Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Jeder Satz wirkt wie ein wuchtiger Schlag mit einem armstarken, mit Blei Wunderbar genug begann mau in der deutscheu Presse gerade zu der Zeit Aber anstatt aus diesem einfache" Rückblick so viel wenigstens des Ver¬ Jeder Satz wirkt wie ein wuchtiger Schlag mit einem armstarken, mit Blei Wunderbar genug begann mau in der deutscheu Presse gerade zu der Zeit Aber anstatt aus diesem einfache» Rückblick so viel wenigstens des Ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204887"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_383" prev="#ID_382"> Jeder Satz wirkt wie ein wuchtiger Schlag mit einem armstarken, mit Blei<lb/> und Eisen schwer beschlagenen Eichenstock. Und ist von seinen Hieben der<lb/> Jntrigautenhaufe, zu dein sich gewisse Männer von höchst zweifelhafter Be¬<lb/> fähigung um Friedrichs Thron zusammengeschart hatten, nicht bis über die<lb/> Greuzen unsres Baterlandes, „bis in die freie Schweiz hinein", jämmerlich<lb/> zersprengt worden?</p><lb/> <p xml:id="ID_384"> Wunderbar genug begann mau in der deutscheu Presse gerade zu der Zeit<lb/> dieser erstaunlichen Kraftleistung von dein „schnell alternden Kanzler" zu reden.<lb/> „Er wird unsicher" — „er hat kein Glück mehr" — „er macht krampfhafte<lb/> und höchst unglückliche Anstrengungen, sich zu behaupten" — „dem. greisen<lb/> Löwen fallen die Zähne aus" — „er wird altersschwach, und sein System<lb/> wird über ihm zusammenbrechen:" — das waren die liebenswürdigen Äuße¬<lb/> rungen der deutschen Presse, die wir Deutschen im Auslande Tag für Tag<lb/> mit schmerzlicher Empfindung lesen mußten. Wäre es nicht umgekehrt bei dem<lb/> Tode Kaiser Wilhelms an der Zeit gewesen, nachdrücklich auf die augenfällige<lb/> Kraft hinzuweisen, in der sein getreuer Kanzler ihn überdauerte? Wäre es in<lb/> diesem Augenblick für die deutsche Presse nicht eine dankbare Aufgabe gewesen,<lb/> einmal Rückschau zu halten auf die große Reihe von bedeutenden Männern,<lb/> die die Lebensbahn des gewaltigen Kanzlers gekreuzt haben, die in Freundschaft<lb/> oder Feindschaft von seinem Geiste gezehrt haben und die lebendige Teile seiner<lb/> ungeheuern Kraft gewissermaßen mit sich ius Grab nahmen, um daran zu<lb/> ermessen, ob man das Recht habe, einen solchen Organismus mit mutwilligen<lb/> Belieben ohne alleu zwingenden Anlaß für verbraucht zu erklären? Unter<lb/> dem Zeichen seines Geistes haben einst gestanden: zwei deutsche Kaiser, ein<lb/> gewnltthätiger Papst, zwei russische Zaren, ein französischer Kaiser, zwei fran¬<lb/> zösische Präsidenten, zwei Sultane, sechs amerikanische Präsidenten, je ein<lb/> König von Hannover, von Sachsen und von Baiern, ein König von Italien,<lb/> ein König und eine Königin von Spanien, Staatsmänner wie Beust, Nntouelli,<lb/> Hall, Thiers, Gambetta, Favre, Beaconsfield, Skobeleff, Gortschakvff, Jgnatiew,<lb/> Schuwalvff, Cavour, Hahmerle und Midhat Pascha, Parlamentarier wie<lb/> Tochter, v. Bincke, Hoverbeck. Laster, Löwe und Mallinervdt, persönliche und<lb/> theoretische Antipoden wie Arnim und Lnssalle, dazu noch die augenblicklich<lb/> kaltgestellten Gladstone und Andrassy, und um schließlich aus der langen Liste<lb/> der Mundtoten nur die letzten zu nennen, die Herren Sonnemanu und —<lb/> Geffcken! Wer endlich nennt die Namen, die jetzt noch Tag für Tag durch<lb/> seine Gedanken schwirren und die alljährlich nur eine Reihe neuer Gestalten<lb/> wie Boulanger und ChurclM, vermehrt werden!</p><lb/> <p xml:id="ID_385" next="#ID_386"> Aber anstatt aus diesem einfache» Rückblick so viel wenigstens des Ver¬<lb/> trauens auf des Kanzlers zähe Lebenskraft zu schöpfen, um bescheiden den<lb/> Augenblick abwarten zu lernen, wo er selbst ein zunehmendes Ermüden seines<lb/> Geistes suhlen würde, gab ihm eine vorlaute Preßstimme schulmeisternd zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0156]
Jeder Satz wirkt wie ein wuchtiger Schlag mit einem armstarken, mit Blei
und Eisen schwer beschlagenen Eichenstock. Und ist von seinen Hieben der
Jntrigautenhaufe, zu dein sich gewisse Männer von höchst zweifelhafter Be¬
fähigung um Friedrichs Thron zusammengeschart hatten, nicht bis über die
Greuzen unsres Baterlandes, „bis in die freie Schweiz hinein", jämmerlich
zersprengt worden?
Wunderbar genug begann mau in der deutscheu Presse gerade zu der Zeit
dieser erstaunlichen Kraftleistung von dein „schnell alternden Kanzler" zu reden.
„Er wird unsicher" — „er hat kein Glück mehr" — „er macht krampfhafte
und höchst unglückliche Anstrengungen, sich zu behaupten" — „dem. greisen
Löwen fallen die Zähne aus" — „er wird altersschwach, und sein System
wird über ihm zusammenbrechen:" — das waren die liebenswürdigen Äuße¬
rungen der deutschen Presse, die wir Deutschen im Auslande Tag für Tag
mit schmerzlicher Empfindung lesen mußten. Wäre es nicht umgekehrt bei dem
Tode Kaiser Wilhelms an der Zeit gewesen, nachdrücklich auf die augenfällige
Kraft hinzuweisen, in der sein getreuer Kanzler ihn überdauerte? Wäre es in
diesem Augenblick für die deutsche Presse nicht eine dankbare Aufgabe gewesen,
einmal Rückschau zu halten auf die große Reihe von bedeutenden Männern,
die die Lebensbahn des gewaltigen Kanzlers gekreuzt haben, die in Freundschaft
oder Feindschaft von seinem Geiste gezehrt haben und die lebendige Teile seiner
ungeheuern Kraft gewissermaßen mit sich ius Grab nahmen, um daran zu
ermessen, ob man das Recht habe, einen solchen Organismus mit mutwilligen
Belieben ohne alleu zwingenden Anlaß für verbraucht zu erklären? Unter
dem Zeichen seines Geistes haben einst gestanden: zwei deutsche Kaiser, ein
gewnltthätiger Papst, zwei russische Zaren, ein französischer Kaiser, zwei fran¬
zösische Präsidenten, zwei Sultane, sechs amerikanische Präsidenten, je ein
König von Hannover, von Sachsen und von Baiern, ein König von Italien,
ein König und eine Königin von Spanien, Staatsmänner wie Beust, Nntouelli,
Hall, Thiers, Gambetta, Favre, Beaconsfield, Skobeleff, Gortschakvff, Jgnatiew,
Schuwalvff, Cavour, Hahmerle und Midhat Pascha, Parlamentarier wie
Tochter, v. Bincke, Hoverbeck. Laster, Löwe und Mallinervdt, persönliche und
theoretische Antipoden wie Arnim und Lnssalle, dazu noch die augenblicklich
kaltgestellten Gladstone und Andrassy, und um schließlich aus der langen Liste
der Mundtoten nur die letzten zu nennen, die Herren Sonnemanu und —
Geffcken! Wer endlich nennt die Namen, die jetzt noch Tag für Tag durch
seine Gedanken schwirren und die alljährlich nur eine Reihe neuer Gestalten
wie Boulanger und ChurclM, vermehrt werden!
Aber anstatt aus diesem einfache» Rückblick so viel wenigstens des Ver¬
trauens auf des Kanzlers zähe Lebenskraft zu schöpfen, um bescheiden den
Augenblick abwarten zu lernen, wo er selbst ein zunehmendes Ermüden seines
Geistes suhlen würde, gab ihm eine vorlaute Preßstimme schulmeisternd zu
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |