Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Der alte Bismarck verstehen, daß es endlich ein der Zeit sei, zu Bett zu gehen. Schmeichelnd Woher kommt nun, so fragen wir uns im Auslande ratlos, dieser uner¬ Der alte Bismarck verstehen, daß es endlich ein der Zeit sei, zu Bett zu gehen. Schmeichelnd Woher kommt nun, so fragen wir uns im Auslande ratlos, dieser uner¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204888"/> <fw type="header" place="top"> Der alte Bismarck</fw><lb/> <p xml:id="ID_386" prev="#ID_385"> verstehen, daß es endlich ein der Zeit sei, zu Bett zu gehen. Schmeichelnd<lb/> und drohend verlangte man seinen Abzug. Mit antikem Ruhm würde er sich<lb/> beladen, wenn er, ein moderner Cincinnatus, zum Pflug auf seinen Ackern<lb/> greifen wollte, dagegen das Werk seines Lebens und die Geschicke Deutschlands<lb/> gefährden, wenn er nicht still und zurückgezogen eine Zukunft ohne Bismarck<lb/> vorbereiten helfen würde. Dann aber plötzlich spürten sie, als er von neuen:<lb/> wieder frisch und munter wie in jungen Jahren im Parlament seine Klinge<lb/> schlug, daß die ausgestreuten Gerüchte von einem körperlichen Altern beim<lb/> Volke nicht verfingen. Und da war es denn Herr Bamberger selbst, der uidi<lb/> et orbi verkündete, daß der Neckenleib des Kanzlers noch ungeahnte Kräfte<lb/> berge, und an die müde Sterbestunde noch nicht so bald zu denken sei; „denn,"<lb/> so meinte er in der geschmacklosen und unlogischen Bildersprache seiner Väter,<lb/> „solch gewaltigen Männern scheint die Natur selbst zehn Points vorzugehen."<lb/> (Seit wann, Herr Bamberger, gibt man beim. Spiel dem — Starken etwas<lb/> vor?) Aber nachdem die Freisinnigen einmal selbst gespürt hatten, daß in<lb/> der deutschen Kanzlereiche noch frische Lebenssäfte fließen, legten sie die Axt<lb/> des Todes, die sie vor dem beunruhigten Volke drohend geschwungen hatten,<lb/> zur Seite und gedachten nun den alten, herrlichen Baum mit feinen Gift¬<lb/> dämpfen in den Augen des Volkes abwelkend verfallen zu lassen. Großmütig<lb/> gaben sie ihm noch zehn oder zwanzig Jahre; daran sei ja nichts gelegen, wie<lb/> lange seine körperliche Hülle sich erhalte, aber — und nun kommen die feinen<lb/> Giftdämpfe! — sein „System" sei innerlich schon längst im Absterben begriffen,<lb/> vom großen kritischen Standpunkt der Weltentwicklung aus betrachtet, sei das<lb/> Bismarcktum zwar uoch ein lebender Körper, aber mit fanlenden und ab¬<lb/> sterbenden Gliedern. Wenn es einmal ganz erloschen sein werde, und Platz<lb/> geschafft werden solle für „die Nachfolge Rismarcks," dann werde sich zeigen,<lb/> daß der tote Körper, um ihn hinwegräumen zu können, viel zu schwer und<lb/> massig sei; dann werde es sich zeigen, so kalkuliren sie mit unkörperlichen<lb/> Znknnftsbegrifsen, und fürchterlich rächen, daß mau ihn über alle menschlichen<lb/> Maße eigenwillig habe hinauswachsen lassen, und Deutschland werde nnter<lb/> dem lastenden Druck dieses ganz entwicklungswidrig ausgewachsenen Körpers<lb/> in einen allgemeinen Marasmus niedergedrückt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_387" next="#ID_388"> Woher kommt nun, so fragen wir uns im Auslande ratlos, dieser uner¬<lb/> schütterliche Glaube der „Freisinnigen" an den unabweisbaren Eintritt einer<lb/> bedeutungsschweren, ja verhängnisvollen Krisis nach Vismarcks Tode? woher<lb/> der hastige Eifer, mit dem sie ihm erst als einen „schnell alternden Greis"<lb/> erkannten und dann sein „System," seine ganze Art, Politik zu treiben als<lb/> haltlos und notwendiger Weise in sich selbst zusammensinkend darstellten?<lb/> woher das wollüstige Behagen, ihn selbst einen: Morier und einem Mackenzie<lb/> zu Liebe verkleinernd herabzusetzen, ihm „Blamagen" anzudichten und ihn zum<lb/> frühzeitigen Abschied zu drängen? woher endlich die seltsame Erscheinung, daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0157]
Der alte Bismarck
verstehen, daß es endlich ein der Zeit sei, zu Bett zu gehen. Schmeichelnd
und drohend verlangte man seinen Abzug. Mit antikem Ruhm würde er sich
beladen, wenn er, ein moderner Cincinnatus, zum Pflug auf seinen Ackern
greifen wollte, dagegen das Werk seines Lebens und die Geschicke Deutschlands
gefährden, wenn er nicht still und zurückgezogen eine Zukunft ohne Bismarck
vorbereiten helfen würde. Dann aber plötzlich spürten sie, als er von neuen:
wieder frisch und munter wie in jungen Jahren im Parlament seine Klinge
schlug, daß die ausgestreuten Gerüchte von einem körperlichen Altern beim
Volke nicht verfingen. Und da war es denn Herr Bamberger selbst, der uidi
et orbi verkündete, daß der Neckenleib des Kanzlers noch ungeahnte Kräfte
berge, und an die müde Sterbestunde noch nicht so bald zu denken sei; „denn,"
so meinte er in der geschmacklosen und unlogischen Bildersprache seiner Väter,
„solch gewaltigen Männern scheint die Natur selbst zehn Points vorzugehen."
(Seit wann, Herr Bamberger, gibt man beim. Spiel dem — Starken etwas
vor?) Aber nachdem die Freisinnigen einmal selbst gespürt hatten, daß in
der deutschen Kanzlereiche noch frische Lebenssäfte fließen, legten sie die Axt
des Todes, die sie vor dem beunruhigten Volke drohend geschwungen hatten,
zur Seite und gedachten nun den alten, herrlichen Baum mit feinen Gift¬
dämpfen in den Augen des Volkes abwelkend verfallen zu lassen. Großmütig
gaben sie ihm noch zehn oder zwanzig Jahre; daran sei ja nichts gelegen, wie
lange seine körperliche Hülle sich erhalte, aber — und nun kommen die feinen
Giftdämpfe! — sein „System" sei innerlich schon längst im Absterben begriffen,
vom großen kritischen Standpunkt der Weltentwicklung aus betrachtet, sei das
Bismarcktum zwar uoch ein lebender Körper, aber mit fanlenden und ab¬
sterbenden Gliedern. Wenn es einmal ganz erloschen sein werde, und Platz
geschafft werden solle für „die Nachfolge Rismarcks," dann werde sich zeigen,
daß der tote Körper, um ihn hinwegräumen zu können, viel zu schwer und
massig sei; dann werde es sich zeigen, so kalkuliren sie mit unkörperlichen
Znknnftsbegrifsen, und fürchterlich rächen, daß mau ihn über alle menschlichen
Maße eigenwillig habe hinauswachsen lassen, und Deutschland werde nnter
dem lastenden Druck dieses ganz entwicklungswidrig ausgewachsenen Körpers
in einen allgemeinen Marasmus niedergedrückt werden.
Woher kommt nun, so fragen wir uns im Auslande ratlos, dieser uner¬
schütterliche Glaube der „Freisinnigen" an den unabweisbaren Eintritt einer
bedeutungsschweren, ja verhängnisvollen Krisis nach Vismarcks Tode? woher
der hastige Eifer, mit dem sie ihm erst als einen „schnell alternden Greis"
erkannten und dann sein „System," seine ganze Art, Politik zu treiben als
haltlos und notwendiger Weise in sich selbst zusammensinkend darstellten?
woher das wollüstige Behagen, ihn selbst einen: Morier und einem Mackenzie
zu Liebe verkleinernd herabzusetzen, ihm „Blamagen" anzudichten und ihn zum
frühzeitigen Abschied zu drängen? woher endlich die seltsame Erscheinung, daß
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