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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der alte Bismarck

in nationaler und freiheitlicher Hinsicht seine Zweifel an die Haltbarkeit der
Schöpfungen Bismarcks herleitet, stammt auch die unverbrüchliche Zuversicht
an die endliche Verrottung seiner Schutzzollpolitik. In einer seiner 50-Pfennigs-
broschüren sagt der immer geistreichelnde Bamberger naseweis: "Heißt es nicht
einen Anachronismus begehen, wenn man in einer Zeit, wo das Dampfroß die
fernsten Länder einander näher rückt, trennende Schntzzolldämme errichtet?"

Das kecke Paradoxon ist blendend genug, um von vielen weiter getragen
zu werden. Aber diese innere Kausalverknüpfung von rein körperlichen Dingen
mit geistigen Prinzipien ist mir stets als ein unverkennbares Merkzeichen
dilettantenhaft-spintisirenden Denkens erschienen. Die Dampfmaschine hat mit
den Prinzipien des Schutzzolls genau so viel zu thun, wie der Hahn einer
Wasserleitung mit dem Wogenprall des Ozeans, oder genau so viel, wie das
Schiff der Wüste mit den subventionirten Neichsvostdampfern des Bremer
Lloyd. Ist nicht gerade umgekehrt der durch den Eisenbahnbau erleichterte
Austausch der natürlichen Güter ein dringender Grund für die vorsichtige
Regulirung der einzelnen Landesbedürfnisse?

Uns Deutschen im Auslande, die wir Tag für Tag die Dinge im Bnter-
laude mit erhöhter Spannung verfolgen, erscheint es unfaßbar, daß man Herrn
Bamberger noch nicht gründlich die Lust verdorben hat, aller vier Wochen mit
seinem verderblichen "Geist" zu Stuhle zu kommen, mit sinnverwirrenden Pa¬
radoxen, mit ehrenrühriger Beleidigungen der Mittelparteimänner. Es ist
schmerzlich für uns und widerlich zugleich zu sehen, wie er in seinen Broschüren
und seinen Neichstagsreden mit gelten, zudringlichen Händen an dem keuschen
Reckenleib des Kanzlers hernmfingert, wie er mit Vergleichen und Bildern,
mit französischen und lateinischen Floskeln den parlamentarischen Stil Bismarcks
zu kopiren versucht, wie er sich als eine mehr "systematisch-philosophische
Natur" prophezeiend und besser wissend über ihn erhebt und mit welcher frechen
Gewaltthätigkeit er sich die mächtige Natur Bismarcks für sein theoretisches
Prokrustesbett zurechtzusägeu sucht. Wir können es auch nicht verstehen, wie
die Kölnische Zeitung, die wir wegen ihres frischen, vorwärtsstrebender National¬
sinnes von allen ins Ausland gelangenden deutschen Zeitungen am liebsten zur
Hand nehmen, bei jeder Gelegenheit, wo sie mit Herrn Bamberger abzurechnen
sucht, seinen "Geist, seiue hohe Begabung, seine ehrenhafte Überzeugungstreue"
schmeichlerisch hervorheben kann. Seiner Verdienste um die Goldwährung willen
braucht die Kölnische Zeitung Herrn Bamberger gewiß nicht zu schonen, wenn
es gilt, unerhörte Angriffe auf die besten deutschen Männer abzuwehren und
mißvergnügte Anschauungen zu bekämpfen, die alles deutsche Wesen im Auslande
zu kompromittiren geeignet sind. Wer nicht mit Herrn Bamberger ist, der
ist entweder ein selbstsüchtiger Agrarier, oder ein freikonservativer Landrats¬
streber, oder einnationalliberalcr-charakterloser Schleppenträger; die Journalisten,
die aus eigner Überzeugung für die Regierungspolitik schreiben und vielleicht


Der alte Bismarck

in nationaler und freiheitlicher Hinsicht seine Zweifel an die Haltbarkeit der
Schöpfungen Bismarcks herleitet, stammt auch die unverbrüchliche Zuversicht
an die endliche Verrottung seiner Schutzzollpolitik. In einer seiner 50-Pfennigs-
broschüren sagt der immer geistreichelnde Bamberger naseweis: „Heißt es nicht
einen Anachronismus begehen, wenn man in einer Zeit, wo das Dampfroß die
fernsten Länder einander näher rückt, trennende Schntzzolldämme errichtet?"

Das kecke Paradoxon ist blendend genug, um von vielen weiter getragen
zu werden. Aber diese innere Kausalverknüpfung von rein körperlichen Dingen
mit geistigen Prinzipien ist mir stets als ein unverkennbares Merkzeichen
dilettantenhaft-spintisirenden Denkens erschienen. Die Dampfmaschine hat mit
den Prinzipien des Schutzzolls genau so viel zu thun, wie der Hahn einer
Wasserleitung mit dem Wogenprall des Ozeans, oder genau so viel, wie das
Schiff der Wüste mit den subventionirten Neichsvostdampfern des Bremer
Lloyd. Ist nicht gerade umgekehrt der durch den Eisenbahnbau erleichterte
Austausch der natürlichen Güter ein dringender Grund für die vorsichtige
Regulirung der einzelnen Landesbedürfnisse?

Uns Deutschen im Auslande, die wir Tag für Tag die Dinge im Bnter-
laude mit erhöhter Spannung verfolgen, erscheint es unfaßbar, daß man Herrn
Bamberger noch nicht gründlich die Lust verdorben hat, aller vier Wochen mit
seinem verderblichen „Geist" zu Stuhle zu kommen, mit sinnverwirrenden Pa¬
radoxen, mit ehrenrühriger Beleidigungen der Mittelparteimänner. Es ist
schmerzlich für uns und widerlich zugleich zu sehen, wie er in seinen Broschüren
und seinen Neichstagsreden mit gelten, zudringlichen Händen an dem keuschen
Reckenleib des Kanzlers hernmfingert, wie er mit Vergleichen und Bildern,
mit französischen und lateinischen Floskeln den parlamentarischen Stil Bismarcks
zu kopiren versucht, wie er sich als eine mehr „systematisch-philosophische
Natur" prophezeiend und besser wissend über ihn erhebt und mit welcher frechen
Gewaltthätigkeit er sich die mächtige Natur Bismarcks für sein theoretisches
Prokrustesbett zurechtzusägeu sucht. Wir können es auch nicht verstehen, wie
die Kölnische Zeitung, die wir wegen ihres frischen, vorwärtsstrebender National¬
sinnes von allen ins Ausland gelangenden deutschen Zeitungen am liebsten zur
Hand nehmen, bei jeder Gelegenheit, wo sie mit Herrn Bamberger abzurechnen
sucht, seinen „Geist, seiue hohe Begabung, seine ehrenhafte Überzeugungstreue"
schmeichlerisch hervorheben kann. Seiner Verdienste um die Goldwährung willen
braucht die Kölnische Zeitung Herrn Bamberger gewiß nicht zu schonen, wenn
es gilt, unerhörte Angriffe auf die besten deutschen Männer abzuwehren und
mißvergnügte Anschauungen zu bekämpfen, die alles deutsche Wesen im Auslande
zu kompromittiren geeignet sind. Wer nicht mit Herrn Bamberger ist, der
ist entweder ein selbstsüchtiger Agrarier, oder ein freikonservativer Landrats¬
streber, oder einnationalliberalcr-charakterloser Schleppenträger; die Journalisten,
die aus eigner Überzeugung für die Regierungspolitik schreiben und vielleicht


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[0160] Der alte Bismarck in nationaler und freiheitlicher Hinsicht seine Zweifel an die Haltbarkeit der Schöpfungen Bismarcks herleitet, stammt auch die unverbrüchliche Zuversicht an die endliche Verrottung seiner Schutzzollpolitik. In einer seiner 50-Pfennigs- broschüren sagt der immer geistreichelnde Bamberger naseweis: „Heißt es nicht einen Anachronismus begehen, wenn man in einer Zeit, wo das Dampfroß die fernsten Länder einander näher rückt, trennende Schntzzolldämme errichtet?" Das kecke Paradoxon ist blendend genug, um von vielen weiter getragen zu werden. Aber diese innere Kausalverknüpfung von rein körperlichen Dingen mit geistigen Prinzipien ist mir stets als ein unverkennbares Merkzeichen dilettantenhaft-spintisirenden Denkens erschienen. Die Dampfmaschine hat mit den Prinzipien des Schutzzolls genau so viel zu thun, wie der Hahn einer Wasserleitung mit dem Wogenprall des Ozeans, oder genau so viel, wie das Schiff der Wüste mit den subventionirten Neichsvostdampfern des Bremer Lloyd. Ist nicht gerade umgekehrt der durch den Eisenbahnbau erleichterte Austausch der natürlichen Güter ein dringender Grund für die vorsichtige Regulirung der einzelnen Landesbedürfnisse? Uns Deutschen im Auslande, die wir Tag für Tag die Dinge im Bnter- laude mit erhöhter Spannung verfolgen, erscheint es unfaßbar, daß man Herrn Bamberger noch nicht gründlich die Lust verdorben hat, aller vier Wochen mit seinem verderblichen „Geist" zu Stuhle zu kommen, mit sinnverwirrenden Pa¬ radoxen, mit ehrenrühriger Beleidigungen der Mittelparteimänner. Es ist schmerzlich für uns und widerlich zugleich zu sehen, wie er in seinen Broschüren und seinen Neichstagsreden mit gelten, zudringlichen Händen an dem keuschen Reckenleib des Kanzlers hernmfingert, wie er mit Vergleichen und Bildern, mit französischen und lateinischen Floskeln den parlamentarischen Stil Bismarcks zu kopiren versucht, wie er sich als eine mehr „systematisch-philosophische Natur" prophezeiend und besser wissend über ihn erhebt und mit welcher frechen Gewaltthätigkeit er sich die mächtige Natur Bismarcks für sein theoretisches Prokrustesbett zurechtzusägeu sucht. Wir können es auch nicht verstehen, wie die Kölnische Zeitung, die wir wegen ihres frischen, vorwärtsstrebender National¬ sinnes von allen ins Ausland gelangenden deutschen Zeitungen am liebsten zur Hand nehmen, bei jeder Gelegenheit, wo sie mit Herrn Bamberger abzurechnen sucht, seinen „Geist, seiue hohe Begabung, seine ehrenhafte Überzeugungstreue" schmeichlerisch hervorheben kann. Seiner Verdienste um die Goldwährung willen braucht die Kölnische Zeitung Herrn Bamberger gewiß nicht zu schonen, wenn es gilt, unerhörte Angriffe auf die besten deutschen Männer abzuwehren und mißvergnügte Anschauungen zu bekämpfen, die alles deutsche Wesen im Auslande zu kompromittiren geeignet sind. Wer nicht mit Herrn Bamberger ist, der ist entweder ein selbstsüchtiger Agrarier, oder ein freikonservativer Landrats¬ streber, oder einnationalliberalcr-charakterloser Schleppenträger; die Journalisten, die aus eigner Überzeugung für die Regierungspolitik schreiben und vielleicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/160>, abgerufen am 05.02.2025.