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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der alte Bismarck

man diese Verkleinerungssucht bereits auch auf seine-- Söhne überträgt? Auch
des Grafen Herbert Verdienste und aufstrebende Erfolge werden mit unver¬
ständlichem Behagen erst ganz bezweifelt, dann mißgestimmt, um die Hälfte
"kritisch" herabgeschmälert. Hätte der herrliche deutsche Maun keine Kinder,
so würde gewiß ganz Deutschland bedauern, daß er einsam wieder dahingehen
müsse, ohne die Kraft seines markigen Geschlechtes erneuert zu haben; nnn
aber, wo ihm die Freude geworden, zwei tüchtige Söhne an seiner Seite zu
sehen, da kommen die deutscheu Philister, die sich in der Politik die "Frei¬
sinnigen" nennen, und ziehen neidversauerte Mienen darüber, daß der Kanzler
seine Söhne zu seinen politischen Werkzeugen heranziehe und sie nicht lieber
ein ehrsames Handwerk habe lernen lassen! Woher all dieser Haß und Neid?
Im Auslande, aus dessen deutschfeindlicher Presse alles, was in Deutschland
gegen den Kanzler gesagt und geschrieben wird, mit zehnfach verstärkter Schall¬
wirkung an unser Ohr schlüge, hat vielleicht mancher Landsmann, gleich mir
schmerzlich bewegt über die beschämende Undankbarkeit der Deutschen und den
Spott der Ausländer, der Lösung dieser trostlosen Frage nachgegrübelt.

Ich erkenne zwei große Quellen, aus dem alle diese pessimistischen und
verletzenden Erörterungen fließen.

Die eine entspringt genau dort, wo sich die Wasserscheide zwischen der
realistisch-nationalen Lebensanschauung Vismarcks und der theoretisch-univer¬
salen Weltanschauung des Liberalismus erhebt. Sie kommt also aus einem
philosophischen Urgrund und wird nicht so leicht verschüttet werden können,
wie die andere, die sich aus den Tiefen persönlichen Ehrgeizes speist.

In ihrer "universalen" Weltanschauung sehen die Liberalen nach dem
politischen Vroschürenevaugeliuiu des Herrn Vamberger in der Erscheinung des
Fürsten Bismarck lediglich eine übermächtige, aus dem geistigen Zusammen/
sang des Weltlaufes herausgerissene Einzelgestalt, die gewissermaßen wie ein
erratischer Block auf die große Weltstraße der "freiheitlichen Entwickelung"
gerollt ist und ihren natürlichen Ailsbau verschließt. Mit Ameisenfleiß suchen
sie ein Sandkorn nach dem andren unter ihm fortzutragen, um endlich über
ihm hinweg die Straße der "Freiheit" wieder zu gewinnen. Das Ziel eines
internationalen Weltbürgertums im Auge, gilt ihnen Bismarck als ein natio¬
naler Widerstandspilnkt, der mit christlichen, rohalistischen und schutzzöllnerischeu
Bollwerken über und über verschanzt ist. Sein "zusammenhanglos" von Fall
zu Fall beschließender Realismus erscheint ihrer sentimentalen Weitherzigkeit,
ihrer theoretisirender Universalität zu spröde, zu brutal, zu "hart und herz¬
los," wie Dr. Theodor Barth, der freisinnige' Humanitätsapostel, in einer
Berliner Wahlrede unsere Bismarck-Zeit einmal wörtlich genannt hat. Kurz,
sie sehen etwas kultur- und freiheithemmendes in ihm, eine rohe Kraftentfal-
tung, die ni ihrem nationalen Egoismus die idealen, ewiggiltigen Menschheits-
gedanleu, die endlich doch zum Durchbruch kommen müssen, verletzt. Und diese


Der alte Bismarck

man diese Verkleinerungssucht bereits auch auf seine— Söhne überträgt? Auch
des Grafen Herbert Verdienste und aufstrebende Erfolge werden mit unver¬
ständlichem Behagen erst ganz bezweifelt, dann mißgestimmt, um die Hälfte
„kritisch" herabgeschmälert. Hätte der herrliche deutsche Maun keine Kinder,
so würde gewiß ganz Deutschland bedauern, daß er einsam wieder dahingehen
müsse, ohne die Kraft seines markigen Geschlechtes erneuert zu haben; nnn
aber, wo ihm die Freude geworden, zwei tüchtige Söhne an seiner Seite zu
sehen, da kommen die deutscheu Philister, die sich in der Politik die „Frei¬
sinnigen" nennen, und ziehen neidversauerte Mienen darüber, daß der Kanzler
seine Söhne zu seinen politischen Werkzeugen heranziehe und sie nicht lieber
ein ehrsames Handwerk habe lernen lassen! Woher all dieser Haß und Neid?
Im Auslande, aus dessen deutschfeindlicher Presse alles, was in Deutschland
gegen den Kanzler gesagt und geschrieben wird, mit zehnfach verstärkter Schall¬
wirkung an unser Ohr schlüge, hat vielleicht mancher Landsmann, gleich mir
schmerzlich bewegt über die beschämende Undankbarkeit der Deutschen und den
Spott der Ausländer, der Lösung dieser trostlosen Frage nachgegrübelt.

Ich erkenne zwei große Quellen, aus dem alle diese pessimistischen und
verletzenden Erörterungen fließen.

Die eine entspringt genau dort, wo sich die Wasserscheide zwischen der
realistisch-nationalen Lebensanschauung Vismarcks und der theoretisch-univer¬
salen Weltanschauung des Liberalismus erhebt. Sie kommt also aus einem
philosophischen Urgrund und wird nicht so leicht verschüttet werden können,
wie die andere, die sich aus den Tiefen persönlichen Ehrgeizes speist.

In ihrer „universalen" Weltanschauung sehen die Liberalen nach dem
politischen Vroschürenevaugeliuiu des Herrn Vamberger in der Erscheinung des
Fürsten Bismarck lediglich eine übermächtige, aus dem geistigen Zusammen/
sang des Weltlaufes herausgerissene Einzelgestalt, die gewissermaßen wie ein
erratischer Block auf die große Weltstraße der „freiheitlichen Entwickelung"
gerollt ist und ihren natürlichen Ailsbau verschließt. Mit Ameisenfleiß suchen
sie ein Sandkorn nach dem andren unter ihm fortzutragen, um endlich über
ihm hinweg die Straße der „Freiheit" wieder zu gewinnen. Das Ziel eines
internationalen Weltbürgertums im Auge, gilt ihnen Bismarck als ein natio¬
naler Widerstandspilnkt, der mit christlichen, rohalistischen und schutzzöllnerischeu
Bollwerken über und über verschanzt ist. Sein „zusammenhanglos" von Fall
zu Fall beschließender Realismus erscheint ihrer sentimentalen Weitherzigkeit,
ihrer theoretisirender Universalität zu spröde, zu brutal, zu „hart und herz¬
los," wie Dr. Theodor Barth, der freisinnige' Humanitätsapostel, in einer
Berliner Wahlrede unsere Bismarck-Zeit einmal wörtlich genannt hat. Kurz,
sie sehen etwas kultur- und freiheithemmendes in ihm, eine rohe Kraftentfal-
tung, die ni ihrem nationalen Egoismus die idealen, ewiggiltigen Menschheits-
gedanleu, die endlich doch zum Durchbruch kommen müssen, verletzt. Und diese


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[0158] Der alte Bismarck man diese Verkleinerungssucht bereits auch auf seine— Söhne überträgt? Auch des Grafen Herbert Verdienste und aufstrebende Erfolge werden mit unver¬ ständlichem Behagen erst ganz bezweifelt, dann mißgestimmt, um die Hälfte „kritisch" herabgeschmälert. Hätte der herrliche deutsche Maun keine Kinder, so würde gewiß ganz Deutschland bedauern, daß er einsam wieder dahingehen müsse, ohne die Kraft seines markigen Geschlechtes erneuert zu haben; nnn aber, wo ihm die Freude geworden, zwei tüchtige Söhne an seiner Seite zu sehen, da kommen die deutscheu Philister, die sich in der Politik die „Frei¬ sinnigen" nennen, und ziehen neidversauerte Mienen darüber, daß der Kanzler seine Söhne zu seinen politischen Werkzeugen heranziehe und sie nicht lieber ein ehrsames Handwerk habe lernen lassen! Woher all dieser Haß und Neid? Im Auslande, aus dessen deutschfeindlicher Presse alles, was in Deutschland gegen den Kanzler gesagt und geschrieben wird, mit zehnfach verstärkter Schall¬ wirkung an unser Ohr schlüge, hat vielleicht mancher Landsmann, gleich mir schmerzlich bewegt über die beschämende Undankbarkeit der Deutschen und den Spott der Ausländer, der Lösung dieser trostlosen Frage nachgegrübelt. Ich erkenne zwei große Quellen, aus dem alle diese pessimistischen und verletzenden Erörterungen fließen. Die eine entspringt genau dort, wo sich die Wasserscheide zwischen der realistisch-nationalen Lebensanschauung Vismarcks und der theoretisch-univer¬ salen Weltanschauung des Liberalismus erhebt. Sie kommt also aus einem philosophischen Urgrund und wird nicht so leicht verschüttet werden können, wie die andere, die sich aus den Tiefen persönlichen Ehrgeizes speist. In ihrer „universalen" Weltanschauung sehen die Liberalen nach dem politischen Vroschürenevaugeliuiu des Herrn Vamberger in der Erscheinung des Fürsten Bismarck lediglich eine übermächtige, aus dem geistigen Zusammen/ sang des Weltlaufes herausgerissene Einzelgestalt, die gewissermaßen wie ein erratischer Block auf die große Weltstraße der „freiheitlichen Entwickelung" gerollt ist und ihren natürlichen Ailsbau verschließt. Mit Ameisenfleiß suchen sie ein Sandkorn nach dem andren unter ihm fortzutragen, um endlich über ihm hinweg die Straße der „Freiheit" wieder zu gewinnen. Das Ziel eines internationalen Weltbürgertums im Auge, gilt ihnen Bismarck als ein natio¬ naler Widerstandspilnkt, der mit christlichen, rohalistischen und schutzzöllnerischeu Bollwerken über und über verschanzt ist. Sein „zusammenhanglos" von Fall zu Fall beschließender Realismus erscheint ihrer sentimentalen Weitherzigkeit, ihrer theoretisirender Universalität zu spröde, zu brutal, zu „hart und herz¬ los," wie Dr. Theodor Barth, der freisinnige' Humanitätsapostel, in einer Berliner Wahlrede unsere Bismarck-Zeit einmal wörtlich genannt hat. Kurz, sie sehen etwas kultur- und freiheithemmendes in ihm, eine rohe Kraftentfal- tung, die ni ihrem nationalen Egoismus die idealen, ewiggiltigen Menschheits- gedanleu, die endlich doch zum Durchbruch kommen müssen, verletzt. Und diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/158>, abgerufen am 05.02.2025.