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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der alte Bismarck

heit bedeutet haben. Nein, auch dies ferne Ziel erreichen wir nur durch die
kraftvollen Männer der politischen That, durch eine von gewaltigen Macht¬
mitteln gehobene Realpolitik oder nochmals: durch Blut und Eisen! Ein
schwaches Deutschland ist wie ein Stück Fleisch nnter einem Haufen gieriger
Hunde, die über seinem Besitz niemals zur Ruhe kommen würden; ein starkes
Deutschland ist friedengebietend und glückverheißend für die ganze Welt. Was
hat die Welt von einem großen Frankreich, von einem großen England, von
einem großen Rußland zu erwarte"? Nichts, das wert wäre, erstrebt und
ersehnt zu werden. Von Deutschland alles! Schon jetzt, obschon die Welt
noch in Waffen starrt, ergießt sich ans dem friedenbereitenden Deutschland ein
Strahl sozialen Glückes über die europäischen Länder; von den Waffen am
schwersten gedrückt, hat doch der deutsche Geist zuerst deu übrigen Nationen
die Schale gereicht, aus der sie auf ihre brennenden sozialen Wunden die erste
Linderung träufeln können. Im Gefühl dieser sittlichen Kraft, die unserm
Vaterlnnde innewohnt, im Bewußtsein seiner geistigen Bildung und seiner unbe-
zwinglichen materiellen Kraft, fühlen wir den unheilvollen Riß sich schließen,
der einst deu weltbürgerlichen Goethe von den "engen Zielen seines Vater¬
landes" getrennt hielt. Denn im Bewußtsein einer großen deutscheu Friedens-
anfgabe heißt "deutsch sein" jetzt schon "Weltbürger sein." Von Ranke haben
wir gelernt, daß Deutschland nicht zu jenen Emtagsgebilden gehört, die wie
Karthago und Burgund wie flüchtige Blätter auf dem Abreißkalender der
Geschichte wieder verschwinden. An den deutscheu Geist, da keiner edler,
reicher und größer ist ans der Welt, hat die Geschichte auch die edelsten und
größten Aufgaben gestellt.

So erkennen wir in Bismarck, der Deutschland aus einem verkommenen
Schwächezustand wieder zu seiner natürlichen Größe emporgehoben hat, das
lebendige Werkzeug des sich zur Freiheit entwickelnden Weltgeistes. Er bedeutet
im deutschen Leben eine "Etappe," wie Karl der Große, wie Luther, wie Friedrich II.
Er ist eine von deu großen weltgeschichtlichen Gestalten, in denen sich der "Welt¬
geist" für Jahrhunderte hinaus licht- und kraftspendend verkörpert hat. Seine
Aufgabe hat er uuter beispiellosen, jn unter unfaßbarer Erfolgen vollbracht,
unfaßbar, wenn wir nicht eben einen höhern Geist in ihm wirken zu sehen
vermöchten. Er hat Deutschland, das vor fünfundzwanzig Jahren noch ängst¬
lich vor Osterreich zusammenschauerte, größer gemacht, als je ein deutscher
Dichter träumen konnte. Er hat die lange verschlossenen Fenster unsrer deutschen
Volksseele mit kräftiger Faust aufgestoßen, und wir atmen beseligt von den
Bergen Thüringens bis an die Küsten Australiens deu Hauch der Welt. Er
hat das fast erloschene deutsche Nationalgefühl mit neuer und ganz unbündiger
Kraft erfüllt; daher das deutsch-nationale Hochwasser im Elsaß (Pnßzwaug!),
in Polen (Ansiedlungskoimnission!) und in Schleswig (deutscher Sprachzwang!);
durch eine kühn und schnell arbeitende Schutzzollpolitik hat er die Kassen des


Der alte Bismarck

heit bedeutet haben. Nein, auch dies ferne Ziel erreichen wir nur durch die
kraftvollen Männer der politischen That, durch eine von gewaltigen Macht¬
mitteln gehobene Realpolitik oder nochmals: durch Blut und Eisen! Ein
schwaches Deutschland ist wie ein Stück Fleisch nnter einem Haufen gieriger
Hunde, die über seinem Besitz niemals zur Ruhe kommen würden; ein starkes
Deutschland ist friedengebietend und glückverheißend für die ganze Welt. Was
hat die Welt von einem großen Frankreich, von einem großen England, von
einem großen Rußland zu erwarte»? Nichts, das wert wäre, erstrebt und
ersehnt zu werden. Von Deutschland alles! Schon jetzt, obschon die Welt
noch in Waffen starrt, ergießt sich ans dem friedenbereitenden Deutschland ein
Strahl sozialen Glückes über die europäischen Länder; von den Waffen am
schwersten gedrückt, hat doch der deutsche Geist zuerst deu übrigen Nationen
die Schale gereicht, aus der sie auf ihre brennenden sozialen Wunden die erste
Linderung träufeln können. Im Gefühl dieser sittlichen Kraft, die unserm
Vaterlnnde innewohnt, im Bewußtsein seiner geistigen Bildung und seiner unbe-
zwinglichen materiellen Kraft, fühlen wir den unheilvollen Riß sich schließen,
der einst deu weltbürgerlichen Goethe von den „engen Zielen seines Vater¬
landes" getrennt hielt. Denn im Bewußtsein einer großen deutscheu Friedens-
anfgabe heißt „deutsch sein" jetzt schon „Weltbürger sein." Von Ranke haben
wir gelernt, daß Deutschland nicht zu jenen Emtagsgebilden gehört, die wie
Karthago und Burgund wie flüchtige Blätter auf dem Abreißkalender der
Geschichte wieder verschwinden. An den deutscheu Geist, da keiner edler,
reicher und größer ist ans der Welt, hat die Geschichte auch die edelsten und
größten Aufgaben gestellt.

So erkennen wir in Bismarck, der Deutschland aus einem verkommenen
Schwächezustand wieder zu seiner natürlichen Größe emporgehoben hat, das
lebendige Werkzeug des sich zur Freiheit entwickelnden Weltgeistes. Er bedeutet
im deutschen Leben eine „Etappe," wie Karl der Große, wie Luther, wie Friedrich II.
Er ist eine von deu großen weltgeschichtlichen Gestalten, in denen sich der „Welt¬
geist" für Jahrhunderte hinaus licht- und kraftspendend verkörpert hat. Seine
Aufgabe hat er uuter beispiellosen, jn unter unfaßbarer Erfolgen vollbracht,
unfaßbar, wenn wir nicht eben einen höhern Geist in ihm wirken zu sehen
vermöchten. Er hat Deutschland, das vor fünfundzwanzig Jahren noch ängst¬
lich vor Osterreich zusammenschauerte, größer gemacht, als je ein deutscher
Dichter träumen konnte. Er hat die lange verschlossenen Fenster unsrer deutschen
Volksseele mit kräftiger Faust aufgestoßen, und wir atmen beseligt von den
Bergen Thüringens bis an die Küsten Australiens deu Hauch der Welt. Er
hat das fast erloschene deutsche Nationalgefühl mit neuer und ganz unbündiger
Kraft erfüllt; daher das deutsch-nationale Hochwasser im Elsaß (Pnßzwaug!),
in Polen (Ansiedlungskoimnission!) und in Schleswig (deutscher Sprachzwang!);
durch eine kühn und schnell arbeitende Schutzzollpolitik hat er die Kassen des


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[0202] Der alte Bismarck heit bedeutet haben. Nein, auch dies ferne Ziel erreichen wir nur durch die kraftvollen Männer der politischen That, durch eine von gewaltigen Macht¬ mitteln gehobene Realpolitik oder nochmals: durch Blut und Eisen! Ein schwaches Deutschland ist wie ein Stück Fleisch nnter einem Haufen gieriger Hunde, die über seinem Besitz niemals zur Ruhe kommen würden; ein starkes Deutschland ist friedengebietend und glückverheißend für die ganze Welt. Was hat die Welt von einem großen Frankreich, von einem großen England, von einem großen Rußland zu erwarte»? Nichts, das wert wäre, erstrebt und ersehnt zu werden. Von Deutschland alles! Schon jetzt, obschon die Welt noch in Waffen starrt, ergießt sich ans dem friedenbereitenden Deutschland ein Strahl sozialen Glückes über die europäischen Länder; von den Waffen am schwersten gedrückt, hat doch der deutsche Geist zuerst deu übrigen Nationen die Schale gereicht, aus der sie auf ihre brennenden sozialen Wunden die erste Linderung träufeln können. Im Gefühl dieser sittlichen Kraft, die unserm Vaterlnnde innewohnt, im Bewußtsein seiner geistigen Bildung und seiner unbe- zwinglichen materiellen Kraft, fühlen wir den unheilvollen Riß sich schließen, der einst deu weltbürgerlichen Goethe von den „engen Zielen seines Vater¬ landes" getrennt hielt. Denn im Bewußtsein einer großen deutscheu Friedens- anfgabe heißt „deutsch sein" jetzt schon „Weltbürger sein." Von Ranke haben wir gelernt, daß Deutschland nicht zu jenen Emtagsgebilden gehört, die wie Karthago und Burgund wie flüchtige Blätter auf dem Abreißkalender der Geschichte wieder verschwinden. An den deutscheu Geist, da keiner edler, reicher und größer ist ans der Welt, hat die Geschichte auch die edelsten und größten Aufgaben gestellt. So erkennen wir in Bismarck, der Deutschland aus einem verkommenen Schwächezustand wieder zu seiner natürlichen Größe emporgehoben hat, das lebendige Werkzeug des sich zur Freiheit entwickelnden Weltgeistes. Er bedeutet im deutschen Leben eine „Etappe," wie Karl der Große, wie Luther, wie Friedrich II. Er ist eine von deu großen weltgeschichtlichen Gestalten, in denen sich der „Welt¬ geist" für Jahrhunderte hinaus licht- und kraftspendend verkörpert hat. Seine Aufgabe hat er uuter beispiellosen, jn unter unfaßbarer Erfolgen vollbracht, unfaßbar, wenn wir nicht eben einen höhern Geist in ihm wirken zu sehen vermöchten. Er hat Deutschland, das vor fünfundzwanzig Jahren noch ängst¬ lich vor Osterreich zusammenschauerte, größer gemacht, als je ein deutscher Dichter träumen konnte. Er hat die lange verschlossenen Fenster unsrer deutschen Volksseele mit kräftiger Faust aufgestoßen, und wir atmen beseligt von den Bergen Thüringens bis an die Küsten Australiens deu Hauch der Welt. Er hat das fast erloschene deutsche Nationalgefühl mit neuer und ganz unbündiger Kraft erfüllt; daher das deutsch-nationale Hochwasser im Elsaß (Pnßzwaug!), in Polen (Ansiedlungskoimnission!) und in Schleswig (deutscher Sprachzwang!); durch eine kühn und schnell arbeitende Schutzzollpolitik hat er die Kassen des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/202>, abgerufen am 05.02.2025.