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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der alte Bismarck

national-egoistische Brutalität in der politischen Wirksamkeit des Fürsten im
Gegensatz zu der menschenfreundlichen Weichherzigkeit des weltbürgerlichen
Liberalismus ist es. die auch die Ausländer mit der Hoffnung erfüllt, daß
das "System Bismarcks" trotz seiner ungeheuren Kraftentfaltung dereinst vor
den Forderungen eines höheren und edleren Menschheitsprinzips in sich zusammen¬
brechen müsse. Zumal in den deutschen Grenzlündern, im Elsaß, in Nord-
schleswig, in Polen, wo Bismarcks nationales Schwergewicht unsäglich schmerz¬
lich empfunden wird, giebt es Hunderte und Tausende, die mit dem Haß gegen
den deutschen Kanzler in ihrer tiefsten Brust die Hoffnung vereinigen, daß
eines Tages von ihrem angestammten, natürlichen Heimatsgefühl der unnatür¬
liche Nationaldruck Bismarcks werde genommen werden. Ja eines Tages
sagte mir ein Finnländer mit thränendem Auge, daß durch Vismarck auch sein
Land zu Grund gehe; denn es sei sein verderblicher Geist und seine mensch¬
heitswidrigen Prinzipien, die Rußland dazu angetrieben hätten, in Finnland
und in den Ostseeprovinzen ebenso rücksichtslos zu russtsiziren, wie Deutsch¬
land im Elsaß, in Schleswig und in Polen germanisire. Mit Thränen in
den Augen prophezeite er das Untergehen der finnischen Volkstümlichkeit,
"aber," schloß er mit schwärmerischer Hoffnung, "Gott wird es vielleicht doch
nicht zulassen!"

Man sieht, daß der Glaube an den notwendigen Zusammenbruch des
"Systems Bismarck" nicht nur in einer flachen deutsch-freisinnigen Männer¬
brust wurzelt. Er wird aber aus spekulativen Allgemeingründen anch von
litterarischen Persönlichkeiten geteilt. Ich nenne nur Spielhageu und Ibsen,
die beide in demselben Irrtum befangen sind. Sie sind beide unglücklich
darüber, daß von dem elektrisch-grellen Licht, das von der Realität Bismarcks
ausstrahlt, die Poesie aus ihrem Phantasie-befruchtenden Dämmerdunkel auf¬
gescheucht worden ist. Spielhagen fühlt mißvergnügt seine dichterischen Halb¬
gestalten, ich erinnere nur nu seine Lassalle-Kopie, in der scharfen Beleuchtung
unsrer politischen Krafttage verbleichen und verblassen; ohne die Kraft, in diese
Beleuchtung plastisch und lebendig wirkende Gestalten zu rücken, läßt auch er,
gleich den liberalen Politiker!,, kritisch selbsterzeugte Dämpfe und rosige Welt-
beglückungs-Lichteffekte aufsteigen, in dem die Umrisse seiner schwächlichen
Helden bequem zerfließen können. Ähnlich Ibsen, der sich mit dem Brimborien-
schleier des "Wunderbaren" umgiebt, das uns alle in der "dritten Periode,"
die dn noch kommen soll, "frei machen" wird, und der in diesem dilettanten-
haften Ahnungsgefühl über Vismarck einmal eine geradezu wahnsinnige
Äußerung gethan hat. Ich wiederhole sie nicht. Aber auch sie atmet die
krankhafte Ungeduld dessen, der nichl abwarten kann, bis der helle, klare Bis-
marcksche Weltgeschichtstag zur Rüste geht und seine gespenster- und schemen¬
haften "Freiheits"-Gestalten erscheinen können.

Ans derselben weitschweifigen Weltanschauung, aus der der Liberalismus


Der alte Bismarck

national-egoistische Brutalität in der politischen Wirksamkeit des Fürsten im
Gegensatz zu der menschenfreundlichen Weichherzigkeit des weltbürgerlichen
Liberalismus ist es. die auch die Ausländer mit der Hoffnung erfüllt, daß
das „System Bismarcks" trotz seiner ungeheuren Kraftentfaltung dereinst vor
den Forderungen eines höheren und edleren Menschheitsprinzips in sich zusammen¬
brechen müsse. Zumal in den deutschen Grenzlündern, im Elsaß, in Nord-
schleswig, in Polen, wo Bismarcks nationales Schwergewicht unsäglich schmerz¬
lich empfunden wird, giebt es Hunderte und Tausende, die mit dem Haß gegen
den deutschen Kanzler in ihrer tiefsten Brust die Hoffnung vereinigen, daß
eines Tages von ihrem angestammten, natürlichen Heimatsgefühl der unnatür¬
liche Nationaldruck Bismarcks werde genommen werden. Ja eines Tages
sagte mir ein Finnländer mit thränendem Auge, daß durch Vismarck auch sein
Land zu Grund gehe; denn es sei sein verderblicher Geist und seine mensch¬
heitswidrigen Prinzipien, die Rußland dazu angetrieben hätten, in Finnland
und in den Ostseeprovinzen ebenso rücksichtslos zu russtsiziren, wie Deutsch¬
land im Elsaß, in Schleswig und in Polen germanisire. Mit Thränen in
den Augen prophezeite er das Untergehen der finnischen Volkstümlichkeit,
„aber," schloß er mit schwärmerischer Hoffnung, „Gott wird es vielleicht doch
nicht zulassen!"

Man sieht, daß der Glaube an den notwendigen Zusammenbruch des
„Systems Bismarck" nicht nur in einer flachen deutsch-freisinnigen Männer¬
brust wurzelt. Er wird aber aus spekulativen Allgemeingründen anch von
litterarischen Persönlichkeiten geteilt. Ich nenne nur Spielhageu und Ibsen,
die beide in demselben Irrtum befangen sind. Sie sind beide unglücklich
darüber, daß von dem elektrisch-grellen Licht, das von der Realität Bismarcks
ausstrahlt, die Poesie aus ihrem Phantasie-befruchtenden Dämmerdunkel auf¬
gescheucht worden ist. Spielhagen fühlt mißvergnügt seine dichterischen Halb¬
gestalten, ich erinnere nur nu seine Lassalle-Kopie, in der scharfen Beleuchtung
unsrer politischen Krafttage verbleichen und verblassen; ohne die Kraft, in diese
Beleuchtung plastisch und lebendig wirkende Gestalten zu rücken, läßt auch er,
gleich den liberalen Politiker!,, kritisch selbsterzeugte Dämpfe und rosige Welt-
beglückungs-Lichteffekte aufsteigen, in dem die Umrisse seiner schwächlichen
Helden bequem zerfließen können. Ähnlich Ibsen, der sich mit dem Brimborien-
schleier des „Wunderbaren" umgiebt, das uns alle in der „dritten Periode,"
die dn noch kommen soll, „frei machen" wird, und der in diesem dilettanten-
haften Ahnungsgefühl über Vismarck einmal eine geradezu wahnsinnige
Äußerung gethan hat. Ich wiederhole sie nicht. Aber auch sie atmet die
krankhafte Ungeduld dessen, der nichl abwarten kann, bis der helle, klare Bis-
marcksche Weltgeschichtstag zur Rüste geht und seine gespenster- und schemen¬
haften „Freiheits"-Gestalten erscheinen können.

Ans derselben weitschweifigen Weltanschauung, aus der der Liberalismus


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[0159] Der alte Bismarck national-egoistische Brutalität in der politischen Wirksamkeit des Fürsten im Gegensatz zu der menschenfreundlichen Weichherzigkeit des weltbürgerlichen Liberalismus ist es. die auch die Ausländer mit der Hoffnung erfüllt, daß das „System Bismarcks" trotz seiner ungeheuren Kraftentfaltung dereinst vor den Forderungen eines höheren und edleren Menschheitsprinzips in sich zusammen¬ brechen müsse. Zumal in den deutschen Grenzlündern, im Elsaß, in Nord- schleswig, in Polen, wo Bismarcks nationales Schwergewicht unsäglich schmerz¬ lich empfunden wird, giebt es Hunderte und Tausende, die mit dem Haß gegen den deutschen Kanzler in ihrer tiefsten Brust die Hoffnung vereinigen, daß eines Tages von ihrem angestammten, natürlichen Heimatsgefühl der unnatür¬ liche Nationaldruck Bismarcks werde genommen werden. Ja eines Tages sagte mir ein Finnländer mit thränendem Auge, daß durch Vismarck auch sein Land zu Grund gehe; denn es sei sein verderblicher Geist und seine mensch¬ heitswidrigen Prinzipien, die Rußland dazu angetrieben hätten, in Finnland und in den Ostseeprovinzen ebenso rücksichtslos zu russtsiziren, wie Deutsch¬ land im Elsaß, in Schleswig und in Polen germanisire. Mit Thränen in den Augen prophezeite er das Untergehen der finnischen Volkstümlichkeit, „aber," schloß er mit schwärmerischer Hoffnung, „Gott wird es vielleicht doch nicht zulassen!" Man sieht, daß der Glaube an den notwendigen Zusammenbruch des „Systems Bismarck" nicht nur in einer flachen deutsch-freisinnigen Männer¬ brust wurzelt. Er wird aber aus spekulativen Allgemeingründen anch von litterarischen Persönlichkeiten geteilt. Ich nenne nur Spielhageu und Ibsen, die beide in demselben Irrtum befangen sind. Sie sind beide unglücklich darüber, daß von dem elektrisch-grellen Licht, das von der Realität Bismarcks ausstrahlt, die Poesie aus ihrem Phantasie-befruchtenden Dämmerdunkel auf¬ gescheucht worden ist. Spielhagen fühlt mißvergnügt seine dichterischen Halb¬ gestalten, ich erinnere nur nu seine Lassalle-Kopie, in der scharfen Beleuchtung unsrer politischen Krafttage verbleichen und verblassen; ohne die Kraft, in diese Beleuchtung plastisch und lebendig wirkende Gestalten zu rücken, läßt auch er, gleich den liberalen Politiker!,, kritisch selbsterzeugte Dämpfe und rosige Welt- beglückungs-Lichteffekte aufsteigen, in dem die Umrisse seiner schwächlichen Helden bequem zerfließen können. Ähnlich Ibsen, der sich mit dem Brimborien- schleier des „Wunderbaren" umgiebt, das uns alle in der „dritten Periode," die dn noch kommen soll, „frei machen" wird, und der in diesem dilettanten- haften Ahnungsgefühl über Vismarck einmal eine geradezu wahnsinnige Äußerung gethan hat. Ich wiederhole sie nicht. Aber auch sie atmet die krankhafte Ungeduld dessen, der nichl abwarten kann, bis der helle, klare Bis- marcksche Weltgeschichtstag zur Rüste geht und seine gespenster- und schemen¬ haften „Freiheits"-Gestalten erscheinen können. Ans derselben weitschweifigen Weltanschauung, aus der der Liberalismus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/159>, abgerufen am 05.02.2025.