Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Der alte Bismarck nicht den dritten Teil von dem verdienen, was Herr Mosse seinen Mitarbeitern Und doch bei all seiner theoretischen Konsequenz, wie inkonsequent erscheint Gewiß kann es eines Tages geschehe", daß sich der Fürst zurückzuziehen Grenzboten II 1889 20
Der alte Bismarck nicht den dritten Teil von dem verdienen, was Herr Mosse seinen Mitarbeitern Und doch bei all seiner theoretischen Konsequenz, wie inkonsequent erscheint Gewiß kann es eines Tages geschehe«, daß sich der Fürst zurückzuziehen Grenzboten II 1889 20
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Der alte Bismarck
nicht den dritten Teil von dem verdienen, was Herr Mosse seinen Mitarbeitern
bezahlt, werden bezahlte Subjekte, Reptile, offiziöse Lumpen genannt. Der
deutsche „Mann" fängt erst bei Herrn Bamberger an. Aber es mag ihm offen
gesagt sein, was wir im Auslande, wo man bekanntlich deutsche Dinge doppelt
scharf sieht, von seiner „Männlichkeit" halten. In dem zimperlichen Sträuben,
mit dem er alles von sich und seinem „Selbstündigkeitsgefühl" fern hält, was
immer auch aus dein schöpferischen Schoße der Regierung aufsteigen mag, in
der krankhaften Sucht, sich aller vier Wochen dem deutschen Publikum als ein
vir iinmg,on1g.w8 vorzustellen, halten wir ihn weniger für einen gesund or-
ganisirten deutschen Mann, als vielmehr für eine alte, hysterische Jungfer,
die sich um keinen Preis von den schöpferischen Ideen Bismarcks befruchten
lassen will.
Und doch bei all seiner theoretischen Konsequenz, wie inkonsequent erscheint
seine freihändlerische Weltanschauung, übersetzt in die Praxis! In der Zeit
des länderverbindenden Dampfrosses Schutzzoll-Schranken zu errichten, heißt
nichts andres, als einen lächerlichen Anachronismus begehen; der Getreidezvll
wird sogar als eine modern-mittelalterliche Foltersteuer, als ein „Blntzoll"
dargestellt und verschrieen! Alles ist einem reaktionären Dunkeltum verfallen,
was nicht mithilft, die trennenden Schranken niederzureißen, „frei" soll der
Handel und Wandel feine Wege gehen, „frei" soll die Natur mit ihren Gütern
schalten und walten. Das ist modern, das ist frei, das ist groß und auf¬
geklärt gedacht. Aber eine lebendige Menschenkraft einschränken, dem
Reichskanzler die kraftgeschwellten Adern unterbinden, in seinem Haupt die
schöpferischen Gedanken, die die „freie Natur" in ihm wirken läßt, mit Par¬
lamentsfäusten zu ersticken, seine rüstige Lebensfreude vorzeitig zu brechen, ihn
an Haupt und Gliedern zu knebeln, um ihn abseits in irgend einen Landwinkel
zu schleppen, ihn zu einem mundtoten Mann zu macheu, während noch so vieles
sich in seinem Herzen zur That gestaltet — das alles, Herr Bamberger, ist in
Ihren Augen kein widernatürliches Werk, das ist kein Blutfrevel an dein
lebendigen Wirken der Natur? Mit ihren Getreidesäcken darf die große
Schöpfung von Rußland, Ungarn und von Indien her frei über Deutschland
auf- und niedergehen und unser geduldiges Vaterland bis zum Ersticken mit
ihren „natürlichen Gaben" überschütten; mit deu lebendigen Gedanken eines
Staatsmannes aber muß bei Zeiten eine „kulturelle" Beschneidung vorgenommen
werden! So vertauscht Herr Bamberger den weitbauschigeu Kaftan des frei¬
sinnigen „Weltphilvsophen" mit der grünen Jacke des Grenzkontrvlleurs und
, stellt ganz uach seiner persönlichen Einsicht geistige Gewerbescheine auf 10, 12
oder 15 Jahre aus!
Gewiß kann es eines Tages geschehe«, daß sich der Fürst zurückzuziehen
wünscht; denn so lange wir die Geschichte dieser Erde kennen, hätte niemand
ein besseres Anrecht auf die glückselige Ruhe eines beschaulichen Abends, als
Grenzboten II 1889 20
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