich hohl,<lb/> aber mit dem billigen Gold der Gemütsphrase wunderhübsch plvmbirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_504"> Bei Herrn Rickert kam. mir unwillkürlich der Gedanke, ob er nicht das<lb/> zerfallende Ende Lasters teilen würde; er sprach übertreibend, fieberhaft eifernd,<lb/> innerlich so glühend erhitzt, als wenn er unter dein Brennspiegel der Bis-<lb/> marckschen Erfolge seinen eignen Ehrgeiz ohnmächtig in sich zerkochen fühlte.<lb/> Nach seinen letzten Parlamentsreden zu urteilen, bei denen er an den erhabensten<lb/> Stellen von seinen Gegnern grausam ausgelacht wurde, scheint diese Siedehitze<lb/> bereits bis auf einen pathologischen Grad gestiegen zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_505" next="#ID_506"> Am meisten aber enttäuschte mich Richter. Als er den Saal betrat, hatte<lb/> ich die Empfindung, einen echten — Junggesellen vor mir zu sehen. Nichts,<lb/> aber auch nicht das Geringste in seinen Zügen und seinem äußern Gebühren,<lb/> was an die idealisirten Abbildungen gemahnt hätte, die von ihm gefertigt und<lb/> ins Ausland geschwemmt werden! Über breiten, faltenreichen Stiefeln zu kurze<lb/> Hosen, ein in seinen Gewebsteilen aufgeschwollenes Gesicht, ein struppiger,<lb/> formloser Bart, eine celtisch eingekniffene Nase, allzu eng an einander stehende,<lb/> ausdruckslose Augen, am Hinterkopf liniengrade und am Nacken so hoch hinaus</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0204]
Der alte Bismarck
Wider in einer tänzerartigen Kreuzuugsstellung grnppirend. Aber wie sehr
auch seine Beredsamkeit darauf hinauslief, theoretisch erschöpfend und logisch
überzeugend zu sein, so blieb seine Rede für mich doch unschön und unklar;
seine Logik hatte nichts von der nackten Kälte des Mathematikers unter den
Parlamentarier!?, des konkret Angeschliffenen Windthorst. Überall setzte sich an
das Skelett seiner Gründe, wie ein hausschwaimnnrtiges Gewächs, das auf¬
gedunsene Fleisch der politischen Phrase. Seine Überzeugungen siud im Kampf
des wirklichen Lebens nicht genng trainirt; es sitzt ihn? viel zu viel theo¬
retisches Universalwasser in den Knochen. Herr Hänel schien mir am meisten
ins österreichische Parlament zu Passen; denn damals litt man — gerade wie
noch jetzt — in Wien aufs nllcrunglaublichste an oratorischen Blähungen; für
die dramatisch accentuirte Parlamentsphrase der Franzosen ist Herr Hänel nicht
pointirt genug; in London ist das Pathos längst dnrch schneidenden Sarkas-
mus weggebeizt, in Berlin hat Fürst Bismarck eine schlichte Sachsprache an
die Stelle der deutsch-akademischen Redekünstelei gesetzt; uur in Wien, der
Metropole der aufgeblähten Mehlspeise, spricht man noch im Stil des Herrn
Hänel; das sogenannte fortschrittliche Mnnuestum erschien mir bei ihn:, ganz
ernsthaft gesprochen, in übervollen Wiener Frauenformen. Wien ist ja voll
jeher das weibliche und weichlich-rundliche Supplement zu dein knochigen, nord¬
deutschen Laudmannscharnkter gewesen. Indem Herr Hänel aus seinen juristischen
und staatsrechtlichen Auseinandersetzungen, die er im männlichen Brustton vor¬
trug, immer wieder in die Fistelstimme eines unechten Pathos umschlug,
erinnerte er mich an die widernatürliche Gestalt eines „Wiener Damenkomikers,"
den ich einst in einem exotischen Cafu bewundert hatte. Herr Hänel ist uuter
den Parlamentariern, was Herr Träger unter den Dichtern ist: innerlich hohl,
aber mit dem billigen Gold der Gemütsphrase wunderhübsch plvmbirt.
Bei Herrn Rickert kam. mir unwillkürlich der Gedanke, ob er nicht das
zerfallende Ende Lasters teilen würde; er sprach übertreibend, fieberhaft eifernd,
innerlich so glühend erhitzt, als wenn er unter dein Brennspiegel der Bis-
marckschen Erfolge seinen eignen Ehrgeiz ohnmächtig in sich zerkochen fühlte.
Nach seinen letzten Parlamentsreden zu urteilen, bei denen er an den erhabensten
Stellen von seinen Gegnern grausam ausgelacht wurde, scheint diese Siedehitze
bereits bis auf einen pathologischen Grad gestiegen zu sein.
Am meisten aber enttäuschte mich Richter. Als er den Saal betrat, hatte
ich die Empfindung, einen echten — Junggesellen vor mir zu sehen. Nichts,
aber auch nicht das Geringste in seinen Zügen und seinem äußern Gebühren,
was an die idealisirten Abbildungen gemahnt hätte, die von ihm gefertigt und
ins Ausland geschwemmt werden! Über breiten, faltenreichen Stiefeln zu kurze
Hosen, ein in seinen Gewebsteilen aufgeschwollenes Gesicht, ein struppiger,
formloser Bart, eine celtisch eingekniffene Nase, allzu eng an einander stehende,
ausdruckslose Augen, am Hinterkopf liniengrade und am Nacken so hoch hinaus
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