Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.ein wenig von der Verlegenheit anhaftete, mit der die Vvlksangurn in süßlicher Ich erinnere mich an dieser Stelle des Hamburger Abends ganz be¬ In diesen Worten liegt das ganze unwürdige Fechtsystem gekennzeichnet, ein wenig von der Verlegenheit anhaftete, mit der die Vvlksangurn in süßlicher Ich erinnere mich an dieser Stelle des Hamburger Abends ganz be¬ In diesen Worten liegt das ganze unwürdige Fechtsystem gekennzeichnet, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0206" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204937"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_510" prev="#ID_509"> ein wenig von der Verlegenheit anhaftete, mit der die Vvlksangurn in süßlicher<lb/> Bescheidenheit allzu stürmische Ehrenbezeugungen von sich abzuwehren Pflegen.<lb/> Niemals auch werde ich das satte Behagen vergessen, mit dem er damals von<lb/> der „Schnaps- und Schweinepolitik" des Fürsten Bismarck sprach. Ich dachte<lb/> mir damals schon, daß ein Mann, der in Hamburg, wo in mächtigen Wogen<lb/> das deutsche Leben ins Ausland rollt und wieder ans ihm zurückfindet, in<lb/> solchem Tone den arbeitsamsten und verdienstvollsten Mann seines Vaterlandes<lb/> vor einer johlenden Versammlung schmähen und verletzen kann, nimmermehr<lb/> dazu geschaffen und geartet sein könne, der Gegenstand vaterländischer Verehrung<lb/> und politischer Nacheiferung zu werden. Hamburg selbst sammelte sich schon<lb/> bei der nächsten Neichstagswahl zu einem kraftvollen Protest, indem eS an<lb/> Stelle des bisherigen Fortschrittlers Herrn Adolf Woermann, den hansischen<lb/> Patrioten in deu Reichstag entsandte. Und seit diesen Tagen ist Eugen Richter<lb/> immer mehr zu dem geworden, was er in deu Augen des In- und Auslandes<lb/> zu sein verdient: ein unter dem wuchtig geführten Szepter der Hohenzollern<lb/> sich in ohnmächtiger Schmerzenswut windender — Thersites!</p><lb/> <p xml:id="ID_511"> Ich erinnere mich an dieser Stelle des Hamburger Abends ganz be¬<lb/> sonders deshalb auch, um an das Schlußwort anzuknüpfen, womit Herr Rickert<lb/> seine ciustündige Agitationsrede beendete. Es ist ungemein bezeichnend für die<lb/> innern Beweggründe, aus denen die freisinnige Partei das unausgesetzte Be¬<lb/> dürfnis fühlt, deu Kanzler als alt und verschlissen hinzustellen. Es läßt deut¬<lb/> lich erkennen, daß es nicht nur Gründe sind, die ans der Verschiedenheit der<lb/> politischen Weltanschauung entspringen, sondern auch, wie ich vorhin behauptete,<lb/> Gründe der Eitelkeit und des Ehrgeizes. Herr Rickert sagte: „Stehen Sie,<lb/> meine Herren, unentwegt zur Fahne der Opposition! Halten Sie ans mit<lb/> uns im Kampfe der Freiheit gegen eine vergängliche Interessenpolitik; thun<lb/> Sie es allein schon um deswillen, damit, wenn einst ein Geschichtsschreiber<lb/> über unsre Tage berichten wird, er der Wahrheit gemäß niederschreiben kann,<lb/> daß unsre Zeit nicht nnr große Staatsmänner und große Feldherren, sondern<lb/> auch tüchtige und charakterfeste Bürger gehabt hat!"</p><lb/> <p xml:id="ID_512" next="#ID_513"> In diesen Worten liegt das ganze unwürdige Fechtsystem gekennzeichnet,<lb/> worin die „Freisinnigen" nnn beinahe seit drei Jahrzehnten, seit den Tagen<lb/> der Konfliktszeit, im Kampfe gegen den Kanzler verharren. Sie zerschneiden<lb/> mit einem perfiden Fintenhieb den natürlichen Zusammenhang der Negierungs-<lb/> männer mit dem bürgerlichen und — „charakterfestei?" Volkstum. Als ob unsre<lb/> Staatsmänner und Feldherren, als ob Bismarck und Moltke nicht auch<lb/> lebendige Teile unsres Volkes wären! Sind sie nicht Blut von deutschem<lb/> Blut, nicht Fleisch von unsern: Fleisch? Es ist gewiß ein stolzes Gefühl, sich<lb/> mit ihnen eins zu wissen, aber dieses beglückende Gefühl darf auch der ärmste<lb/> „Bürger" bilden und es freudig und ungezwungen in sich wirken lassen, wenn<lb/> er sich dein großen Gedanken nationaler Gemeinsamkeit mit Leib und Seele</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0206]
ein wenig von der Verlegenheit anhaftete, mit der die Vvlksangurn in süßlicher
Bescheidenheit allzu stürmische Ehrenbezeugungen von sich abzuwehren Pflegen.
Niemals auch werde ich das satte Behagen vergessen, mit dem er damals von
der „Schnaps- und Schweinepolitik" des Fürsten Bismarck sprach. Ich dachte
mir damals schon, daß ein Mann, der in Hamburg, wo in mächtigen Wogen
das deutsche Leben ins Ausland rollt und wieder ans ihm zurückfindet, in
solchem Tone den arbeitsamsten und verdienstvollsten Mann seines Vaterlandes
vor einer johlenden Versammlung schmähen und verletzen kann, nimmermehr
dazu geschaffen und geartet sein könne, der Gegenstand vaterländischer Verehrung
und politischer Nacheiferung zu werden. Hamburg selbst sammelte sich schon
bei der nächsten Neichstagswahl zu einem kraftvollen Protest, indem eS an
Stelle des bisherigen Fortschrittlers Herrn Adolf Woermann, den hansischen
Patrioten in deu Reichstag entsandte. Und seit diesen Tagen ist Eugen Richter
immer mehr zu dem geworden, was er in deu Augen des In- und Auslandes
zu sein verdient: ein unter dem wuchtig geführten Szepter der Hohenzollern
sich in ohnmächtiger Schmerzenswut windender — Thersites!
Ich erinnere mich an dieser Stelle des Hamburger Abends ganz be¬
sonders deshalb auch, um an das Schlußwort anzuknüpfen, womit Herr Rickert
seine ciustündige Agitationsrede beendete. Es ist ungemein bezeichnend für die
innern Beweggründe, aus denen die freisinnige Partei das unausgesetzte Be¬
dürfnis fühlt, deu Kanzler als alt und verschlissen hinzustellen. Es läßt deut¬
lich erkennen, daß es nicht nur Gründe sind, die ans der Verschiedenheit der
politischen Weltanschauung entspringen, sondern auch, wie ich vorhin behauptete,
Gründe der Eitelkeit und des Ehrgeizes. Herr Rickert sagte: „Stehen Sie,
meine Herren, unentwegt zur Fahne der Opposition! Halten Sie ans mit
uns im Kampfe der Freiheit gegen eine vergängliche Interessenpolitik; thun
Sie es allein schon um deswillen, damit, wenn einst ein Geschichtsschreiber
über unsre Tage berichten wird, er der Wahrheit gemäß niederschreiben kann,
daß unsre Zeit nicht nnr große Staatsmänner und große Feldherren, sondern
auch tüchtige und charakterfeste Bürger gehabt hat!"
In diesen Worten liegt das ganze unwürdige Fechtsystem gekennzeichnet,
worin die „Freisinnigen" nnn beinahe seit drei Jahrzehnten, seit den Tagen
der Konfliktszeit, im Kampfe gegen den Kanzler verharren. Sie zerschneiden
mit einem perfiden Fintenhieb den natürlichen Zusammenhang der Negierungs-
männer mit dem bürgerlichen und — „charakterfestei?" Volkstum. Als ob unsre
Staatsmänner und Feldherren, als ob Bismarck und Moltke nicht auch
lebendige Teile unsres Volkes wären! Sind sie nicht Blut von deutschem
Blut, nicht Fleisch von unsern: Fleisch? Es ist gewiß ein stolzes Gefühl, sich
mit ihnen eins zu wissen, aber dieses beglückende Gefühl darf auch der ärmste
„Bürger" bilden und es freudig und ungezwungen in sich wirken lassen, wenn
er sich dein großen Gedanken nationaler Gemeinsamkeit mit Leib und Seele
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