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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Amalie von ^"lwig

Bilder aus "Alexis irrt Dora" und dem "Neuen Pausias," fein nacheinpfuu-
dene Klänge aus Schillers antikisirenden Gedichten, Erinnerungen nu Vossens
"Homer," ein und der andre Nachhall uns Goethes "Hermann und Dorothea"
(wie denn Simaithas frühere Liebe und Verlobung an das gleiche Motiv
bei Dorothea erinnert), ja aus Vossens "Luise," Sentenzen, die Herders sitt¬
licher Grazie entsprungen scheinen, Züge und Farben jener "Griechheit," die
die bildende Kunst der Zeit in den Blättern von Rafael Mengs, Angelika
Kaufmann, Füßli und Füger bevorzugte und in die sich auch Fräulein von
Jmhoff hineingesehen hatte, verbanden sich mit einer feinen Empfindung, einem
beobachtenden Natursinn, die in der Seele des jungen Mädchens lebten, mit
einer stillen Hoheit des Sinnes, die sie in lebendigen und wirklichen Menschen¬
gestalten ihrer Umgebungen vor Augen hatte. Wenn das poetische Hvffränlei"
den Meistern von Weimar doch immer nur als eine Dilettantin höherer Art
galt, wie selbständig nud reif erscheint gleichwohl ihr Gedicht gegenüber zahl¬
losen Versuchen der spätern poetischen "Liebhaberei" männlichen wie weiblichen
Geschlechts! Es geht in der That ein wohlthuender Heines klaren und reinen
Lebensgefühls, milder Menschlichkeit und stiller Freude am Schönen durch die
"Schwestern von Lesbos" hindurch, und es war kein Wunder, daß das Gedicht
bei seinem Erscheinen bewundernden Anteil und, wo man wußte, daß die Ver¬
fasserin noch im ersten Vierteljahrhundert ihres Lebeus stand, auch manche
Hoffnung auf künftige Leistungen hervorrief.

Daß Amalie von Jmhoff diese Hoffnungen teilte, war natürlich. In dem
poetischen Anruf an Eros und die Musen, der den fünften Gesang ihres
Gedichtes eröffnet, rühmt es die Dichterin, daß die "lieblich redenden Musen"
vor Eros nud seinen Geschossen durch deu Zauber des Gesanges geschützt
seien, daß ihren Busen allein der liebliche Wohllaut bewege. Sie sollte bald
erfahren, daß sie in diesem Sinne keine Muse, sondern ein irdisches Mädchen
war. Zwar erwiederte sie die Leidenschaft nicht, die sie Friedrich Gentz, dein
genial-geistvollen Wüstling, einflößte. Gentz, der eben auf dem Sprunge stand,
sich aus dein königlich preußische" Kriegsrat in deu Publizisten der Wiener
Staatskanzlei zu verwandeln, kam aus seinem Berliner Genußleben, ans den
Armen der bestrickenden Schauspielerin Christel Eigensatz und ähnlicher Schön¬
heiten, in das stille Weimar und empfand den Einfluß der hier herrschenden
andern Atmosphäre. Er war damals noch ideal und empfänglich genug, die
Vorzüge der liebenswürdigen Amalie zu erkennen, er besaß Geist, Feinheit
und Anziehungskraft genug, die junge Dame zu fesseln. "Er weiß," schrieb
Amalie selbst an ihren spätern Verlobte,,, "daß ich lebhaften Anteil an seinem
Schicksal nehme, er ist ein höchst interessanter, merkwürdiger Charakter, und
gewiß ist es, daß er mein Wesen ans das richtigste durchschauthat, mit einem
Blick war er in mir zu Hause. Er gehört nicht zu denen, die nur ein
augenblickliches Interesse erregen. Ich möchte sein Schicksal nicht aus deu


Amalie von ^«lwig

Bilder aus „Alexis irrt Dora" und dem „Neuen Pausias," fein nacheinpfuu-
dene Klänge aus Schillers antikisirenden Gedichten, Erinnerungen nu Vossens
„Homer," ein und der andre Nachhall uns Goethes „Hermann und Dorothea"
(wie denn Simaithas frühere Liebe und Verlobung an das gleiche Motiv
bei Dorothea erinnert), ja aus Vossens „Luise," Sentenzen, die Herders sitt¬
licher Grazie entsprungen scheinen, Züge und Farben jener „Griechheit," die
die bildende Kunst der Zeit in den Blättern von Rafael Mengs, Angelika
Kaufmann, Füßli und Füger bevorzugte und in die sich auch Fräulein von
Jmhoff hineingesehen hatte, verbanden sich mit einer feinen Empfindung, einem
beobachtenden Natursinn, die in der Seele des jungen Mädchens lebten, mit
einer stillen Hoheit des Sinnes, die sie in lebendigen und wirklichen Menschen¬
gestalten ihrer Umgebungen vor Augen hatte. Wenn das poetische Hvffränlei»
den Meistern von Weimar doch immer nur als eine Dilettantin höherer Art
galt, wie selbständig nud reif erscheint gleichwohl ihr Gedicht gegenüber zahl¬
losen Versuchen der spätern poetischen „Liebhaberei" männlichen wie weiblichen
Geschlechts! Es geht in der That ein wohlthuender Heines klaren und reinen
Lebensgefühls, milder Menschlichkeit und stiller Freude am Schönen durch die
„Schwestern von Lesbos" hindurch, und es war kein Wunder, daß das Gedicht
bei seinem Erscheinen bewundernden Anteil und, wo man wußte, daß die Ver¬
fasserin noch im ersten Vierteljahrhundert ihres Lebeus stand, auch manche
Hoffnung auf künftige Leistungen hervorrief.

Daß Amalie von Jmhoff diese Hoffnungen teilte, war natürlich. In dem
poetischen Anruf an Eros und die Musen, der den fünften Gesang ihres
Gedichtes eröffnet, rühmt es die Dichterin, daß die „lieblich redenden Musen"
vor Eros nud seinen Geschossen durch deu Zauber des Gesanges geschützt
seien, daß ihren Busen allein der liebliche Wohllaut bewege. Sie sollte bald
erfahren, daß sie in diesem Sinne keine Muse, sondern ein irdisches Mädchen
war. Zwar erwiederte sie die Leidenschaft nicht, die sie Friedrich Gentz, dein
genial-geistvollen Wüstling, einflößte. Gentz, der eben auf dem Sprunge stand,
sich aus dein königlich preußische» Kriegsrat in deu Publizisten der Wiener
Staatskanzlei zu verwandeln, kam aus seinem Berliner Genußleben, ans den
Armen der bestrickenden Schauspielerin Christel Eigensatz und ähnlicher Schön¬
heiten, in das stille Weimar und empfand den Einfluß der hier herrschenden
andern Atmosphäre. Er war damals noch ideal und empfänglich genug, die
Vorzüge der liebenswürdigen Amalie zu erkennen, er besaß Geist, Feinheit
und Anziehungskraft genug, die junge Dame zu fesseln. „Er weiß," schrieb
Amalie selbst an ihren spätern Verlobte,,, „daß ich lebhaften Anteil an seinem
Schicksal nehme, er ist ein höchst interessanter, merkwürdiger Charakter, und
gewiß ist es, daß er mein Wesen ans das richtigste durchschauthat, mit einem
Blick war er in mir zu Hause. Er gehört nicht zu denen, die nur ein
augenblickliches Interesse erregen. Ich möchte sein Schicksal nicht aus deu


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[0140] Amalie von ^«lwig Bilder aus „Alexis irrt Dora" und dem „Neuen Pausias," fein nacheinpfuu- dene Klänge aus Schillers antikisirenden Gedichten, Erinnerungen nu Vossens „Homer," ein und der andre Nachhall uns Goethes „Hermann und Dorothea" (wie denn Simaithas frühere Liebe und Verlobung an das gleiche Motiv bei Dorothea erinnert), ja aus Vossens „Luise," Sentenzen, die Herders sitt¬ licher Grazie entsprungen scheinen, Züge und Farben jener „Griechheit," die die bildende Kunst der Zeit in den Blättern von Rafael Mengs, Angelika Kaufmann, Füßli und Füger bevorzugte und in die sich auch Fräulein von Jmhoff hineingesehen hatte, verbanden sich mit einer feinen Empfindung, einem beobachtenden Natursinn, die in der Seele des jungen Mädchens lebten, mit einer stillen Hoheit des Sinnes, die sie in lebendigen und wirklichen Menschen¬ gestalten ihrer Umgebungen vor Augen hatte. Wenn das poetische Hvffränlei» den Meistern von Weimar doch immer nur als eine Dilettantin höherer Art galt, wie selbständig nud reif erscheint gleichwohl ihr Gedicht gegenüber zahl¬ losen Versuchen der spätern poetischen „Liebhaberei" männlichen wie weiblichen Geschlechts! Es geht in der That ein wohlthuender Heines klaren und reinen Lebensgefühls, milder Menschlichkeit und stiller Freude am Schönen durch die „Schwestern von Lesbos" hindurch, und es war kein Wunder, daß das Gedicht bei seinem Erscheinen bewundernden Anteil und, wo man wußte, daß die Ver¬ fasserin noch im ersten Vierteljahrhundert ihres Lebeus stand, auch manche Hoffnung auf künftige Leistungen hervorrief. Daß Amalie von Jmhoff diese Hoffnungen teilte, war natürlich. In dem poetischen Anruf an Eros und die Musen, der den fünften Gesang ihres Gedichtes eröffnet, rühmt es die Dichterin, daß die „lieblich redenden Musen" vor Eros nud seinen Geschossen durch deu Zauber des Gesanges geschützt seien, daß ihren Busen allein der liebliche Wohllaut bewege. Sie sollte bald erfahren, daß sie in diesem Sinne keine Muse, sondern ein irdisches Mädchen war. Zwar erwiederte sie die Leidenschaft nicht, die sie Friedrich Gentz, dein genial-geistvollen Wüstling, einflößte. Gentz, der eben auf dem Sprunge stand, sich aus dein königlich preußische» Kriegsrat in deu Publizisten der Wiener Staatskanzlei zu verwandeln, kam aus seinem Berliner Genußleben, ans den Armen der bestrickenden Schauspielerin Christel Eigensatz und ähnlicher Schön¬ heiten, in das stille Weimar und empfand den Einfluß der hier herrschenden andern Atmosphäre. Er war damals noch ideal und empfänglich genug, die Vorzüge der liebenswürdigen Amalie zu erkennen, er besaß Geist, Feinheit und Anziehungskraft genug, die junge Dame zu fesseln. „Er weiß," schrieb Amalie selbst an ihren spätern Verlobte,,, „daß ich lebhaften Anteil an seinem Schicksal nehme, er ist ein höchst interessanter, merkwürdiger Charakter, und gewiß ist es, daß er mein Wesen ans das richtigste durchschauthat, mit einem Blick war er in mir zu Hause. Er gehört nicht zu denen, die nur ein augenblickliches Interesse erregen. Ich möchte sein Schicksal nicht aus deu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/140>, abgerufen am 05.02.2025.