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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der alte Bismarck

Staates gefüllt und Deutschland eine Rüstung gegeben, wie sie die Welt nie¬
mals vorher gesehen, aber zu ihrer Erlösung von den Übeln des Krieges
bedarf. In diesem Sinne wirkt jeder schlichte Mann, der für unsere Soldaten
kräftiges Brod backt, auf weit nützlicheren Wege und viel unmittelbarer für
die "großen Freiheitsideale," als die freisinnigen Vereinsredner. Sie glauben,
daß sie die wnhreu "Pioniere der Freiheit" seien, die "Pfadfinder der geistigen
Entwicklung," und sind der felsenfesten Überzeugung, daß sie den Gang der
Weltgeschichte zu bestimmen ausersehen seien. Und in Wahrheit? In Wahr¬
heit laufen und liefen sie immerdar neben der Weltgeschichte her, wie die
Zivilisten neben der -- Regimentsmusik, seitwärts in den Graben purzelnd
bei jeder unerwarteten, aber weltgesclu'ehelich unvermeidlichen Wendung der
deutschen Marschkolonnen.

Der zweite Hauptquell, aus dein der grenzenlose, haßerfüllte Eifer ent¬
springt, womit die freisinnig-demokratische Partei gegen das Bismarcktnm an¬
kämpft, wird immer aufs neue wieder gespeist aus den Gefühlen eines schmerz¬
lich unterdrückten Ehrgeizes und einer unbefriedigten Eitelkeit, Ich will nicht
sagen, daß die Gegner des Kanzlers mit vollem, Bewußtsein ans persönlich
verletzten Gefühlen gegen ihn die Waffen ergriffen; denn


Nicht alles, was des Menschen Herz bewegt,
Liegt klar zu Tage,

"Wer latent wirkt diese dämonische Kraft in ihnen. Das wird mir freilich,
wie ich uns Erfahrung weiß, kein Ausländer glauben. Denn durch das
Spektroskop der ausländischen Presse gesehen, die -- ich erinnere an die
"Neue Freie Presse" -- fast ausschließlich von deutschen Oppvsitionsjoilrnalistei:
bedient wird, erscheinen die "freisinnigen" Führergestalten als die edelsten
Erscheinungen des echten, deutscheu Geistes, der aus dem Eisenring des
nüchternen Kanzlertums "unentwegt" mit oratorischen Adlerschwingcn zum
"Ächte und zur Freiheit" strebt! Jeder, der längere Zeit im Auslande gelebt
hat, wird mir zugeben, daß mit aller Macht an der Zerstörung dieser gefähr¬
lichen, von der ausländischen Presse nur allzu bereitwillig geförderten Illusion
gearbeitet werden sollte! Ich will an dieser Stelle mein Teil dazu, beitragen,
uidem ich von der wohlgefälligen Eitelkeit, der krankhaften Überspanliung und
^'r Plumpen Rücksichtslosigkeit der "deutschen Opposition" einige photographische
-iugenblickslnlder einschalte.

Ehe ich mich ins Ausland begab, hatte ich in Hamburg Gelegenheit, an
einen, einzigen Abend drei Fvrtschrittoführet,' zu hören, Richter, Rickert und
Hänel. Zuerst sprach Herr Professor Hänel, mit fest auf einander gepreßtem
Daumen und Zeigefinger theoretisch docirend, eine Regel der Eloquenz nach
der andern aus dem rhetorischen Lehrbuch anwendend, bald seine pathetische
Stimme eine künstliche Klimax hinaufsteigerud, satt im Chiasmus sein Für und


Der alte Bismarck

Staates gefüllt und Deutschland eine Rüstung gegeben, wie sie die Welt nie¬
mals vorher gesehen, aber zu ihrer Erlösung von den Übeln des Krieges
bedarf. In diesem Sinne wirkt jeder schlichte Mann, der für unsere Soldaten
kräftiges Brod backt, auf weit nützlicheren Wege und viel unmittelbarer für
die „großen Freiheitsideale," als die freisinnigen Vereinsredner. Sie glauben,
daß sie die wnhreu „Pioniere der Freiheit" seien, die „Pfadfinder der geistigen
Entwicklung," und sind der felsenfesten Überzeugung, daß sie den Gang der
Weltgeschichte zu bestimmen ausersehen seien. Und in Wahrheit? In Wahr¬
heit laufen und liefen sie immerdar neben der Weltgeschichte her, wie die
Zivilisten neben der — Regimentsmusik, seitwärts in den Graben purzelnd
bei jeder unerwarteten, aber weltgesclu'ehelich unvermeidlichen Wendung der
deutschen Marschkolonnen.

Der zweite Hauptquell, aus dein der grenzenlose, haßerfüllte Eifer ent¬
springt, womit die freisinnig-demokratische Partei gegen das Bismarcktnm an¬
kämpft, wird immer aufs neue wieder gespeist aus den Gefühlen eines schmerz¬
lich unterdrückten Ehrgeizes und einer unbefriedigten Eitelkeit, Ich will nicht
sagen, daß die Gegner des Kanzlers mit vollem, Bewußtsein ans persönlich
verletzten Gefühlen gegen ihn die Waffen ergriffen; denn


Nicht alles, was des Menschen Herz bewegt,
Liegt klar zu Tage,

«Wer latent wirkt diese dämonische Kraft in ihnen. Das wird mir freilich,
wie ich uns Erfahrung weiß, kein Ausländer glauben. Denn durch das
Spektroskop der ausländischen Presse gesehen, die — ich erinnere an die
„Neue Freie Presse" — fast ausschließlich von deutschen Oppvsitionsjoilrnalistei:
bedient wird, erscheinen die „freisinnigen" Führergestalten als die edelsten
Erscheinungen des echten, deutscheu Geistes, der aus dem Eisenring des
nüchternen Kanzlertums „unentwegt" mit oratorischen Adlerschwingcn zum
»Ächte und zur Freiheit" strebt! Jeder, der längere Zeit im Auslande gelebt
hat, wird mir zugeben, daß mit aller Macht an der Zerstörung dieser gefähr¬
lichen, von der ausländischen Presse nur allzu bereitwillig geförderten Illusion
gearbeitet werden sollte! Ich will an dieser Stelle mein Teil dazu, beitragen,
uidem ich von der wohlgefälligen Eitelkeit, der krankhaften Überspanliung und
^'r Plumpen Rücksichtslosigkeit der „deutschen Opposition" einige photographische
-iugenblickslnlder einschalte.

Ehe ich mich ins Ausland begab, hatte ich in Hamburg Gelegenheit, an
einen, einzigen Abend drei Fvrtschrittoführet,' zu hören, Richter, Rickert und
Hänel. Zuerst sprach Herr Professor Hänel, mit fest auf einander gepreßtem
Daumen und Zeigefinger theoretisch docirend, eine Regel der Eloquenz nach
der andern aus dem rhetorischen Lehrbuch anwendend, bald seine pathetische
Stimme eine künstliche Klimax hinaufsteigerud, satt im Chiasmus sein Für und


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[0203] Der alte Bismarck Staates gefüllt und Deutschland eine Rüstung gegeben, wie sie die Welt nie¬ mals vorher gesehen, aber zu ihrer Erlösung von den Übeln des Krieges bedarf. In diesem Sinne wirkt jeder schlichte Mann, der für unsere Soldaten kräftiges Brod backt, auf weit nützlicheren Wege und viel unmittelbarer für die „großen Freiheitsideale," als die freisinnigen Vereinsredner. Sie glauben, daß sie die wnhreu „Pioniere der Freiheit" seien, die „Pfadfinder der geistigen Entwicklung," und sind der felsenfesten Überzeugung, daß sie den Gang der Weltgeschichte zu bestimmen ausersehen seien. Und in Wahrheit? In Wahr¬ heit laufen und liefen sie immerdar neben der Weltgeschichte her, wie die Zivilisten neben der — Regimentsmusik, seitwärts in den Graben purzelnd bei jeder unerwarteten, aber weltgesclu'ehelich unvermeidlichen Wendung der deutschen Marschkolonnen. Der zweite Hauptquell, aus dein der grenzenlose, haßerfüllte Eifer ent¬ springt, womit die freisinnig-demokratische Partei gegen das Bismarcktnm an¬ kämpft, wird immer aufs neue wieder gespeist aus den Gefühlen eines schmerz¬ lich unterdrückten Ehrgeizes und einer unbefriedigten Eitelkeit, Ich will nicht sagen, daß die Gegner des Kanzlers mit vollem, Bewußtsein ans persönlich verletzten Gefühlen gegen ihn die Waffen ergriffen; denn Nicht alles, was des Menschen Herz bewegt, Liegt klar zu Tage, «Wer latent wirkt diese dämonische Kraft in ihnen. Das wird mir freilich, wie ich uns Erfahrung weiß, kein Ausländer glauben. Denn durch das Spektroskop der ausländischen Presse gesehen, die — ich erinnere an die „Neue Freie Presse" — fast ausschließlich von deutschen Oppvsitionsjoilrnalistei: bedient wird, erscheinen die „freisinnigen" Führergestalten als die edelsten Erscheinungen des echten, deutscheu Geistes, der aus dem Eisenring des nüchternen Kanzlertums „unentwegt" mit oratorischen Adlerschwingcn zum »Ächte und zur Freiheit" strebt! Jeder, der längere Zeit im Auslande gelebt hat, wird mir zugeben, daß mit aller Macht an der Zerstörung dieser gefähr¬ lichen, von der ausländischen Presse nur allzu bereitwillig geförderten Illusion gearbeitet werden sollte! Ich will an dieser Stelle mein Teil dazu, beitragen, uidem ich von der wohlgefälligen Eitelkeit, der krankhaften Überspanliung und ^'r Plumpen Rücksichtslosigkeit der „deutschen Opposition" einige photographische -iugenblickslnlder einschalte. Ehe ich mich ins Ausland begab, hatte ich in Hamburg Gelegenheit, an einen, einzigen Abend drei Fvrtschrittoführet,' zu hören, Richter, Rickert und Hänel. Zuerst sprach Herr Professor Hänel, mit fest auf einander gepreßtem Daumen und Zeigefinger theoretisch docirend, eine Regel der Eloquenz nach der andern aus dem rhetorischen Lehrbuch anwendend, bald seine pathetische Stimme eine künstliche Klimax hinaufsteigerud, satt im Chiasmus sein Für und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/203>, abgerufen am 05.02.2025.